Große Trauer: Wiener Galerist John Sailer ist tot
Der österreichische Galerist John Sailer, Gründer der "Galerie Ulysses" und eine Schlüsselfigur der Wiener Kunstszene seit den 1970er-Jahren, ist am Mittwoch im Alter von 87 Jahren verstorben. Das teilte seine langjährige Lebens- und Geschäftspartnerin Gabriele Wimmer der APA mit. John Sailer wurde am 30. November 1937 in Wien geboren. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 floh seine sozialdemokratische Familie über Frankreich in die USA, wohin er als Kleinkind nachgeholt wurde. 1940 gelang ihnen die Flucht an Bord des Ozeandampfers „Nea Hellas“ nach New York. Dort wuchs Sailer zweisprachig auf und besuchte die Rudolf Steiner Schule. Die Familie kehrte 1947 nach Wien zurück, wo Sailer von Beginn an engen Kontakt zur amerikanischen Besatzungsmacht pflegte und sich schnell zwischen beiden Kulturen bewegte.
Frühe Begegnungen mit Kunst und Künstlern
Sein Interesse für die Kunst entwickelte sich früh. Entscheidende Impulse erhielt er bei einem Italienaufenthalt, als er den US-Fotografen Yoichi Okamoto traf, der ihn in die Wiener Galerieszene einführte. Sailer wurde in den 1950er-Jahren regelmäßiger Besucher der Galerie Würthle, der Galerie nächst St. Stephan und Treffpunkten wie dem Künstlerlokal Adebar. Nach der Matura studierte er Jus und arbeitete als Journalist für „Die Presse“. Parallel vertiefte er seine Kontakte zu jungen Künstlerinnen und Künstlern, darunter viele später international bedeutende Persönlichkeiten wie Arnulf Rainer, Maria Lassnig, Peter Kubelka oder Friedensreich Hundertwasser.
Kunsthandel begann mit Thonet-Sesseln
Seinen Einstieg in den Kunsthandel fand Sailer über eine ungewöhnliche Sammelleidenschaft: Bei einer groß angelegten Dachbodenentrümpelung in Wien sicherte er zahlreiche historische Thonet-Stühle, die er systematisch aufbereitete und in einer viel beachteten Ausstellung im Palais Liechtenstein präsentierte. Diese Wanderausstellung tourte durch Europa und die USA und bildete die Grundlage seines internationalen Netzwerks im Kunstbereich.
Gründung der Galerie Ulysses
1974 gründete Sailer in Wien die Galerie Ulysses, nachdem ihn Fritz Wotruba – zunächst mit Skepsis, dann mit Unterstützung – zum Schritt in die Selbstständigkeit ermutigt hatte. Die erste Einzelausstellung war dem Bildhauer gewidmet. Die Galerie befand sich zunächst in einem Garagenraum im Hanuschhof, bevor sie 1977 an den Opernring übersiedelte. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Galerie zu einer wichtigen Adresse für moderne und zeitgenössische Kunst. Gabriele Wimmer wurde in dieser Phase Sailers Mitstreiterin – sowohl beruflich als auch privat.
Internationale Tätigkeiten und Rückkehr nach Wien
Sailer engagierte sich auch auf institutioneller Ebene: Er war erster Präsident des Verbandes österreichischer Galerien moderner Kunst, Mitglied im International Advisory Board der Art Basel und Berater der österreichischen Bundesregierung in kulturpolitischen Fragen. 1989 übersiedelte er nach New York, wo er eine Filiale seiner Galerie eröffnete und unter anderem eine Arnulf-Rainer-Ausstellung im Guggenheim Museum organisierte. 1994 kehrte er nach Wien zurück und war weiterhin als Kurator, Herausgeber, Berater und Autor tätig. Er spielte eine maßgebliche Rolle bei der Gründung der Österreichischen Friedrich Kiesler Stiftung sowie bei der Bewahrung des 20er-Hauses, dessen Umbau durch seine Studie initiiert wurde.
Ein prägendes Vermächtnis
John Sailer hinterlässt ein bedeutendes Erbe in der österreichischen und internationalen Kunstlandschaft. Sein Gespür für Qualität, seine Netzwerke und seine langjährige Förderung von Künstlerinnen und Künstlern trugen wesentlich zur Entwicklung des modernen Kunstbetriebs in Wien bei. Mit seiner Galerie, seinen Ausstellungen und seiner kulturpolitischen Arbeit prägte er über Jahrzehnte die Wahrnehmung zeitgenössischer Kunst in Österreich.