Direkt zum Inhalt
Mutter mit Kind lesend | Credit: iStock.com/Prostock-Studio
Märchen sind nicht nur etwas für Kinder
Märchen sind nicht nur etwas für Kinder
iStock.com/Prostock-Studio

Was wir aus Märchen lernen können

23.09.2023 um 13:52, Artikel von Passion-Autor: Hanna E. Lore
min read
Es war einmal … So startet jede Reise. Wir werden entführt in eine Welt mit Zwergen, Prinzen und Meerjungfrauen. Was lehren Märchen uns?

Es waren einmal … die Gebrüder Grimm

Lange vor den Fantasy-Meistern J. R. R. Tolkien, Joanne K. Rowling, George R. R. Martin und ihren magischen Universen gab es schon märchenhafte, fantastische Welten. Die von Hans Christian Andersen und den Gebrüdern Grimm zum Beispiel. Während der Däne seiner Fantasie großteils freien Lauf ließ und überlieferte Märchen so lange bearbeitete, bis sie ihm passten, sammelten Jacob und Wilhelm Grimm Märchen bewusst. Sie sahen sich in erster Linie als Wissenschaftler rund um die deutsche Sprache, nicht als Autoren. Aus diesem Grund sammelten sie Sagen und Märchen. Daraus entstand ein Buch, das 1812 erschien.

Diese gesammelten Werke – für Kinder überarbeitet und mit Zeichnungen versehen – sind weltbekannt, aus keinem Kinderzimmer und aus keiner Erwachsenenerinnerung mehr weg-zudenken: Schneewittchen, Dornröschen, Hänsel und Gretel, Rapunzel, Frau Holle – alles Klassiker! Viele davon wurden von Disney adaptiert oder als Grundlage für eine neue Geschichte verwendet. Das Konzept ist dasselbe – damals wie heute: Am Ende gibt’s ein Happy End für die Helden, das Gute siegt immer über das Böse. Prinz und Prinzessin finden ei-nander. Dornröschen wird von ihrem Prinzen wachgeküsst und Schneewittchen aus dem glä-sernen Sarg gerettet. Ja, vielleicht lassen diese Geschichten uns Mädchen auf unseren Prin-zen warten, auf ein völlig unrealistisches, naives Traumgebilde hoffen. Das ist das Manko von Erzählungen à la Disney, Grimm, Andersen und Co. Aber nicht immer geht es um die Liebe. Märchen können mehr!

Gebrüder Grimm | Credit: akg-images / picturedesk.com
Die Gebrüder Grimm sind die Vorreiter der Märchen

Es waren einmal … Geschichten von Mut und Hoffnung

Ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn brechen nach Bremen auf, um dort Stadtmusikanten zu werden. In dem Haus, in dem sie schlafen wollen, nächtigen Räuber. Also lässt sich die tierische Bande etwas Schlaues einfallen, um sie zu verjagen. Mut und Klugheit werden belohnt.

Märchen vermitteln Botschaften: Nur nicht den Mut verlieren, es gibt immer einen Ausweg! Neid und Gier sind schlechte Eigenschaften. Das müssen die böse Königin aus „Schneewittchen“ und die faule Pechmarie aus „Frau Holle“ am eigenen Leib erfahren. Jede gute Tat wird irgendwann belohnt. Wer fleißig ist, wird eines Tages die Früchte seiner Arbeit ernten. Die besten Beispiele dafür sind die Goldmarie und Aschenputtel. Schicksal, Karma und gelegentlich ein Hauch von Magie in Form einer netten Fee helfen mit, dass die Guten am En-de siegen und die Bösen bestraft werden.

Schneewittchen | Credit: iStock.com/KrisCole
Märchen: Klugheit und Mut werden immer belohnt

Es waren einmal …Kindergeschichten, in denen so viel mehr steckt

Im Grunde sind Märchen Geschichten für Kinder. Sie spielen an verwunschenen oder schönen Orten. Tiere können sprechen. Zwergen, Riesen, Hexen – alles ist jederzeit möglich! Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Genau das beflügelt die Vorstellungskraft der Kleinen. Kreativität wird auf diese Weise früh gefördert. Sich an Mama, Papa, Oma oder Opa zu kuscheln, während vorgelesen wird, ist Quality-Time für Leser und Zuhörer gleichermaßen. Deshalb ist mit Märchen immer etwas Heimeliges, Warmes verbunden. Es ist ein wunderbarer Teil unserer Kindheit, an den wir uns gern erinnern, aber den wir in der unterkühlten, schnelllebigen und hektischen Gegenwart oft vermissen. Märchen sind einfach gestrickt, eben für Kinder gemacht. Sie sollen das Verständnis für Gut und Böse, Recht und Unrecht stärken. Manchmal ist das recht gewaltsam und heftig.

Die Hexe aus „Hänsel und Gretel“ verbrennt im Ofen, in dem sie den Jungen braten wollte. Die böse Königin aus „Schneewittchen“ muss glühende Schuhe tragen und so lange darin tanzen, bis sie stirbt. Zu brutal für unschuldige Kinderseelen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Die eine Seite hält Märchen aufgrund ihrer Grausamkeiten für bedenklich, die andere betrachtet sie in ihrem zeitlichen Entstehungskontext. Veraltet, aber immer noch vor-lesbar. Wir sind damit aufgewachsen. Woran erinnern wir uns in erster Linie? An die schlimmen Strafen oder die spannenden, schönen Geschichten? Daran, dass die böse Königin in ihren heißen Schuhen tanzen musste, oder daran, dass Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen Unterschlupf fand, bis sie eines Tages vom Königssohn entdeckt wurde? Behalten wir das Happy End oder das entsetzliche Ende im Kopf? Vielfach eher Ersteres. Es liegt im Ermessen der Vorleser, ob sie ihren Kindern Märchen zumuten wollen oder nicht. Und man muss sich ja nicht zwangsläufig für die barbarischsten entscheiden.

Meerjungfrau | Credit: Berliner,Alex J. / Action Press / picturedesk.com
Arielle begeistert immer noch alle Märchen-Liebhaber

Es waren einmal … ein nackter Kaiser und eine Meerjungfrau

Die bisherigen Beispiele stammen von den Brüdern Grimm. Hans Christian Andersen hat aber auch einiges zu bieten. Dass es mutig ist, die Wahrheit zu sagen. Und dass das auch richtig ist, lehrt uns „Des Kaisers neue Kleider“. Der Monarch spaziert nackt durch die Stadt und niemand – abgesehen von einem Kind – traut sich, ihn darauf hinzuweisen. Respekt vor Autoritäten – ja, aber zu allem zu schweigen, ist eindeutig nicht der optimale Weg.

Disneys „Arielle“ hat ein literarisches Vorbild: Andersens kleine Meerjungfrau. Für mich ist dies das traurigste Märchen. Die kleine Meerjungfrau verliebt sich in den Prinzen, den (zur Abwechslung) SIE rettet. Sie pokert zu hoch, verliert ihre Familie, ihre Heimat und ihre Stimme. Der Prinz heiratet eine andere. Trotz allem bleibt sie reinen Herzens – und das ist die positive Kernaussage. Sie schafft es nicht, den Prinzen zu töten. Die kleine Meerjungfrau endet als Schaum auf den Wellen und als zu bedauernde Bronzefigur im Hafen von Kopenhagen. Manchmal bekommen wir das, wonach wir uns verzweifelt sehnen, leider nicht. Dann sollten wir das Beste aus dem machen, was uns bleibt. Deprimierend, aber weise.

Zur Autorin

Ungewöhnliche Trends und wenig Alltägliches - von leichter Hand präsentiert: Dem hat sich Passion Author Hanna E. Lore buchstäblich verschrieben.

more