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Jeder vierte Jugendliche wurde schon einmal gemobbt

03.04.2014 um 16:49, A B
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Österreichweit sind derzeit 275.000 Schüler Opfer von Attacken. Und zwar nicht nur in der Schule. Online-Psychoterror auf sozialen Netzwerken boomt: Was mit harmlosen Sprüchen beginnt, kann sich schnell zu handfestem Mobbing entwickeln.

Andreas ging immer gerne zur Schule – bis zu jenem Tag, als ihn Mitschüler mit Stiften beschmierten und in die Besenkammer sperrten. Melanie und ihre beste Freundin waren ein Herz und eine Seele. Bis zu dem Streit. Seitdem verbreitet sie die größten Geheimnisse der Elfjährigen am Pausenhof. Anna kann niemandem mehr in die Augen sehen. Zu groß die Angst, dass selbst die Lehrer ihre Nacktbilder gesehen haben, die seit einigen Tagen im Internet kursieren. "Das ist ein typischer Fall. Sexting ist eine Form des Mobbings, die immer häufiger vorkommt. Wir sind ­jeden Monat mit einigen 100 Fällen konfrontiert", weiß Bar­bara Buchegger, pädagogische Leiterin bei Safer Internet.

Psychische Last

"Wer als Kind Mobbing-Opfer war, wird es sehr wahrscheinlich auch im ­Erwachsenenalter schwer haben. Trainierte Verhaltensmuster werden schwer durchbrochen“, so Psychologin und Pädagogin Elfriede Wegricht. Tatsache ist: Betroffene Schüler lösen den Konflikt häufig nicht, sie wechseln die Schule. "Die unmittel­baren Auswirkungen können ­zudem von chronischen Kopfschmerzen, Herzrasen und Schweißausbrüchen über Schlafstörungen und Appetitlosigkeit bis hin zu Konzen-trationsstörungen und einem depressiven Rückzug reichen", erklärt Wegricht. Es gebe auch Betroffene, die monatelang krank zu Hause bleiben müssten, weil sie dem Druck nicht standhalten.

Langzeitfolgen

Mobbing ist die modernste Form von Folter – davon ist der amerikanische Psychiater C. M. Brodsky überzeugt. Beleidigungen, Häme, schwulenfeindliche Beschimpfungen oder heimlich gedrehte Videos haben tatsächlich ähnliche Folgen für das Gehirn: "Es gibt kaum einen Stressfaktor, der so schädigend auf das Gehirn wirkt. Für den Menschen ist es essenziell, in ­einem sozialen Gefüge – etwa einer Schulclique – seine Position zu finden. Schon Säug­linge entwickeln keine geistig gesunden Fähigkeiten, wenn sie nicht angelächelt und ausreichend berührt werden. Und das Gehirn von Jugendlichen ist noch im Um- und Aufbau begriffen, reagiert daher sensibel auf Angriffe“, so der Psy­chiater. Die Folge: Wird die positive Zufuhr gekappt, verhalten sich die Neuronen so, als würden sie durch Gift abgetötet. Innerhalb weniger Wochen schrumpft bei Mobbing-­Opfern der Hippocampus – der Bereich des Gedächtnisses. Überforderung, Unkonzentriertheit, Selbstzweifel und Angstzustände sind nur einige der Symptome.

Mobbing am Vormarsch?

Nimmt Mobbing also zu? „Das kann ich nur bedingt unterschreiben. Es wird heute weniger weggeschaut. Was aber sicher zutrifft, ist, dass die Tonart gerade im Internet vulgärer und brutaler geworden ist“, meint Buchegger. Wegricht hingegen ist sicher: "Die Zahl der Fälle steigt. Kinder lernen heutzutage nur noch bedingt, miteinander respektvoll umzugehen. Viele wissen nicht, wie sie mit Konflikten umgehen sollen. Das habe ich in meinen 40 Jahren als Lehrerin an einer Ober­stufe nur zu deutlich gesehen." Eine WHO-Studie belegt zudem: Im Europa-Vergleich sind Österreichs Schüler im oberen Drittel in puncto Gewaltbereitschaft zu finden. Und: Eine Studie der Fakultät für Psychologie an der Uni Wien belegt, dass jeder vierte Junge im letzten halben Jahr mindestens zweimal pro Monat von seinen Mitschülern geschlagen, geschubst, gestoßen oder getreten wurde.

Trend: Cyber-Mobbing

Mehr als zehn Prozent der heimischen Jugendlichen, also mehr als 110.000 Schüler, waren zudem auch schon mit Cyber-Mobbing konfrontiert. "In der Regel geschieht dies in Kombination mit Mobbing am Schulhof. Meist ist also klar, wer für die Beschimpfungen im Netz verantwortlich ist", sagt Buchegger. Am beliebtesten sei derzeit die Beschimpfung über WhatsApp: Eine Schulklasse bildet eine Gruppe, eine Person wird ausgeschlossen, über die ständig gelästert wird. "Das ist vor allem im Alter von 12, 13 Jahren eine gängige Form." Ab 15 Jahren wird vor allem mittels Sexting schikaniert: Nackt­fotos oder -videos werden online gestellt – oft nach Ende einer Beziehung. "Das ist noch mal eine ganz andere Dimension. Konflikte lassen sich bereinigen, aber was einmal im Netz gelandet ist, dem ist nur schwer Herr zu werden“, so die Expertin.

Wer sind die Täter?

Betroffen sind alle sozialen Schichten – egal, ob Eliteschule oder Hauptschule in einem Problembezirk. Die Experten sind sich zudem einig: Jeder mit schwachem Selbstbewusstsein, der nicht mit Konflikten umzugehen weiß, kann sowohl Täter als auch Opfer werden. "Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, hat es nicht nötig, andere klein zu machen", bringt es Wegricht auf den Punkt. Ein weiterer Beleg: Nicht selten wird das Mobbing-Opfer selbst zum Täter: "A mobbt B und B weiß sich nicht anders zu helfen, als A zu mobben. B kennt sich als Opfer ja mit den Methoden aus", so Buchegger.

Kampf dem Mobbing

An ­Österreichs Schulen wird ­versucht, das Problem in den Griff zu bekommen. 2007 wurde vom Unterrichtsministerium die Plattform "Weiße Feder" gegründet. Zudem wurde die Zahl der Schulpsychologen erhöht, Vertrauenslehrer werden verstärkt geschult. Wahlpflichtfächer wie KOKOKO (Kommunikation, Kooperation und Konfliktlösung) werden gefördert. Denn: "Persönlichkeitsentwicklung ist ein wichtiger Faktor in der Prävention", so Buchegger. Dreh- und Angelpunkt ist zudem das Klassenklima: Ein Klima, in dem sich Lehrer und Schüler schätzen, kann Mobbing vorbeugen. Doch Studien belegen, dass sich auch rund ein Drittel der Schüler von Lehrern gemobbt fühlt.

Wie reagieren?

Und wenn es doch zu Vorfällen kommt? Dann sollte man sich an Vertrauenslehrer oder Schulpsychologen wenden. "Täter sollen nicht allein zur Rede gestellt werden, die Situation sollte gemeinsam besprochen werden: Mobber, Gemobbte, Eltern und Lehrer", weiß Wegricht. Bei schweren Fällen wie Körperverletzung sollte eine Anzeige erstattet werden. Im Falle von Cyber-Mobbing rät Buchegger: "Beweise sichern, sprich SMS nicht löschen, Screenshots machen, kompromittierende Bilder und Filme vom Betreiber entfernen lassen. Rat auf Draht und der Internet-Ombudsmann haben direkten Kontakt zu facebook und können das rasch in die Wege leiten."

Krasse Strafen möglich

Mobbing ist in Österreich nicht gesetzlich geregelt. Ansprüche können aber über andere gesetzliche Grundlagen wie das Strafrecht geltend gemacht werden. Im Falle von Sexting geht es aber noch um eine ganz andere Dimension: Rechtlich gesehen fallen Nacktfotos von Minderjährigen nämlich unter die Kategorie Kinderpornografie. „Noch gibt es zwar keine Rechtssprechung. Aber die Fälle häufen sich. In Juristenkreisen wird gemunkelt, dass es als Generalprävention ein härteres ­Urteil geben könnte“, verrät Barbara Buchegger. Der oder die Täter würden dann als ­Pädophile verurteilt.

Das alles ist Mobbing

Ständige Kritik
Telefonterror
Beschimpfungen
Anschreien
Sich lustig machen, alles ins Lächerliche ziehen
Gerüchte verbreiten
In Anwesenheit oder hinter dem Rücken abfällig reden
Abwertende Blicke und Gesten
Verletzende Bemerkungen
Ungerechtfertigte Anschuldigungen
Demütigungen
Vorenthalten wichtiger Informationen, z. B. Hausaufgaben
Niemand darf mit ihm reden
Niemand hört ihm zu
Er darf nicht mitmachen – totale Ausgrenzung
Drohungen
Mutwillige Beschädigung von Schulsachen, persönlichen Gegenständen, Kleidung
Körperliche Angriffe
"Denkzettel" verpassen
Sexuelle Annäherungen, Handgreiflichkeiten

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