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Unser Umgang mit Nähe und Distanz wird in unserer Kindheit geprägt
Unser Umgang mit Nähe und Distanz wird in unserer Kindheit geprägt
Modelfoto: Colourbox.de

In die Wiege gelegt: Wie viel Nähe lässt man zu?

16.02.2021 um 12:31, Andrea Schröder
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Wer in Beziehungen immer wieder scheitert, sollte sich sein Bindungsverhalten einmal genauer anschauen. Denn oft handeln wir nach in der Kindheit erlernten Mustern. Sich diese bewusst zu machen, kann der Schlüssel zur Veränderung sein.

Seit der Trennung von ­ihrem Freund gibt es für Susanne nur noch ein Thema: der Nächste. Schließlich taucht ein mögliches "Opfer" auf, David. Ziemlich cool, aber extrem charmant, mit anderen Worten: genau Susannes Beuteschema! Sie verführt den – eigentlich bereits anderweitig liierten – nach allen Regeln der Kunst. Mal gibt sie die Femme fatale, dann geht sie wieder mit ihm ins Stadion (obwohl sie Fußball null interessiert).

Und tschüss

Kaum sind die beiden ein Paar, gibt es für ­Susanne nichts anderes als "ihren" David. Der zieht sich immer mehr zurück, ist genervt, wortkarg und unnahbar. Vor Freunden macht er sich über Susanne lustig, ist manchmal tagelang nicht erreichbar. So geht das einige Monate. Bis David ihr eröffnet, dass er eine andere hat …

Entscheidende Frage in Beziehungen: Wie viel Nähe kann man zulassen?

Alte Muster

War diese Beziehung von vornherein zum Scheitern verurteilt? Und ­warum passiert beiden immer wieder das Gleiche, nämlich Klammern (Susanne) und Vermeidung (David)? Psychologen wie Mary Ainsworth und John Bowlby konnten in den 1970er-Jahren zeigen, dass unser Beziehungsverhalten maßgeblich von individuellen, frühen Bindungserfahrungen beeinflusst wird. Dabei lassen sich drei Schemata oder Muster erkennen (siehe Info unten – ein viertes, die "desorientierte Bindung", betrifft nur schwer vernachlässigte, traumatisierte Kinder). Problem: Menschen der Muster zwei und drei suchen und finden sich häufig gegenseitig. Das geht aber auf Dauer selten gut, siehe Susanne und David.

Worauf es ankommt

Die ersten sechs Lebensmonate gelten als die Phase stärkster Prägung. Angesichts der großen Bedeutung für Gelingen oder Scheitern späterer Beziehungen fragt man sich, was die Bezugsperson (fast immer die Mutter) denn nun genau leisten soll. Dem Baby nie von der Seite weichen? Eigene ­Bedürfnisse vernachlässigen? Nein. Das Wort, welches bei den Forschern immer wieder auftauchte, heißt: Feinfühligkeit. Darunter versteht die Fachliteratur "situationsangemessenes und promptes Reagieren auf die Äußerungen und Bedürfnisse des Säuglings." Diese zu erkennen, können werdende Eltern in sogenannten "Safe"-Gruppen lernen. Mehr Infos unter: www.safe-programm-austria.com

Drei Typen

Sichere Bindung: "Ich vertraue, kann mich einlassen."

Sicher gebundene Kinder vertrauen darauf, dass die Bezugsperson sie nicht im Stich lassen oder unvorhersehbar reagieren wird. Ist es zeitweise von Mutter oder Vater getrennt (z. B. im Kindergarten), reagiert es zwar zunächst traurig, weiß aber: "Er/sie kommt zurück." Einmal erwachsen, kann die Person Nähe zulassen und ist in der Lage, den Partner emotional zu unterstützen.

2. Unsicher-vermeidende Bindung: "Bin nicht liebenswert."

Diesen Kindern fehlt die Zuversicht, dass ihre Bindungsperson für sie da ist. Ganz im Gegenteil: Sie erfahren regelmäßig, dass ihre Wünsche auf Ablehnung stoßen und sie keinen Anspruch auf Liebe und Zuwendung haben. Später "entledigen" sich diese Kinder des Problems durch Vermeidung von Nähe und Intimität, selbst innerhalb einer Partnerschaft.

3. Unsicher-ambivalente Bindung: "Ich kenne mich nicht aus."

Kennzeichen: starkes Klammern an der Bezugsperson. Denn diese reagiert machmal einfühlsam, häufig abweisend oder sogar aggressiv. Das Kind muss ständig herausfinden, in welcher Stimmung sich Mutter oder Vater befinden, um sich entsprechend zu verhalten. Als Partner sind sie anhänglich.

Alle Themen finden Sie in der aktuellen Ausgabe.

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