Süchtig nach Likes: Wie weit User gehen
Ich bin dann mal weg, acht Wochen Urlaub in Thailand, Fotos gibt's auf Facebook – so oder so ähnlich könnte sich eine holländische Grafikerin vor einigen Jahren von ihren Freunden verabschiedet haben. Die besagten Fotos von asiatischen Speisen, Tempelanlagen und Unterwasseraufnahmen gab es dann auch, nur leider waren alle Fakes. Anstatt in Thailand versteckte sich Zilla van den Born in ihrem Appartement in Amsterdam und bastelte geschickt an urlaubsreifen Bildern, die sie fleißig postete. Nicht einmal ihre eigene Familie konnte den Schwindel aufdecken.
Doch wieso verschanzt sich jemand freiwillig wochenlang in seiner Wohnung und verbreitet Fotos vom vermeintlichen Traumurlaub? Van den Born wollte mit diesem Projekt auf das Verhältnis von Sein und Schein in sozialen Medien aufmerksam machen. Wer sich beim Durchsehen seiner Facebook-Chronik also schon öfters als absoluten Langweiler empfunden hat, der sollte ruhig einmal in Betracht zeihen, dass die von Freunden geposteten Bilder nie die gesamte Wahrheit zeigen, sondern nur einen kleinen Ausschnitt davon – wenn es sich denn nicht um komplette Fakes handelt. Die kurzen Momentaufnahmen, die es verdienen veröffentlicht zu werden, werden meist mit größter Sorgfalt ausgewählt.
Inszenierung ist alles
Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass das so spontan wirkende Selfie, das die neue Kollegin kürzlich veröffentlichte und das sie als gut genug befand, es der Kritik der Online-Community auszusetzen, erst nach über einer Stunde und 50 fehlgeschlagenen Schnappschüssen zu Wege kam. Und wer von uns weiß eigentlich, wie das Urlaubsfoto des ach so glücklich wirkenden Pärchens wirklich entstand? Vielleicht haben die beiden ja den Großteil des Urlaubs furchtbar gestritten, weil sie auf einmal so viel Zeit füreinander hatten, und einfach für das ein oder andere Foto gute Miene zum bösen Spiel gemacht? Zugeben würde das natürlich niemand, man stelle sich nur einmal ein derartiges Posting vor: "Strand herrlich, Essen fantastisch, Partner furchtbar – ich wünschte, ich wäre einfach zu Hause auf der Couch."
Süchtig nach Likes
Eine Studie ergab, dass Likes auf Facebook die gleichen Hirnareale aktivieren wie der Genuss von Schokolade. Es scheint so, als würden wir bei der Nutzung von sozialen Medien vermehrt Dopamin und Oxytocin ausschütten, zwei Hormone, die uns ein gutes Gefühl geben. Genau das ist auch der Grund, wieso es so schwer fällt, sich von Facebook und Co. loszusagen. Wer obendrein narzisstisch veranlagt ist und ein hohes Selbstbewusstsein besitzt, der kann dieses durch gezielte Postings in sozialen Medien noch weiter stärken. Aber auch gegenteilige Studienergebnisse liegen vor: Je länger man Social Media nutzt, desto geringer wird das Selbstbewusstsein und desto unzufriedener wird man mit dem eigenen Leben oder dem eigenen Körper. Dies verwundert wenig, schließlich sehen auf Instagram ja alle wie frisch aus dem Ei gepellt aus.
Bilder sind bloß Ausschnitte
Wer selbst dazu neigt, sich von solch perfekten Bildern verunsichern zu lassen, der sollte sich vor Augen halten, dass Bilder stets nur Ausschnitte der Realität sind. Wer weiß schon, was vorher, nachher und während der Aufnahme sonst noch los war? Eine thailändische Fotografin widmete sich in einer Fotoserie genau diesem Thema und zeigt, wie das so perfekt wirkende Foto wirklich zustande kam. Irgendwie beruhigend und angenehm normal …
Ein Gegentrend
Bereits seit längerem werden immer mehr Stimmen laut, die sich gegen die perfekt inszenierte Scheinwelt, die wir alle gemeinsam online konstruiert haben, stellen. Bekannte Instagram-Models ziehen sich aus der Online-Welt zurück, mutige Blogger zeigen unverblümt und auf erfrischende Art und Weise, dass Perfektion und Makellosigkeit auch schlicht langweilig sein kann. Eine willkommene Abwechslung, die viele Nutzer freudig begrüßen. Aber Achtung: Finden wir jetzt nur noch derartige Postings gut, dann stehen wir über kurz oder lang wieder vor der Frage: Ist das nun alles Sein oder Schein?