Go Gucci! Alle lieben Alessandro Michele
Ich bin eine Waschmaschine. Sagt Alessandro Michele. Der Mann, der Gucci wieder "great" gemacht hat. Was er damit meint? Dass er im Schleudergang arbeitet, hochtourig natürlich, und dass er in seiner Arbeit all das wiederholt, verdreht und neu zusammensetzt, was jemals in seiner Trommel gelandet ist. Renaissance und Peanuts, alles geht: "Alles, was mich inspiriert, und alles, was ich zitiere, egal, ob es einen Tag oder vierhundert Jahre alt ist, taucht zur selben Zeit vor meinem geistigen Auge auf - und wird so gegenwärtig. Es ist meine Gegenwart, meine Zeit und es ist die einzige Sache, die ich beschreiben kann und will."
Mit seiner Welt, seinem knallbunten, wilden und verrückten Sammelsurium, hat er Gucci astronomische Umsätze beschert. Im jüngsten Quartal waren es knapp 2,4 Milliarden Euro. Ein Plus von 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr - stark, aber schon deutlich erdnäher als im Jahr 2018, wo es plus 34,9 Prozent gab, oder 2017 mit gar 42,8 Prozent Zuwachs.
Intrigen, Machtkämpfe, Mord
Das ist selbst in der bewegten Geschichte des früheren (Familien-) Unternehmens, das Hochs und Tiefs erlebt hat, eine Sensation. Die Erfolgsgeschichte der Guccis beginnt 1921 im italienischen Florenz. Sattlermeister Guccio Gucci eröffnet eine kleine Werkstatt für Lederwaren. Bis zum großen Durchbruch dauert es allerdings Jahrzehnte - bis in die 1950er-Jahre. Die folgenden drei Jahrzehnte werden zum Goldenen Zeitalter der Guccis: Bekleidung, Parfums, erste Modenschauen. Nichts scheint den Erfolg bremsen zu können - nur sie selbst. Und genau das passiert. In den 1980er-Jahren entbrennt ein Kampf jeder gegen jeden. Einer der Männer sorgt dafür, dass sein 81-jähriger Vater wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis muss (weil dieser ihn zuvor gefeuert hat). Eine der Frauen gibt den Mord an ihrem Mann in Auftrag - und landet dafür 16 Jahre hinter Gittern.
Erstaunlich: Trotz aller Intrigen, Prozesse und Machtkämpfe trifft sich die Familie immer wieder friedlich zum Essen. In den 1990er-Jahren geht es bergab. Maurizio Gucci, der Mann, der 1995 einem Mordanschlag zum Opfer fällt, verkauft das Unternehmen. Die Familie hat von diesem Augenblick nichts mehr mit Gucci zu tun. Rund um die Jahrtausendwende liefern sich die beiden Luxuskonzerne LVMH mit Bernard Arnault und Kering (damals noch PPR) mit Francois Pinault eine Übernahmeschlacht, die Kering schließlich für sich entscheidet.
Tom Fords neue Sexiness
Zu diesem Zeitpunkt hat bereits Tom Ford dem heruntergewirtschafteten Unternehmen ein neues Hoch beschert, ja, er hat Gucci dermaßen seinen Stempel aufgedrückt, dass niemand daran zweifelt, dass er Gucci ist. Schließlich hat er den Umsatz in seinen ersten neun Monaten mit eleganter Sexiness verdoppelt und dieses Kunststück im nächsten Jahr sogar wiederholt. Kein Wunder, dass kurz vor der Jahrtausendwende auftauchende Gerüchte, er könnte Gucci mit Partner Domenico De Sole kaufen, durchaus plausibel erscheinen. Doch es passiert das Gegenteil: Nach Streitigkeiten innerhalb des Konzerns verlassen Ford und De Sole das Unternehmen. Sie ahnen, was jetzt passiert? Gucci stürzt zwar nicht in ein Tief (aber fast), die inhaltliche Bedeutung in der Modewelt schwindet. Zuletzt versucht Frida Giannini der Traditionsmarke modernes Leben einzuhauchen. Vergeblich.
Neuer Star gesucht
Gucci-CEO Marco Bizzarri macht sich auf die Suche nach einem Nachfolger. Dass es Alessandro Michele sein könnte, der Mann, der an der angesehenen Accademia di Costume e di Moda in Rom studiert hat, Junior bei Tom Ford war, Assistent bei Giannini, auf diese Idee kommt er nicht. Bizzarri sagt: "Ich dachte, es wäre niemand bei uns in der Lage, Gucci den Schub zu verpassen, den ich mir vorstellte." Bis er, eigentlich nur aus Höflichkeit, doch mit Alessandro Michele spricht, der sich zu diesem Zeitpunkt mit Abwanderungsgedanken trägt und in innerer Emigration lebt: "Ich habe versucht zu überleben, einfach professionell zu sein." Es macht Klick: "Er wusste alles", sagt Bizzarri. Er kannte die Geschichte des Hauses bis ins kleinste Detail. Er hat eine mutige Vision. "Ich hätte es mir einfach machen können und jemand Berühmten nehmen können." Bizzarri bittet Michele, eine Herrenkollektion zu entwerfen. Nur fünf Tage lässt er ihm dafür Zeit. Und Alessandro Michele lässt alles raus, was sich in den Jahren des Wartens aufgestaut hat. Er mutiert zur Waschmaschine. Füllt alles in die Trommel, was ihn bewegt.
Michele geht einen neuen Weg
Das Ergebnis: eine Vision, ein völlig neuer Weg. "Es ist eine Möglichkeit, über Liebe zu sprechen", sagt Alessandro Michele. Das mag nicht jedermann verstehen. Aber wir verstehen sehr wohl, dass uns die Mode zu Verwandlungskünstlern macht. Und Stars wie Jared Leto zu Gucci-Ikonen, zu Botschaftern eines bunten Selbstbewusstseins, abseits traditioneller Rollen und doch dem Zeitgeist so nah. Alessandro Michele sagt: "Mode ist die schönste Illusion, die man haben kann." Er schafft es, diesen Illusionen Leben einzuhauchen. Und verzichtet dabei natürlich auf den Schonwaschgang.