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Carmen Bischof

Albtraum Fliegen: Autopilot statt Autofahren

17.07.2017 um 13:08, Weekend Online
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Um 1900 wurde der Traum vom Fliegen dank der Gebrüder Wright Wirklichkeit. Seither leben wir den Alptraum Fliegen. Ich muss es wissen, ein übellauniges Schicksal hat mir ein Vielflieger-Kürzel eingebrockt. Seither schlagen diverse Fluglinien tiefe Furchen in mein Wohlbefinden und rauben mir dank ständiger Verspätungen meine Zeit.

Wenn ich besonders schlecht schlafe, bin ich immer am Flughafen. Flugzeuge verfolgen mich in meinen Träumen: Unendlich lange Gänge muss ich entlanglaufen. Die rollenden Förderbänder, mit denen man laut Plan der Architekten schneller vorankommt, sind defekt. Die elektronischen Anzeigetafeln rattern über den Köpfen und prahlen in fröhlichem Signalrot mit Verspätungen. Bei Sicherheitskontrollen muss ich mich rechtfertigen und erklären, warum ich ausgerechnet mit einem Nudelholz verreisen möchte. An den Gates stehen Menschenmassen. Es sind die ewig gleichen unpassenden Mischungen aus Anzug- und Jogginghosen-Trägern, Priestern in bodenlangem Schwarz und leichtbekleideten Urlauberinnen in Pink, Kinderwägen und Rollkoffer und Aktentaschen und Rucksäcken. Über allem regiert das unwirsche Bodenpersonal in fantasievollen Uniformen und noch fantasievolleren Verboten. Dann blinzle ich, doch anstatt aufzuwachen, merke ich, das ist die Wirklichkeit des Fliegens.

Hollywood kennt die Wahrheit

Das mit dem Traum vom Fliegen ist ein Mythos, auf den nicht einmal die Traumfabrik Hollywood hereinfällt. Zum Autofahren gibt es Road Movies. Weite Landschaften künden von Freiheit und Unabhängigkeit und davon, dass alles möglich ist, wenn man nur den Aufbruch wagt.

In "Thelma und Louise" schaut sogar der nichtsnutzige Typ für den One-Night-Stand aus wie Brad Pitt. Besser noch: Es ist tatsächlich Brad Pitt, nur jung und schön und ohne ein Dutzend Kinder aus aller Herren Länder.

In "Blues Brothers" bekommst du nicht nur eine geballte Ladung Auto und Straße, sondern gleich einen Abriss der Musikgeschichte abzüglich der entbehrlichen Teile, also allem vor 1950. In "Mad Max", "Bonnie und Clyde", "Natural Born Killers" und so ziemlich allem von Tarantino feiert Hollywood den Outlaw und das Unterwegssein auf Rädern.

Über das Fliegen hingegen drehen Regisseure vor allem Katastrophenfilme. In denen ist meist ein Flugzeug dem Absturz nahe. Der Pilot ist bewusstlos oder betrunken oder gekidnappt oder schwer verletzt oder aus anderen absurden Gründen nicht einsatzfähig. Infolgedessen muss eine Stewardess mit verrutschter Frisur den Vogel im Alleingang landen, wobei sie nur eine eselohrige Bedienungsanleitung oder eine knatternde Funkverbindung mit einem spanischsprachigen Flugtower als Hilfe benutzen darf.

Der längliche Raum des Flugzeugs eignet sich nicht für gute Kameraeinstellungen, und die zusammengepferchten Sitze noch weniger. Das sollte uns zu denken geben. Was nicht einmal im Film schön ist, kann in echt nur grauslich sein. Die einzig schönen Fotos von Flugzeugen sind die aus dem Flugzeug hinaus in den Himmel. Drinnen herrscht die Hölle.

Das einzig genießbare Flugzeug-Essen – Nikis Schnittlauchbrot – haben sie vor Jahren aus Kostengründen gestrichen. Um die Situation weiter aufzuheizen gurgelt die Fluglinie den Passagieren Zwangsmusik vor. Wenn ich Pilotin oder Stewardess wäre, würde ich beim ersten Takt des Donauwalzers Schaum vor dem Mund kriegen.

Das Schlimmste am Fliegen jedoch ist der Kontakt mit den anderen Mitreisenden. Außer "Up in the Air" kenne ich keinen Film, in dem jemand auf einem Flug eine interessante Bekanntschaft macht, und nicht einmal in "Up in the Air" geht es für die beiden gut aus. Das heißt etwas, denn der männliche Part wird von George Clooney gespielt.

Ellbogenkämpfe und Bordgespräche

Kaum eingestiegen beginnt der Ellbogenkampf um die Mittellehne. Der hinter der tritt dir ungehemmt in die Nieren, während der vor dir seinen Sitz in die maximal mögliche Liegeposition bringt. Gestresst und ungehalten sitzen Passagiere wie Hühner in Legebatterien auf zu engem Raum und beginnen aufeinander herumzuhacken. Oder noch schlimmer: Sie beginnen sich mit dir zu unterhalten.

Seit Jahren fantasiere ich von meinen persönlichen Antworten auf die idiotischen Fragen, die von unbekannten Mitreisenden gestellt werden.

"Fliegen Sie auch nach Frankfurt?"
("Nein, lieber Herr auf dem Gangplatz neben mir, mein Sitz beamt mich magischerweise in die Traumdestination Bali. Stellen Sie sich vor: Wir fliegen mit dieser Maschine alle in völlig unterschiedliche Richtungen.")

"Sind Sie auch beruflich unterwegs?"
("Nein, es ist nur ein Hobby von mir, um halb fünf aufzustehen und im schwarzen Anzug zum Flugzeug zu hetzen. Spaß beiseite: Ich bin Agentin, und wenn ich Ihnen mehr über meine Pläne sage, muss ich Sie umbringen.")

"Macht es Ihnen etwas aus, wenn Sie statt mir den Mittelsitz nehmen?"
("Im Mittelsitz mir wird schneller schlecht, als Sie Speibsackl buchstabieren können.")

"Könnten Sie bitte meine Hand halten, ich hab solche Flugangst."
("Wollen wir sie nicht lieber abhacken?")

Home Sweet Rolling Home

Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, gibt es natürlich Staus, Verkehrslärm, widersinnige Umleitungen, gefährliche Situationen und Horden wahnsinniger Verkehrsteilnehmer. Aber die sind draußen, und bei mir drinnen herrscht Ruhe. Das Auto ist das verlängerte Eigenheim, das alle anderen Verkehrsteilnehmer auf Distanz hält. Das ist der wahre Grund für die Faszination Auto – man ist zuhause und bewegt sich doch.

Im Auto gibt es keine Borddurchsagen, keinen Lärm, keine Verzögerungen aufgrund der verspäteten Ankunft der letzten Maschine. Es kommt auch nie zu Zwangsunterhaltungen mit gänzlich unbekannten Menschen, mit denen ich nur eins gemeinsam habe: Wir wollen zufällig in die gleiche Richtung.

Die einzige Geräuschkulisse im Auto ist Musik nach meinem Geschmack. "Gimme! Gimme! Gimme!" frohlocken ABBA, während Alphaville ewige Jugend verspricht. Bacharach versprüht edle Nostalgie, Bilderbuch dröhnt und wummert und jault, David Bowie bietet ewig moderne Sounds und Visionen, und da sind wir erst beim B und noch nicht einmal über den zweiten Buchstaben im Alphabet hinausgekommen.

Später - beim P - tritt Prince auf und mit ihm das schönste Lied über das Autofahren und die Liebe überhaupt. Bei "Little Red Corvette" wird auch ein alter rostiger Polo zum Star des eigenen Road Movies. Draußen mag Verkehr sein, drinnen ist die Welt in Ordnung.

Carmen Bischof ist gebürtige Murauerin ("die Stadt mit dem besten Bier", betont sie!), beruflich und privat gerne auf Reisen, beruflich in Sachen Vertriebssteuerung für die Senzor Industries AB aus Schweden unterwegs und privat auf der Suche nach schönen Orten, gutem Bier und lässigen Aktivitäten.

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