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Ich als "Pippi Langstrumpf"
Ich als "Pippi Langstrumpf"
Carmen Bischof

Zwischen Elchen, Fähren und Volvos in Schweden

06.07.2017 um 12:35, Weekend Online
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Wenn Sie einem Genforscher ausreichend Geld und den Auftrag geben würden, das für den Straßenverkehr am allerwenigsten geeignete Tier zu entwickeln, käme er in ein paar Monaten mit einem Ergebnis: dem Elch.

Den Elch gibt es schon, daher überspringen wir den Genetiker und hüpfen direkt in den schwedischen Straßenverkehr. Mit seinen langen Beinen, den verkehrt herum montierten Knien, dem massiven felligen Körper und dem abgerundeten Geweih ist das schwedischste aller Tiere der Alptraum aller Autofahrer. Jeder Autofahrer hat eine Geschichte, in der ein Elch und ein Auto vorkommen, und Schweden baut seit Jahrzehnten die sichersten Autos der Welt. Da mich die Liebe und das Geschäft oft in den Hohen Norden führen, gibt es auch meine persönliche Elchgeschichte – genauer genommen zwei.

Das beste Bier der Welt - finden auch die Elche im Zoo!

Schweden, wo sind deine Fahrer?

Für ein typisch schwedisches Szenario brauchen Sie eine weite grüne Landschaft, viel Himmel darüber, gut erhaltene Straßen und einen Auto-Mix bestehend aus 85% Volvos, 5% Saab und einem vernachlässigbaren Rest an Modellen, die von Exzentrikern ohne Rücksicht auf Werkstatt- und Ersatzteilkosten ausgewählt wurden. In Schweden fährt man Volvo oder Saab, und das, obwohl Schweden seit Jahren systematisch an der Vernichtung der heimischen Autoindustrie arbeitet.

Citymaut, 24-Stunden-Parkgebühren, widersinnige innerstädtische Straßenführung, umfassende Umbauarbeiten von noch halbwegs sinnvoller zu komplett widersinniger Straßenführung – sie alle haben ein Ziel: den Autoverkehr einzudämmen und aus den Schweden Radfahrer, Fußgänger, Zugnutzer und Daheimbleiber zu machen. Brav wie die Schweden sind, machen sie das auch. Als Kollateralschaden ist Volvo jetzt in den Händen der Chinesen, und Saab ist nach rühmlichen Jahren als größtes Steuergrab des Landes endlich Geschichte.

Ich im Volvo-Museum

Schnellfahren in Schweden? Gibt's nicht!

In Schweden wohnen die besonnensten, rücksichtsvollsten, vernünftigsten, ruhigsten und angenehmsten Menschen der Welt. Der einzige Nachteil, wenn es um Autos geht, ist, dass das Land daher nie wirklich große Rennfahrer hervorgebracht hat. Es ist ein Wunder, dass ein Land von Stoikern die gnadenlos unangepassteste Figur der Weltliteratur hervorgebracht hat. Wie Pippi Langstrumpf Auto gefahren wäre, können wir nur mutmaßen.

Wer Schwedisch lernt, macht zuerst Bekanntschaft mit kulinarischen Wörtern wie “kanelbullar” und “köttbullar” (ausgesprochen werden sie als “schöttbullar” genau wie der norddeutsche “S-chemiker”). Sobald man die Zimtschnecken und Fleischknödel verdaut hat, wartet das Schwedische mit “samhälle” (Gemeinschaft) und “lagom” auf. Letzteres bedeutet: “genau richtig viel, nicht zuviel, nicht zuwenig, sodass jeder genug hat, denk auch an die anderen”. So fühlt sich das Autofahren in Schweden an – angenehm ereignislos. Das einzige, was diese Ruhe stören kann, ist eine von zwei Naturgewalten: das schwedische Wetter oder der schwedische Elch.

Elch-Test, der erste

Damit zurück zur ersten Elch-Geschichte: In dieser sitzen wir zu zweit in einem Volvo, am Steuer mein schwedischer Liebster, am Beifahrersitz bewundere ich die weite Landschaft, die ab und zu von Wasserarmen unterbrochen wird. Die Schweden haben dann entweder eine Brücke gebaut oder lassen einfach eine Fähre fahren. Zur Begeisterung eines Binnenlandkindes gelten Fähren als Teil des Straßennetzes und sind - Ferieninseln ausgenommen - gratis.

Unterwegs auf der Fähre in Schweden

Mitten in die Elchgeschichte stolziert kein einzelner Elch, sondern gleich eine Elchkuh mit Kalb. Mit hochmütigen langen Nasen gehen sie langsam vom Wald Richtung Straßenrand, und es passiert ein schwedisches Wunder: Alle Autos bleiben stehen. Es sind zehn Autos, davon acht Volvos, ein Audi und ein kleiner Renault. Der Saab hat frei. Die Menschen in den Autos sehen den Elchen schweigend und andächtig beim Überqueren der Straße zu – nur die Österreicherin hüpft am Beifahrersitz auf und ab und schreit begeistert “Oh, oh, oh, oh, oh, oh, oh, Elch, Elch, Elch, Elch, Elch, Elch, Elch”. Ohne sich umzublicken verschwinden die Elche im Wald, und alle fahren weiter, nur noch etwas langsamer als zuvor. Mein Liebster neigt sich zu mir und sagt: “Nicht sieben Elche, nur zwei.”

Elch-Test, der zweite

In der zweiten Elch-Geschichte kommt der gleiche Volvo vor. Gleich vorweg: Gewöhnen Sie sich bitte nicht zu sehr an ihn. Mein Liebster steigt in Wien aus dem Flugzeug, das Telefon am Ohr. Es ist ein langes, ruhiges Telefonat, in dem er sehr oft “ahh, aaah, aaahaaa” sagt. Hinterher fasst er den Inhalt für mich zusammen.

“Meine Schwester hat mit meinem Auto einen Unfall gehabt. Mit einem Elch.”
“Oh nein! Wie geht es ihr?”
“Bei ihr ist alles in Ordnung.”
“Und der Elch?”

Schweigen und ein gefährlich blauer Blick. Ich schlucke.

“Und der Volvo?”
“Meine Schwester meint, es ist nur die Windschutzscheibe. Ich würde sagen, Totalschaden.”

Die Werkstatt liefert die endgültige Diagnose und schließt sich der Meinung meines Liebsten an. Die Windschutzscheibe existiert nicht mehr, denn der hochbeinige Elch hat sich durch diese in Richtung Innenraum katapultiert. Neben der Windschutzscheibe hat der Volvo umfangreiche Schäden an Stoßstange, Motorhaube, Kotflügel rechts, A-Säule sowie diverse innere Verletzungen, denen er schließlich erliegt. Der Volvo wird zum Kilopreis feinsten schwedischen Stahls abgegeben. Ein Opfer der Elche.

Carmen Bischof ist gebürtige Murauerin ("die Stadt mit dem besten Bier", betont sie!), beruflich und privat gerne auf Reisen, beruflich in Sachen Vertriebssteuerung für die Senzor Industries AB aus Schweden unterwegs und privat auf der Suche nach schönen Orten, gutem Bier und lässigen Aktivitäten.

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