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Wütender Mann, der schreit
iStock.com/Giulio Fornasar

Verflucht noch mal! Schimpfwörtern auf der Spur

20.11.2023 um 15:37, Alexandra Nagiller
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Schimpfen hat etwas Befreiendes. Doch warum fluchen wir? Wer flucht besonders eloquent? Und gibt es einen Fluchknigge? Eine Spurensuche.

Fakt ist: Flüche und Beschimpfungen gibt es seitdem es Menschen gibt. Überliefert sind etwa ägyptische Flüche wie "Ein Esel soll Dich vögeln!" – dieser wird übrigens noch heute in arabischen Ländern benutzt. Und auch in der Bibel fluchte Gott etwa gegen die Schlange oder Kain. Ausdrücke wie die "Giftschlangenbrut" gehören da noch zu den harmloseren. Auch in der Kunst wurde geflucht: Mozart komponierte z.B. 1782 den Kanon "Leck mich am Arsch KV 231". Und die Literatur brachte besonders kreative Flüche hervor – Thomas Schwab kreierte z.B. das Todesfotzenereignis. "Er war ein wahrer Meister im Kreieren von langen zusammengesetzten Schimpfwörtern wie Klugheitsscheißerungsfortsetzungsmoralist oder Menschenvereinigungsausscheidungsorgan. Aber auch Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Turrini oder Peter Handke waren verbal recht expressiv", erklärt Sprachwissenschaftlerin und Autorin Oksana Havryliv.

Warum fluchen wir?

Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat das Fluchen einmal als "psychohydraulischen Instinktvorgang" bezeichnet – quasi zum Dampf ablassen. Und das trifft es ziemlich gut: Der Ärger muss einfach raus. "Wir schimpfen hauptsächlich, um uns abzureagieren, aber auch scherzhaft oder beleidigend", erklärt Havryliv. Darüber hinaus habe Schimpfen aber auch noch viele weitere Funktionen – zum Stressabbau, schmerzlindernd (z.B. bei Wehen), anspornend, verstärkend, angstbewältigend oder als Widerstand. "Schleich di, du Oaschloch" wurde etwa 2020 zur Wiener Antwort an den Terroristen – und war der Spruch des Jahres.

Im Endeffekt kann alles je nach Kontext zu einem Schimpfwort werden, selbst neutrale Wörter. Die Lautstärke spielt aber immer eine Rolle.

Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv

Gängigste Schimpfwörter

Fluchen und Schimpfen geschieht übrigens meistens spontan, ohne viel nachdenken. Die gängigsten Schimpfwörter sind daher recht unkreativ: Trottel, Arschloch, Idiot, Arsch, Sau etc. Spannender ist es in Sachen Metaphern (siehe unten). Auch Wortkreuzungen seien recht gängig: "Corona hat viele inspiriert, etwa zu Covidiot, Virol oder Coronials. Aber auch im Kriegsalltag in der Ukraine wird dies gerne genutzt, etwa als Putler (Putin und Hitler) oder Raschisten (Russen und Faschisten). Im Endeffekt kann aber alles je nach Kontext zu einem Schimpfwort werden, selbst neutrale Wörter. Die Lautstärke spielt dabei aber immer eine Rolle", weiß die gebürtige Ukrainerin.

Beispiele für die Herkunft metaphorischer Schimpfwörter:

- Tierbezeichnungen (Esel, Kuh, Zecke, Kröte)
- Flora (dumme Nuss, Gurke)
- Fäkalien (Scheiße, Mist, Kotzbrocken)
- Gegenstände (Besen, Schachtel, Sack)
- Mythologie (Drache, Hexe, Zwerg)
- Namen (Blöder Heini, törichte Urschel)

Jiddische Fluchformel

Besonders einfallsreich sind übrigens jiddische Verwünschungen, die sich auch im Wienerischen niederschlagen. "Hier wird meist etwas Schlimmes gewünscht und dann verstärkt", wie die Expertin erklärt und gleich zwei Beispiele liefert: Ich wünsche Dir Krätze am Arsch und zu kurze Hände zum Kratzen. Und: Alle Zähne sollen Dir ausfallen bis auf einen, damit Du weißt, was Schmerzen sind.

Andere Länder, andere Flüche

Schimpfen im deutschsprachigen Raum unterscheidet sich übrigens deutlich von dem anderer Regionen bzw. Länder. Die Wissenschaft unterscheidet Shit-Kulturen, zu der wir zählen, Sex-Kulturen (z.B. Russisch, Englisch), Sacrum-Kulturen (Spanisch, Italienisch) und Verwandtenschmähung (Naher Osten). Aber es schaffen auch immer wieder Begriffe anderer Sprachen in uneren Wortgebrauch – wobei Havryliv das relativiert: "Merde (französisch) oder cazzo (italienisch) kommen bei weitem nicht mehr so häufig vor wie vor 15 Jahren. Die Jugendsprache ist hier noch am dynamischsten. Durch YouTube, Influencer oder Rapper schaffen es neue Begriffe in den Sprachgebrauch, wie etwa AMK, die Abkürzung von amına koyim, was frei übersetzt ,ich mach dich fertig‘ bedeutet."

Unterschiede bei Männern und Frauen

Beleidigend sollen übrigens Beschimpfungen nicht zwangsläufig sein. "Unter Kumpels oder Jugendlichen kann das eine Anredeform sein, gehört zur Gruppe und ist eher lustig oder sympathisch gemeint. Es ist zwar ein schmaler Grat, aber die Nutzung ohne zu kränken zeichnet Freundschaften aus", so die Autorin. Große Geschlechterunterschiede sieht sie übrigens nicht: "Frauen schimpfen tendenziell etwas bildhafter, Mann und Frau verwenden aber in ähnlichem Umfang Schimpfwörter. Einen Unterschied gibt es lediglich in der Wahrnehmung: Für Frauen drehen sich die schlimmsten Schimpfwörter um Aussehen und Alter, für Männer um Charaktereigenschaften, sexuelle Anspielungen und die Mitbeleidigung der Mutter." Dass wir mehr als früher schimpfen, glaubt sie übrigens nicht – sehr wohl aber, dass dies nun sichtbarer ist dank der Sozialen Medien und einer generellen sprachlichen Verrohung: "Es gibt einfach kaum eine bessere Art, das Gesagte zu verstärken."

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