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2024 wurden über 60.000 Freiheitsbeschränkungen in Pflegeeinrichtungen gemeldet – Tendenz weiter steigend.
2024 wurden über 60.000 Freiheitsbeschränkungen in Pflegeeinrichtungen gemeldet – Tendenz weiter steigend.
2024 wurden über 60.000 Freiheitsbeschränkungen in Pflegeeinrichtungen gemeldet – Tendenz weiter steigend.
KATARZYNABIALASIEWICZ / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS

Alarmstufe Rot: Zwang in Pflegeheimen steigt

30.07.2025 um 10:44, Yunus Emre Kurt
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Über 60.000 Freiheitsbeschränkungen in Heimen gemeldet – Personalmangel, Medikamente und Fixierungen nehmen drastisch zu. Kinder sind ebenfalls betroffen.

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Die Zahl der gemeldeten Freiheitsbeschränkungen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen hat 2024 einen neuen Höchststand erreicht. Wie die Bewohnervertretung Vertretungsnetz mitteilt, wurden im vergangenen Jahr rund 60.200 Maßnahmen gemeldet, ein Anstieg von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Dreijahresvergleich beträgt das Plus sogar rund ein Drittel. 

Betroffen sind rund 22.100 Menschen, viele davon mehrfach. Zu den Maßnahmen zählen etwa das Versperren von Räumen, die Fixierung mit Gurten oder die Gabe sedierender Medikamente. Die Bewohnervertretung spricht von einer "alarmierenden Entwicklung" und kritisiert die Rahmenbedingungen in den Einrichtungen.

Pflegeheime besonders betroffen

Besonders deutlich zeigt sich der Anstieg in Alters- und Pflegeheimen. Allein hier wurden rund 30.400 neu angeordnete Maßnahmen registriert. Die häufigste Form der Freiheitsbeschränkung: sedierende Medikamente, in 71 Prozent aller Fälle. Aber auch Rollstuhl-Gurtsysteme und Bett-Seitenteile kommen laut Vertretungsnetz wieder vermehrt zum Einsatz. 

Als besonders besorgniserregend wertet die Organisation die Tatsache, dass auch Maßnahmen zunehmen, die das Verlassen bestimmter Bereiche verhindern, etwa das Abschließen von Türen. Es ist das erste Mal seit der Pandemie, dass diese Form von Zwang wieder häufiger angewendet wird.

Personalmangel als Hauptursache

Hintergrund für die steigende Zahl an Eingriffen ist laut Vertretungsnetz der anhaltende Personalmangel in der Pflege. „Obwohl viele Betreuungskräfte mit großem Engagement arbeiten, führt die Personalnot dazu, dass Bewohnerinnen und Bewohner seltener mobilisiert werden“, so Fachbereichsleiterin Grainne Nebois-Zeman. In der Folge nähmen Zwangsmaßnahmen und Einschränkungen der Lebensqualität deutlich zu. 

Die Organisation fordert daher mehr Ressourcen, bessere Arbeitsbedingungen und eine verstärkte Kontrolle durch die Träger und Bundesländer.

Auch Kinder und Jugendliche betroffen

Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche sind von Freiheitsbeschränkungen betroffen. Insgesamt wurden 6.800 Maßnahmen in stationären Einrichtungen und Sonderschulen gemeldet. 2.123 Minderjährige waren von einer oder mehreren Maßnahmen betroffen. 

Dabei geht es unter anderem um den Einsatz von Psychopharmaka oder das körperliche Festhalten bei Impulsdurchbrüchen. Besonders im urbanen Raum sei die Betreuung traumatisierter Kinder laut Vertretungsnetz zunehmend schwierig. Zwangsmaßnahmen seien häufig eine Folge von Überforderung in den Betreuungsteams.

Warnung vor langfristigen Folgen

Die Bewohnervertretung mahnt zur Zurückhaltung, insbesondere bei Eingriffen in die Rechte von Kindern. „Zwangsmaßnahmen können die jungen Menschen erneut traumatisieren und Entwicklungschancen einschränken“, warnt Nebois-Zeman. Jeder einzelne Fall müsse sorgfältig geprüft werden, mit dem Ziel, Zwang durch Alternativen zu ersetzen.

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