Esther Graf: "Mich hat keiner entdeckt."
Vom Dorf auf die große Bühne: Die 26-jährige Kärntnerin erzählt, wie sie sich ihre Karriere selbst aufgebaut hat, warum sie ein Fan von Wut ist und wie wichtig es ist, als Künstlerin die Stimme zu erheben.
Mit über zwei Millionen monatlichen Hörern auf Spotify zählst du zu den erfolgreichsten Musikern Österreichs – hättest du dir das jemals erträumt?
Esther: Anfangs dachte ich, so schwierig kann das doch nicht sein. Als ich dann anfing, habe ich aber gemerkt, dass es doch ein langer Weg ist, bis man eine eigene Karriere aufgebaut hat. Es dauert, bis man das richtige Team und die passenden Songs hat – und für sich versteht, was man eigentlich machen will. Es ist eine Reise, die nie aufhört. Man hat auch ständig das Gefühl, nicht von der Bildfläche verschwinden zu dürfen, sonst ist alles wieder weg, was man sich aufgebaut hat. Wahrscheinlich ist es gar nicht so extrem, aber gerade in Zeiten von Social Media ist es wichtig, am Ball zu bleiben, damit die Leute einen immer auf dem Radar haben.
Wann nahm deine Karriere dann so richtig Fahrt auf?
Esther: Nach der Schule habe ich meine Karriere selbst in die Hand genommen. Ich habe Demos an Leute geschickt, die mir vielleicht Feedback geben könnten – unter anderem auch an das Team von Sänger Cro. So entstand eine Einladung nach Berlin für erste Sessions, während ich nach und nach neue Kontakte knüpfte. Es waren viele kleine Schritte nötig, kein plötzlicher Durchbruch. Mich hat keiner entdeckt – ich habe es mir selbst erarbeitet. Voll verrückt, dass alles eigentlich mit einem einzigen E-Mail angefangen hat ...
Derzeit stürmt „Rage Girl“ von Nina Chuba die Charts – du bist beim Remix dabei, der das Thema Female Rage aufgreift. Warum passt der Song gerade jetzt so gut?
Esther: Ich glaube, viele Künstlerinnen haben ähnliche Erfahrungen gemacht – in der Musikbranche, aber auch darüber hinaus. Wir müssen uns oft doppelt und dreifach beweisen und werden manchmal unterschätzt, ob live oder im Studio. Jede von uns hat in irgendeiner Form Sexismus erlebt oder sich nicht gehört gefühlt. „Rage Girl“ ist da unser Sprachrohr: Er behandelt ein wichtiges Thema, ist aber trotzdem leicht, macht Spaß und er gibt Raum, diese Wut rauszulassen.
Und wie wütend bist du eigentlich?
Esther: Wut ist oft negativ behaftet, aber es gibt auch diese positive Wut – die, bei der man für sich einsteht und gegen Ungerechtigkeit aufsteht. Das ist eine total berechtigte und wichtige Wut. Gemeinsam hat das noch mehr Impact. Viele Leute haben den Song gehört und sich dadurch vielleicht ermutigt gefühlt, für sich einzustehen, auch wenn man Gefahr läuft, als „anstrengende Zicke“ abgestempelt zu werden. Also ich bin ein totaler Fan von Wut.
Du hast Kärnten gegen Berlin getauscht. Was fehlt dir an deiner Heimat am meisten?
Esther: Ich bin tatsächlich oft daheim bei meiner Familie, man sieht mich spätestens alle zwei Monate in Kärnten oder irgendwo in Österreich. Es gibt mir einfach den perfekten Ausgleich, da mein Alltag in Berlin stark von der Musikindustrie geprägt ist. Nach Hause zu kommen zeigt mir, dass die Welt nicht nur aus Musik besteht, und das ist für meine persönliche Entwicklung super wichtig.
Wie viel Kärntner Madl steckt noch in Esther Graf?
Esther: Eigentlich ziemlich viel. Sobald ich zu Hause bin, rede ich wieder im Dialekt und genieße die Natur. Ich war zwar nie die große Landjugendmaus (lacht), aber ab und an sieht man mich dann trotzdem auf einem Dorffest.