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Zwei Frauen, die sich nicht verstehen.
Internalisierte Misogynie: Die verinnerlichte, sexistische Grundhaltung von Frauen gegenüber anderen Frauen.
Internalisierte Misogynie: Die verinnerlichte, sexistische Grundhaltung von Frauen gegenüber anderen Frauen.
iStock.com/Deagreez

Problematischer Trend: Pick Me Girls

27.11.2023 um 11:20, Nina Dam
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Auf TikTok und Co. gibt es zahlreiche Videos, von sogenannten "Pick Me Girls" – was es mit diesem Begriff auf sich hat, und welche Probleme dahinterstecken.

Frauen sind anstrengend, Fußball macht Spaß und Make-up ist uncool – diese Aussagen könnten von einem „Pick Me Girl“ stammen. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Nimm-mich-Mädchen“. Das Urban Dictionary definiert den Begriff als „eine Frau, die alles dafür tun würde, um die Anerkennung eines Mannes zu bekommen“. Dazu gehört unter anderem auch, andere Frauen schlechtzumachen und sich selbst immer wieder in den Vordergrund zu stellen, um sich besser zu fühlen. Dabei kann es um rein äußerliche Erscheinungen gehen, aber auch um charakteristische Eigenschaften, die dem männlichen Geschlecht vermeintlich besser gefallen.

Social Media

Vor einiger Zeit verbreitete sich die Bezeichnung „Pick Me Girl“ auf den sozialen Netzwerken, vor allem auf der Video-Plattform TikTok. Wo genau Trends im Internet herkommen, ist nicht immer leicht herauszufinden. Doch dieser Begriff ist eindeutig auf eine Szene der berühmten Ärzte-Serie „Grey’s Anatomy“ zurückzuführen. Dabei geht es um den gutaussehenden Oberarzt, genannt „McDreamy“, der sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss. Meredith Grey, gespielt von Ellen Pompeo, bittet ihn, sich zu entscheiden mit den Worten: „Pick me, choose me, love me – übersetzt: Wähle mich, entscheide dich für mich, liebe mich. In diesem Zusammenhang findet man sämtliche Videos von Frauen, die ihre gleichgeschlechtlichen Kumpaninnen als „Pick Me Girl“ bezeichnen, sich darüber lustig machen und es auch abwertend meinen. Unzählige Kurzclips gingen schon nach kurzer Zeit viral, doch hinter dem zunächst lustig gemeinten Trend, verbergen sich viele Unsicherheiten und Probleme.

Das Verhalten 

Mittlerweile gibt es ganze Listen von spezifischen Charaktereigenschaften und Handlungsweisen, die „Pick Me Girls“ an den Tag legen. Beispielsweise sind sie oft die einzige Frau in einer Männerrunde – da ihnen andere Frauen einfach zu zickig sind, sie finden das „typisch Weibliche“ uncool und eifern lieber typischen Männerhobbys nach. Darüber hinaus haben sie oft einen alternativen Kleidungsstil und besitzen keine „klassisch-weibliche“ Mode. Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass diese Verhaltensweisen bewusst verwendet und eingesetzt werden, um größtenteils Männern zu gefallen und sich selbst besser darstellen zu können. Eine Frau, die vornehmlich mehr männliche Freunde hat, gerne Fußball spielt und die sich nicht so gerne stylt, ist noch lange kein „Pick Me Girl“.

Eine Gruppe mehrerer Frauen, die sich gut verstehen.
Frauen sollten sich nicht als mögliche Konkurrenz sehen, sondern einander akzeptieren und supporten.

Problematiken 

Auch wenn der Trend auf Social Media größtenteils der Unterhaltung dient, sind im Hintergrund ernsthafte Probleme damit verbunden. Einer dieser negativen Effekte ist, dass sich weibliche Stereotype dadurch immer stärker in unseren Köpfen verankern. Denn „Pick Me Girls“ werten exakt diese Charakteristika ab, die in unserer Gesellschaft stereotypisch Frauen zugeschrieben werden. Das sind beispielsweise Eigenschaften wie: sich gerne zu schminken, sich schick zu kleiden oder Gefühle zu zeigen. Das Problem: Wenn genau diese Eigenschaften noch weiter abgewertet werden und das auch noch von Frauen selbst, verfestigen sich diese Stereotype immer mehr. Und ist es nicht schon längst an der Zeit, sich endlich von ständigen Stereotypisierungen zu lösen und sich nicht immer für seine Interessen rechtfertigen zu müssen?

Verinnerlichte Glaubenssätze 

Die Problematiken im Zusammenhang mit „Pick Me Girls“ sind noch weitaus größer und komplexer, als man zunächst glauben mag. Denn auch die internalisierte Misogynie spielt eine große Rolle bei diesem Thema. Dieser Begriff beschreibt die verinnerlichte, teilweise unterbewusste sexistische Grundhaltung von Frauen gegenüber Frauen. Angefangen hat dies mit veralteten Rollenbildern, die noch immer tief in unseren Köpfen verankert sind, und sie loszuwerden ist gar nicht so einfach. Jeder weiß, dass Sexismus zu unserem alltäglichen Leben dazugehört und oft ist er leider auch ziemlich offensichtlich. Als aufgeklärte Frau denkt man meistens, man könne selbst nie sexistisch sein – doch die Realität sieht anders aus. Denn internalisierte Misogynie betrifft uns alle, sehr deutlich erkennbar am „Pick Me Girl“-Trend. „Typisch weibliche“ Eigenschaften und Interessen werden abgewertet – also genau das, was ein „Pick Me Girl“ oftmals bewusst macht. Doch genau hier ist das Kernproblem: Es geht meistens nicht darum, nicht wie andere Frauen zu sein. Sondern einfach nicht so zu sein, wie alte Rollenbilder es seit hunderten von Jahren zeigen.

Wir alle leben in einer patriarchal geprägten, heteronormativen Gesellschaft.

Eva Eli Taxacher, Koordination und Lehrgangsleitung GenderWerkstätte, Frauenservice Graz

Im gleichen Boot 

„Pick Me Girls“ gab es natürlich auch schon vor dem viralen TikTok-Trend. Die deutsche Autorin und Schauspielerin Sophie Passmann verfolgt in ihrem neuen Buch „Pick Me Girls“ die Grundthese, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß geworden sind, ganz automatisch „Pick Me Girls“ sind. Demnach haben alle Frauen im Laufe ihres Lebens das Bedürfnis, anderen Frauen und sich selbst zu beweisen, „besonders“ zu sein. Und das mit dem Hintergedanken, die Anerkennung von Männern zu bekommen. Die Gesellschaft, in der wir leben, lehrt es uns also nicht anders.

Geschichtlicher Diskurs 

Das Patriarchat ist bereits vor tausenden Jahren entstanden, als die Menschheit den Ackerbau etablierte. Damals waren alle Geschlechter noch gleichgesetzt. Doch der Ackerbau und die Viehzucht führten zu einer radikalen Ernährungsumstellung und einer geringeren Mobilität – Menschen wurden sesshaft. Dadurch verkürzten sich die Abstände der Geburten massiv und das schwächte erstmals die Position der Frauen.

Weiblicher Support 

Im Grunde kennen wir also alle das Gefühl, sich in bestimmten Situationen bewusst anders verhalten zu wollen, um dem männlichen Geschlecht zu gefallen. Dieses Denkmuster wird uns schon früh beigebracht. Wenn man sich aber mit diesen Themen auseinandersetzt, stoßt man mit Sicherheit auf einige „Aha-Momente“ und man wird wieder daran erinnert, einander zu unterstützen, statt sich gegenseitig klein zu machen.

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