Umfrage: Diskussion um die Freigabe von Haschisch und Marihuana
Die NEOS haben sich vergangenes Wochenende bei ihrer Mitgliederversammlung für die Legalisierung von Cannabis ausgesprochen und somit erneut eine breite Diskussion über die Freigabe von Marihuana gestartet. In einem Blogbeitrag argumentiert Michael Pock, dessen Antrag den Stein erst ins Rollen brachte, dass die bisherige Regelung den Konsum in keiner Weise eingeschränkt habe.
Neues Kiffer-Mekka
Im US-Bundesstaat Colorado darf sich seit 1. Jänner 2014 jeder Bürger über 21 Jahre seine Rauschware legal im lizenzierten Drugstore kaufen. Erlaubt sind 28,2 Gramm pro Tag und einheimischem Käufer, eine stattliche Menge, die ausreichen würde, eine Schulklasse tagelang vollzudröhnen. Nach Colorado hat auch Washington in Sachen Cannabis-Freigabe nachgezogen. Am 4. November stimmt Alaska über die Legalisierung ab. Laufen diese Großversuche positiv, werden sich vermutlich weitere Bundesstaaten anschließen. Das ist umso wahrscheinlicher, als sich regelmäßig über 50 Prozent der Amerikaner für eine Freigabe der „weichen“ Droge aussprechen. Schätzungsweise 16 Millionen US-Bürger kiffen regelmäßig und seit Präsident Obama in einem Interview mit dem „New Yorker“ meinte, dass Cannabis „nicht schädlicher als Alkohol“ sei, herrscht Aufbruchsstimmung unter den Dope-Freunden.
Folgen für die Gesellschaft?
Obamas Aussage brachte ihm einen weltweiten Sturm der Entrüstung ein. Soll sich die Gesellschaft sehenden Auges denn ein weiteres legales Rauschmittel aufhalsen? Der Gesundheitssoziologe Wolfgang Dür vom Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien warnt inständig davor. Er schätzt, dass jedwede Liberalisierung Konsum und Verbreitung nur anheizen würde. Die Folge wären eine höhere Zahl an Drogenpsychosen und „mehr bekiffte Schüler, die nicht in der Lage sind, dem Schulunterricht zu folgen“, gibt Dür zu bedenken. Cannabis ist zwar keine Substanz, die eine körperliche Abhängigkeit wie Nikotin oder Alkohol erzeugt, aber ein „psychotropes“ Rauschmittel, dessen Hauptwirkstoff THC die Wahrnehmungsqualität verändert und das Aktivitätspotenzial stark heruntersetzt. Über Risiken und Nebenwirkungen lassen sich schlecht verallgemeinerbare Aussagen treffen. So wie es viele User gibt, die mit dem täglichen Joint am Feierabend ganz gut zurechtkommen, führt der gewohnheitsmäßige Konsum bei vielen anderen wiederum dazu, dass sie nichts mehr im Leben auf die Reihe bekommen – mit Ausnahme des Frühpensionsantrags.
19.000 Anzeigen
Kauf, Besitz und Anbau (und somit auch der Konsum) von Cannabis werden in Österreich nach dem Suchtmittelgesetz (SMG) mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten beziehungsweise mit einer Geldstrafe von bis zu 360 Tagsätzen geahndet. Zwar wandern keinesfalls Tausende Kiffer hinter schwedische Gardinen, der Verfolgungsaufwand ist aber doch erheblich. 2012 wurden in Österreich bei rund 24.000 Drogendelikten 19.000 Personen ausschließlich wegen Cannabis-Konsums angezeigt, gegen 505 Personen wurde wegen Verdachts auf Handel ermittelt. Dazu gehen den Fahndern jedes Jahr noch Hunderte „Homegrower“ ins Netz, darunter versteht man Personen, die einen privaten Anbau betreiben. Mit beschlagnahmten Joints werden die Führerscheine entzogen und die Besitzer zu Nachschulungen und Drogentests verdonnert, Tausende Kilo an Beweismaterial müssen sichergestellt, im Labor analysiert und anschließend vernichtet werden.
800.000 User
„Wozu eigentlich?“ Das fragt sich eine zunehmende Zahl an Strafrechts-Professoren, Drogenexperten und Organisationen, die sich die Legalisierung auf die Fahnen geschrieben haben. Der Kampf gegen die Droge sei ohnehin nicht zu gewinnen. Anstatt den Konsum zu bekämpfen, sei es besser, ihn zuzulassen und so unter Kontrolle zu bekommen. Oder ihn wenigstens nicht mehr zu kriminalisieren. „Das Konsumieren zu Genusszwecken sollte als Verwaltungsübertretung geahndet werden“, schlägt der Wiener Rechtsanwalt Gottfried Hudl vor. „Es ist nicht notwendig, Leute fertigzumachen, die gelegentlich am Wochenende einen Joint rauchen.“ Das österreichische Gesundheitsministerium gibt alljährlich den „Bericht zur Drogensituation“ in Auftrag. 2013 war darin zu lesen, dass unter jungen Erwachsenen Cannabis die einzige illegale Droge mit einer erheblichen „Konsumprävalenz“ zwischen 30 und 40 Prozent sei. Das heißt auf gut Deutsch: Dieser Prozentsatz hat schon (mindestens einmal) gekifft. Da 1993 dieser Anteil noch bei fünf und 2003 bei 15 Prozent lag, ist es naheliegend anzunehmen, dass die Kifferei mittlerweile „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen ist. Anhand dieser und anderer Umfragen, aber auch auf Basis der Kriminalstatistik schätzt der „Österreichische Hanfverband“ (ÖHV) die Zahl der Menschen in Österreich, die dem gelegentlichen Tütchen nicht abgeneigt sind, auf irgendwo im Bereich zwischen 800.000 und 1 Million ein.
Einkaufen im Growshop
Man kann davon ausgehen, dass sich viele Kiffer inzwischen mit regionalen Produkten versorgen. Diese gedeihen auf illegalen Kleinplantagen im Wald, auf Terrassen oder in Wohnungen. Know-how fürs Hanf-Garteln bezieht man via Internet, wie auch das Starterkit für die Wohnungszucht. Dieses, bestehend aus Samen, Lampen, „Growbox“ und Spezialdünger, kann man aber auch in den rund 70 österreichischen „Growshops“ kaufen. Die Branche wächst und gedeiht – dank eines blinden Flecks im Suchtmittelgesetz. Dieses stellt das Aufziehen einer Cannabispflanze an sich nicht unter Strafe, sondern sanktioniert bloß die Gewinnung der berauschenden Anteile derselben. Solange der Handel keine gewinnungstechnische Expertise vermittelt, fahren ihm die Drogenfahnder nicht drein. Wenn sie wollten, könnten sie es, aber vermutlich herrscht die Annahme vor, dass die Schließung der Shops den Hanfanbau-Boom auch nicht mehr aufhalten würde.
„Das Verbot fällt“
Der Wiener Kaufmann David Rosse ist Obmann des ÖHV. Die Organisation setzt sich hauptsächlich für eine Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken ein, aber auch für die Ausschöpfung des Potenzials der Hanfpflanze abseits der Verwendung als Droge, etwa als Alternative zur Baumwolle. Rosse glaubt fest, dass eine weltweite Lockerung des Cannabis-Verbots bevorsteht. „Die UNO hat für 2016 ein Treffen angekündigt, bei dem neue Ansätze in der globalen Drogenpolitik diskutiert werden, weil sie einsieht dass die Prohibition gescheitert ist. Ich bin mir sicher, dass Österreich dann nachziehen wird.“ Rosse denkt, dass der freie Verkauf kommen wird, und zwar „innerhalb der nächsten Jahre.“ Würde eine freie Verfügbarkeit nicht dazu führen, dass Jugendliche mehr zu Bong und Joint greifen? Rosse winkt ab. „Wenn der Reiz des Verbotenen wegfällt, gibt es sogar weniger junge Konsumenten, das zeigen ja die Erfahrungen in Holland. Generell wird dort nicht mehr und intensiver konsumiert als unter Verhältnissen der Illegalität. Die Wirtschaft profitiert von den Coffeeshops.“
Und im Verkehr?
Verkehrspsychologen steigen bei dem Gedanken an eine Cannabislegalisierung normalerweise die Grausbirnen auf. Obwohl wenig Daten zur Verfügung stehen, kann man davon ausgehen, dass bekiffte Verkehrsteilnehmer eine erhebliche Gefahr darstellen. Nach tödlichen Unfällen blies etwa die Französische Nationalversammlung vor zehn Jahren eine geplante Lockerung von Drogengesetzen wieder ab. Der Wiener Toxikologe Rainer Schmid ist als wissenschaftlicher Leiter der Check-it-Drogenberatung kein Verharmloser, aber beim Thema Cannabisfreigabe und Verkehr reagiert er entspannt. „Für Alkohol gelten Grenzwerte, bei Cannabis müssten sie eingeführt und kontrolliert werden.“ Den Drogenexperten, der im Übrigen auch für eine Entkriminalisierung eintritt, würde etwas anderes beunruhigen, sollte jemals der freie Trafik-Verkauf möglich sein: „die Fähigkeit der Wirtschaft, unwiderstehliche Produkte auf den Markt zu bringen.“ Mit anderen Worten: Wenn schon Energy-Drinks Flügel verleihen, welche Wirkung würde man erst Cannabis-Getränken zuschreiben?
Rainer Schmid, Leiter der Check-it-Drogenberatung im Gespräch