Direkt zum Inhalt
Hotelzimmer auf Lebenszeit statt Eigentum - immer mehr im Trend
Hotelzimmer auf Lebenszeit statt Eigentum - immer mehr im Trend
oneinchpunch/iStock/Thinkstock

Wohnen im Hotel: My hotel is my castle

30.10.2017 um 09:31, Gert Damberger
min read
Als Hotelbewohner muss man sich nicht mit dem Haushalt herumschlagen, was vielbeschäftigte Leute zu schätzen wissen. Jetzt bieten immer mehr Luxushotels auch Eigentumswohnungen an.

Es ist eine Symbiose. Das Hamburger Hotel Atlantic Kempinski Hamburg (Adresse: an der Alster 72 – 79) ist der Wirt und der Rockstar Udo Lindenberg (71) der Symbiont. Seit 1994 lebt Lindenberg auf drei Zimmern im zweiten Stock. Einmal, während der Renovierung im Jahr 2011, wechselte der Dauergast ins Royal ­Meridien, um danach doch wieder in sein geliebtes Atlantic zurückzukehren.

Lizenz zum Rauchen

Das sieht er als eine Art Nobel-WG. Wenn ihm danach ist, vertreibt er sich die Zeit an der Bar oder im Hotelpool. Er verfügt über eine Ecke in der Restaurantküche und hat als einziger Gast die Raucherlaubnis. Auch als Radfahrer wurde er schon in der Lobby gesichtet. Für dessen Direktion ist Lindenberg ein Aushängeschild, wie es besser nicht sein könnte. Ist die Rocklegende nicht gerade auf Tournee, stehen die Chancen bestens, mit ihm an der Bar oder sonst wo ins Gespräch zu kommen. Ohne ihn wäre das Atlantic nur ein leicht langweiliges Grandhotel unter vielen. Was Lindenberg für seine Dauermiete zahlt – darüber bewahren sowohl er wie auch das Hotel Stillschweigen. Langzeitgäste sind ein Trend in der weltweiten Hotellerie. Allerdings nicht die à la Lindenberg und auch nicht die "Long stayers", die der Beruf für Monate in eine fremde Stadt verschlägt. Es geht um Gäste, die den Magnetschlüssel überhaupt nicht mehr abgeben.

Blick auf Schloss Schönbrunn

Derzeit offeriert Otto Immobilien in Wien zehn komplett möblierte Appartements in den beiden obersten Stockwerken des "Park Royal Palace". Das Vier-Sterne-plus-Hotel befindet sich neben dem Technischen Museum in Wien. "Mit Wohnungsgrößen zwischen 133 und 180 m2 sowie großzügigen Terrassen bzw. Dachgärten" bieten die "Domizile einen perfekten Rückzugsort mit sämtlichen Annehmlichkeiten eines Hotels", wie es im Werbetext heißt. Dieser nennt auch die Kaufpreise: sie beginnen bei 760.000 Euro. Garagenplätze – wichtig für Dauerbewohner – können angemietet werden.

Hochpreisig

Es ist nicht das erste Luxushotel in Wien, das neben Zimmern und Suiten auch Eigentumswohnungen im Programm hat. Beispiele sind das 2012 eröffnete Fünf-Sterne-Hotel Sans Souci im ersten Bezirk, in dem auch 15 Wohnungen verkauft wurden. Im 2013 eröff­neten Palais Hansen Kempinski am Schottenring befinden sich neben 152 Hotelzimmern und Suiten auch 17 Wohnungen zwischen 130 und 500 m2. Laut Brancheninsidern soll hier der Quadratmeterpreis bei 20.000 Euro gelegen sein. Laut Experten ist es mittlerweile gang und gäbe, dass bei Neuerrichtung von Hotels der teuersten Kategorie auch Wohnungen mitgebaut werden. Es handelt sich um einen weltweiten Trend. Er nahm seinen Ausgang vor rund 16 Jahren in den USA in Städten mit ­verrückt hohen Immobilienpreisen wie New York oder Boston. Wegen der hohen Bau- und Personalkosten sei es heutzutage kaum noch möglich, ein Hotel profitabel zu führen. Appartements oder Penthäuser mitzubauen und zu Spitzenpreisen zu verkaufen, sei eine Möglichkeit, schneller in die Gewinnzone zu kommen.

Jetset-Wohnungen

Und wer kauft sich eine Wohnung im Hotel? Natürlich Leute mit dem nötigen Kleingeld. In Wien seien es derzeit ­reiche Russen, Deutsche, aber auch betuchte Inländer, sagt Fachleute. In jedem Fall ist es ein sehr internationales Publikum. Ob als Erst- oder Zweitwohnsitz, die Klientel schätze die Diskretion, den Service und die Security.

Bequem, diskret und praktisch

Dass man Privatsphäre hat und dennoch bei Bedarf unter die Leute kommt, den Hausdienst anrufen kann und den Roomservice die Bettwäsche wechseln lässt, das hat was. Den Charme des Hotellebens kosten vor allem Prominente gerne aus. Boris Becker lebte jahrelang im "Palace" in München, Michael Jackson im "Four Seasons Hotel" in New York und Warren Beatty in der Veranda Suite des "Beverly Wilshire" in Los Angeles. Und das Wiener Hotel Sacher beherbergte zwischen 1992 und 2003 den Musikkritiker und "Opernführer der Nation" Marcel Prawy (1911 – 2003) und einen Teil seines legendären Plastiksackerl-Archivs, in dem er Noten, Korrespondenzen, wertvolle Autografen und vieles mehr hortete. Die renommierte Herberge unweit der Staatsoper war eigentlich ein Ausweichquartier. Prawys Villenetage am Stadtrand war derart mit prall gefüllten Sackerln vollgeräumt, dass darin kein Leben mehr möglich war.

Über drei Jahrzehnte im Ritz

Auch die Mode-Ikone Coco Chanel (1883 – 1971) flüchtete dereinst aus ihrer beengten Pariser Wohnung in der Rue Cambon ins Nobelhotel Ritz, das sie von 1937 bis zu ihrem Tod im Jahr 1971 bewohnte. Die aus einfachen Verhältnissen stammende, gelernte Näherin Gabrielle Chanel konnte im Ritz genüsslich ihren so­zialen Aufstieg inszenieren, was sie mit großer Genugtuung erfüllte. Ab 1940 mietete sie dauerhaft eine Suite mit Blick auf die Place Vendome und richtete sie nach eigenem Gusto ein. Mit Barockrahmen, chinesischen Möbeln, viel Schellack und übergroßen Sofas. Während der Okkupationszeit schlief sie im Ritz Tür an Tür mit deutschen Generälen, dort begann sie auch eine Affäre mit dem deutschen Diplomaten und Abwehroffizier Baron Hans Günther von Dincklage, der sie prompt in eine Spionageaffäre hineinzog. Einer Anklage wegen Kollaboration mit dem Feind nach dem Krieg entging sie dank ihrer guten Beziehungen. Heute ist das vergeben und vergessen. Ihre Suite im Ritz wurde wie das gesamte Hotel aufwendig runderneuert. Zwar hat man die drei Chanel-Zimmer vom dritten Stock eine Etage tiefer übersiedelt, aber sonst ist alles originalgetreu. Wer will, kann die Suite selbstverständlich buchen. Für die Kleinigkeit von 28.000 Euro – pro Nacht.

Wo die Bohème zu Hause war

Mindestens 65 Jahre lang war das Chelsea Hotel in New York die Lieblingsabsteige angehender oder auch arrivierter Schriftsteller, Filmemacher, Musiker, Maler oder Schauspieler. "Rentals", also Dauermietverträge, waren äußerst begehrt.

So lebte der Dramatiker Arthur Miller nach der Trennung von Marilyn Monroe sechs Jahre lang in Zimmer 711, Jack Kerouac hat hier den ­Roman "On The Road" geschrieben und Arthur C. Clarke das Drehbuch zu "2001 – Odyssee im Weltraum". Bob Dylan hat vier Jahre auf Zimmer Nr. 211 gewohnt und dass Langzeitmieter Leonhard Cohen eine schnelle Nummer mit Janis Joplin in dem Song "Chelsea Hotel Nr.2" festgehalten hat, gehört zum unerschöpflichen Geschichtenfundus des Hauses.

Ab den siebziger Jahren ging es reichlich exzessiv zu, was vielfach dem Drogenkonsum der Klientèle geschuldet war. Trauriger Tiefpunkt war 1978 die Ermordung von Nancy Spungen durch den Sex Pistols-Bassisten Sid Vicious. Noch vor dem Prozess (er war auf Kaution freigelassen worden) setzte er sich im selben Zimmer eine Überdosis Heroin und starb.

Drei ungarischstämmige Familien übernahmen das 1883 errichtete Hotel im viktorianischen "Gothic Style im Jahr 1946. Zu einem ­Magneten für die Bohème machte es vor allem der Manager Stanley Bard, der ein besonderes Herz für Künstler hatte und alles tat, damit die Zimmer auch für Leute mit wenig Geld erschwinglich blieben.

2007 sollte Schluss sein mit dem Substandard-Paradies. Das Chelsea-Viertel wurde hip und beschritt konsequent den Weg der Gentrifizierung. Chelsea Hotel-Miteigentümer Bard wurde ausgebootet und musste abtreten. Das "Chelsea" wurde mehrmals verkauft und landete schließlich bei einer Hotelkette. Seit 2011 wird das Gebäude aufwendig renoviert. Erst im kommenden Jahr soll es wiedereröffnet werden – als schickes Designerhotel, in dem man auch "Condos" (Eigentumswohnungen) kaufen kann.

more