Tierisch gut: Wie clever sind Tiere?
Der Mensch, das minderbemittelte Wesen. Jede durchschnittliche Wildsau sprintet schneller. Jeder Dackel riecht eine Million Mal besser als der beste Parfümeur, und auch der trainierteste Ironman sieht neben einem Mauersegerl (200.000 km pro Jahr) arm aus. Kein Olympiasieger im Schwimen (Spitzengeschwindigkeit: 6 bis 7 km/h) könnte ein Delfin (100 km/h) je das Wasser reichen. Nicht mal gegen einen plumpen Eisbären hätte Michael Phelps eine Medaillienchance.
Nur eine Maschine?
Tiere sind Spezialisten, neben denen vergleichbare menschliche Höchstleistungen verblassen. Aber Menschen können - anders als Tiere - eben denken. Dank der Vernunft konnte sich der "nackte Affe" über seine Mickrigkeit erheben und zum Herrscher über die Erde weredn. Seine Denkfähigkeit nützt er immer schon auch dazu, um nachzugrübeln, was in den Köpfen der Tiere vor sich geht. Rein gar nichts, meinte etwa der Philosoph René Descartes, der Tiere als blosse Reiz-Reaktionsmaschinen abtat. Eine Meinung, die sich hartnäckig bis heute hält.
Alex kann 100 Wörter
Hätte Descartes den Graupapagei "Alex" gekannt, er hätte ein weniger hartes Urteil gefällt. Alex hatte zwischen 1977 und 2007 Sprachunterricht durch die Tierpsychologin Irene Pepperberg genossen, beherrschte rund 100 Wörter und konnte zählen. Zeigte man ihm zwei blaue und drei rote Gegenstände, konnte er die Frage "Wie viel blaue Schlüssel?" richtig beantworten. "Zwei", krächzte er dann. Alex, der als "klügster Vogel der Welt" angeblich die Intelligenz eines 5jährigen Kindes erreichte, beflügelte eine neue Generation von Verhaltensbiologen zu Experimenten.
Tauben als Kunstkenner
Bekannt war, dass Krähen Werkzeuge basteln können, um ein Insekt unter einer Baumrinde hervorzuangeln. Neu war aber, dass im Laborversuch auch isolierte Jungtiere sich aus einem Draht einen Haken biegen, ohne dass sie je die Möglichkeit hatten, den Trick von Artgenossen abzuschauen. Mitte der 90er-Jahre brachten japanische Forscher Tauben bei, zwischen Bildern von Picasso und Monet zu unterscheiden. Mittlerweile gilt es als bewiesen, dass Stadttauben ein hervorragendes visuelles Gedächtnis haben und Menschen nach Gesichtern unterscheiden. Anscheinend haben sie in den Städten gelernt, dass dies verlässlicher ist, als sich die Farben von Mänteln und Hosen zu merken.
Delfine verstehen Sätze
Man weiß auch, dass Kraken Schraubverschlüsse öffnen, Pinguine unter Zehntausenden Artgenossen ihre Familie wiederfinden wie die Nadel im Heuhaufen, Paviane sich eine Unmenge Bilder merken und dass man Delfinen eine Syntax beibringen kann. Die Meeressäuger sind die in der Lage, 60 "Wörter" einer Zeichensprache auch in unterschiedlichen Abfolgen, also in "Sätzen" zu verstehen. Viele Tierarten scheinen also ansatzweise das zu haben, was Menschen auszeichnet - die Denkfähigkeit.
Rücksichtsvolle Mäuse
Der US-Verhaltensbiologe Marc Bekoff von der Universität Colorado geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, dass Tiere auch Moralvorstellungen haben. In seinem Buch "Wild Justice" behauptet er, dass in den Gehirnen von Säugetieren Einfühlungsvermögen fest verdrahtet ist, was es erlaubt, dass auch Raubtiere in Gruppen miteinander auskommen. Bekoff verweist auf Wolfsrudel, in denen Fair Play zum Verhaltenskodex gehört. Wenn Wölfe spielen, ist die eiserne Rangordnung außer Kraft gesetzt. Schnappen sie im spielerischen Wettkampf zu fest zu, bitten sie um Verzeihung bevor es weitergeht. Experimente mit Mäusen hätten laut Bekoff gezeigt, dass Nager Rücksicht entwicklen. Erschrocken rühren sie ihr Futter nicht mehr an, wenn gleichzeitig mit ihren Leckerbissen anderen Artgenossen ein Elektroschock verpasst wird.
Gesellig wie Sau
Der Tierarzt und Uni-Professor Johannes Baumgartner ist Österreichs führender Schweineflüsterer. Bisher kann er 20 Grunz-, Quietsch- und Bell-Laute unterscheiden, mit denen die Tiere kommunizieren. Baumgartner ist fasziniert von der Intelligenz der Paarhufer, die sich, wie er sagt, bezüglich Familiensinn, Gruppenleben und Anpassungsfähigkeit nicht wesentlich von Menschen unterschieden. Den vielleicht größten Intelligenzbeweis sieht Baumgartner darin, dass es Stallschweine binnen kurzer Zeit schaffen, nach einer Auswilderung aus eigener Kraft zu überleben. In den Mastställen, klagt Baumgartner, "langweilen sich die neugierigen Tiere zu Tode."
Versuchskaninchen Hund
Am "Clever Dog Lab" der Wiener Universität untersucht der Kognitionsforscher Ludwig Huber, wie Rex & Waldi "technische, logische und soziale Probleme" lösen. Die Existenz des Testlabors - es wird seit Jahren von den Hundebesitzern gerade zu gestürmt - belegt das zunehmende Interesse der Wissenschaft für die Vierbeiner. Neueste Erkenntnis: Hunde scheinen sich sogar zu überlegen, ob das, was ihnen beigebracht wird, sinnvoll ist. Huber: "Einem Hund zeigt ein Patnomime einen angedeuteten Sprung. Das Versuchstier konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. Schließlich lief es zu einer Hürde und sprang darüber. Er hat also eine für ihn sinnlose Aktion zu einer sinnvillen Aktion gemacht."
Tierschutz
Lange Zeit nahm man an, dass nur Menschen oder höhere Menschenaffen dazu fähig sind. "Es ist ein Umdenken im Gang", sagt der Kognitionsforscher. Kaum ein Tag vergehe, ohne dass eine neue wissenschaftliche Arbeit über die Intelligenz von Vögeln, Hunden oder anderem Getier erscheint. Der Tierschutz verlässt die sentimentale Ecke und bekommt quasi ein solides Fundament. Das freut auch Johannes Baumgartner: "Schweine als Nutztuere", der er, "verdienen es nicht, nur als Rohmaterial für Wurst und Kotelett betrachtet zu werden. Man muss sie bis dahin wenigstens anständig behandeln."