Der Mensch als Bestie: Tierquäler am Vormarsch
Gefesselt, geknebelt und in einem Brunnenschacht ertränkt – der kaltblütige Mord am Border Collie Mischling namens Liam in Neulengbach in Niederösterreich hat das ganze Land schockiert. Auch ORF-Star Nadja Bernhard, die selbst eine engagierte Tierschützerin ist. Sie hat kurzerhand die Belohnung für den entscheidenden Hinweis auf den Hundemörder um 1.000 Euro erhöht und unter dem Kennwort „Unfassbar – Tierquälerei“ ein eigenes Spendenkonto errichtet.
Schockierende Gewalt
Unfassbar ist nicht nur der grausame Tod von Liam. Unfassbar sind auch all die anderen Meldungen von Tierquälerei, die sich an Brutalität überbieten. Seit Monaten werden in Salzburg Vögel bei lebendigem Leib verstümmelt. Tauben werden mutwillig die Schwungfedern abgeschnitten oder ausgerissen, Enten wird die Haut samt Fleisch vom Bauch gerissen. Alle Tiere sterben an einem qualvollen Tod, woran sich die Täter offenbar noch weiden. Das abnormale, sadistische Ausmaß erinnert an die gehäuteten Katzen, die im Vorjahr im Grazer Stadtgebiet gefunden wurden.
Von allen Tieren ist der Mensch das einzige, das grausam ist. Keines außer ihm fügt anderen Schmerz zum eigenen Vergnügen zu. – Mark Twain, Schriftsteller
In der Gegend Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich müssen in letzter Zeit auch vermehrt schwer misshandelte Katzen versorgt werden. Immer mehr Samtpfoten verschwinden dort außerdem. Die Besitzer werden bereits angehalten, ihre Freigänger abends nach Hause zu holen. Auf einen uneingeschränkten Auslauf müssen auch viele Hunde verzichten, da sich ihre Herrlis und Fraulis immer weniger in große Freilaufzonen wie den Linzer Wasserwald trauen. Regelmäßig streuen Tierhasser vergiftete Fleisch- und Wurststücke aus. Erst im Februar musste ein Hund wegen schweren Vergiftungssymptomen eingeschläfert werden, nachdem er einen Giftköder gefressen hat.
Mehr Vorfälle
Bei der Tierschutzombudsstelle Wien haben sich die Verwaltungsstrafverfahren wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz von 113 Fällen im Jahr 2020 auf knapp 200 im Vorjahr fast verdoppelt. Auch in Oberösterreich ist im Vergleich der letzten fünf Jahre ein deutlicher Anstieg zu sehen: von 2017 bis 2020 wurden jährlich noch um die 200 Strafverfahren eingeleitet, im Vorjahr waren es mit rund 270 um ein Drittel mehr. Madeleine Petrovic, Präsidentin von Tierschutz Austria erzählt uns: „Wir zeigen täglich Vorfälle an. In seltenen Fällen kommt es wirklich zu einem Verfahren oder gar einer Verurteilung.“ Das bestätigt auch Pfotenhilfe-Geschäftsführerin Johanna Stadler und ergänzt: „Die Dunkelziffern sind aber sicher riesig. Routinemäßige amtliche Tierhaltungskontrollen in Privathaushalten sind überhaupt nicht vorgesehen.“
Selbstjustiz
Dass das Bewusstsein in der Gesellschaft größer geworden ist, darin sind sich beide Tierschützerinnen einig – vor allem durch die jahrzehntelange Arbeit der Tierschutzvereine. Auch über soziale Medien können Beobachtungen von Tierquälerei viel leichter verbreitet werden. Die Menschen verschließen weniger oft die Augen, so Petrovic: „Die Nachbarn sehen etwas und rufen uns an.“ Stadler betont aber: „Andererseits stellen wir fest, dass die Menschen immer weniger miteinander reden und ihre Konflikte vermehrt über Unschuldige austragen. Statt zu sagen ‚Warum lässt du deinen Hund den ganzen Tag im Garten allein? Der bellt und stört mich.‘ und sich bei Bedarf Hilfe von Behörden zu holen, greifen manche Menschen zur Selbstjustiz – im Fall Liam ein besonders aufsehenerregender, grausamer Auswuchs.“
Zu wenige Kontrollen
Angesichts der vielen grausamen Berichte in den Medien und den schrecklichen Bildern auf Social Media, fragt man sich: Werden die Fälle von Tierquälerei nicht nur mehr, sondern auch brutaler? Die Pfotenhilfe-Geschäftsführerin erinnert: „Viele der Fälle, die in den letzten Jahren bekannt werden, sind erschreckend brutal, aber es gab zu allen Zeiten extreme Fälle. Denken Sie etwa an 2014, wo in dem Horrorhaus im Bezirk Schärding zig in Transportboxen gesperrte, verdurstete, verweste Hundeleichen gefunden wurden.“ Ebenso wie Petrovic kritisiert Stadler, dass es an allen Ecken und Enden an Kontrollen und abschreckenden Strafen mangle. „Im erwähnten Fall haben die Behörden jahrelang weggeschaut.“
Strafen ein (schlechter) Witz
Die aktuelle Gesetzeslage sieht bei mutwilliger Tötung von Tieren bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe vor. „De facto gab es meines Wissens aber noch keinen Fall, wo das verhängt wurde“, sagt Tierschutz-Austria-Präsidentin Madeleine Petrovic. „Nach wie vor kommen Tierquäler mit Geldstrafen davon, schwere Misshandlungen werden als Kavaliersdelikt abgetan.“ Auch für Stadler sind die Strafen ein Witz: „Die Täter lachen sich ins Fäustchen und empfinden die laxen Strafen oft noch als Einladung weiterzumachen. Irgendwann vergehen sie sich dann an Menschen, wovor Kriminalpsychologen eindringlich aber ungehört warnen.“ Die Pfotenhilfe und viele andere Tierschutzvereine fordern, den Strafrahmen rasch auf mindestens drei Jahre zu erhöhen und den Vorsatz zu streichen, also auch Fahrlässigkeit zu bestrafen. Doch es brauche nicht nur eine Verwahrung, sondern vor allem eine Therapie für die Täter, bekräftigt Madeleine Petrovic und ergänzt: „Tierschutz gehört in den Unterricht, in die Ausbildung der Polizisten und in den Vollzug, sprich: routinierte Tierschutzvereine sollten in die Verfahren von Tierquälerei eingebunden werden.“