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Ulv Philipper mit Labrador Shae
Ulv Philipper mit Labrador Shae
JULIA DELBOS MONKEYJOLIE PHOTOGRAPHIE

Wolflogik - geborene Führer gibt es nicht

03.04.2024 um 15:52, Melanie Aprin
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Natürliche Führung braucht keine Kontrolleure, sondern Partner. Der Ansatz von Bestsellerautor und Coach Ulv Philipper bewegt zum Umdenken.

Herr Philipper, Sie vermitteln Menschen, wie sie besser führen und kommunizieren können. Warum finden Sie es logisch, sich dabei an den Vorfahren von Hunden zu orientieren? 
Weil es in Wolfszeiten völlig normal war, dass ein Rudel ausschließlich aus Überzeugung bereit war, einer Leitfigur zu folgen. Der Anführer musste Sicherheit und Verlässlichkeit ausstrahlen. Nur dann waren die Wölfe bereit, ihn zu akzeptieren. 

Was heißt das, übertragen auf den Menschen?
Dass es nichts bringt, die Angstkeule zu schwingen. Natürlich kann sich eine Führungskraft auch durch Unterdrückung „Zustimmung“ verschaffen. So macht man das in Diktaturen ja auch. Dieser Führungsstil wirkt in modernen Gesellschaften allerdings überholt. Besonders junge Arbeitskräfte tun sich mit solchen Dinosaurier-Methoden schwer. Oft sind diese wichtigen Nachwuchskräfte dann schon nach kurzer Zeit wieder weg. 

Manche Organisationen müssen jedoch straff geführt werden. 
Natürlich funktionieren Organisationen, wie etwa das Bundesheer, notwendigerweise nur nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Doch selbst solche Arbeitgeber können sich die Wolfslogik zunutze machen, indem sie junge Menschen dazu bringen, sich aus Überzeugung oder wegen einer gemeinsamen Mission zu engagieren. Leider liegt der Fokus vieler Arbeitgeber beim Werben um Nachwuchs immer noch viel zu oft auf materiellen Anreizen und vergleichbaren Incentives. Dabei geht es den meisten Menschen darum, in einer Organisation zu arbeiten, in der sie Anerkennung erfahren und sich mit einer gemeinsamen Vision identifizieren können.  

Und dann sind sie auch eher bereit, sich unterzuordnen?
Sie sind dann eher bereit, guter Führung zu folgen. Allerdings nicht nach den Methoden des vorigen Jahrhunderts. Das müssen auch Top-Manager verstehen. Ich erinnere mich an eine Einladung einer Wirtschaftsförderbank. Ich sollte einen Vortrag halten, war tags vorher angereist, übernachtete in einem Hotel und las morgens beim Frühstück zufällig eine Stellenanzeige dieser Bank. Gesucht wurde eine Persönlichkeit mit starker Durchsetzungskraft.

Gemeinsam
Sowohl Hunde als auch Menschen entwickeln sich am besten, wenn man ihnen Raum zur Entfaltung lässt, ist Ulv Philipper überzeugt.

Ob ein Verwalter wie Scholz eine Industrienation wie Deutschland vor dem Abstieg bewahren kann, ist fraglich.

Ulv Philipper, Autor und Coach

Was ist so schlimm daran?
Mit starker Durchsetzungskraft führen heißt oft, anderen Menschen die Luft zum Atmen zu nehmen, ihnen ihre Entfaltungskraft zu rauben, sie zu gängeln und ihnen das Gefühl zu geben, nicht gleichwertig zu sein. Das habe ich nach meinem Vortrag auch der Führungsriege der Bank verdeutlichen können. Ich habe dem Vorstand veranschaulicht, dass solche Stellenanzeigen abschreckend wirken können, weil sie die Botschaft transportieren, dass in den Fluren der Bank die Angst umgeht. 

Früher waren solche Stellenanzeigen gang und gäbe.
Die Zeiten haben sich nun mal gewandelt. Es findet zumindest in den westlichen Gesellschaften in vielen Bereichen bereits ein Hinterfragen autoritärer Strukturen statt. Heute regiert weder in den Schulen noch in den Familien die harte Hand. In Deutschland kommt noch hinzu, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Dadurch fehlt jungen Männern und Frauen die Erfahrung, sich für ein größeres Ziel selbst zurückzunehmen. Landen die jungen Leute dann in einem Unternehmen, in dem die Angst vor dem Chef regiert, vergeht ihnen schnell die Lust am Arbeiten. Das Arbeitsklima wird zum Motivationskiller. 

Viele Firmen wissen das und haben sich schon gewandelt. Es gibt inzwischen quer durch alle Branchen abgeflachte Hierarchien und bei größeren Konzernen sogar Beschwerdestellen für alles Mögliche. Reicht das nicht? 
Das ist doch häufig nur „Greenwashing“. Das Empfinden einer Gleichwertigkeit beginnt im eigenen Kopf und nicht bei der Krawatte. Außerdem können Schritte in die vermeintlich richtige Richtung manchmal auch kontraproduktiv sein. Denn man kann durchaus zu viele Veränderungen auf einmal vornehmen. In großen Konzernen beispielsweise arbeiten auch zahlreiche Menschen, die jahrzehntelang etwas anderes gewohnt waren. Wenn nun plötzlich alles anders ist, kann das verunsichern – vor allem dann, wenn auf die Einführung der kollegialen Du-Ansprache zwei Entlassungswellen folgen. 

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Das Empfinden einer Gleichwertigkeit beginnt im eigenen Kopf und nicht bei der Krawatte.

Ulv Philipper, Autor und Coach

Das lässt sich in gewinnorientierten Unternehmen nicht immer vermeiden. 
Das stimmt. Umso wichtiger ist es, in solchen kritischen Situationen wenigstens gut zu kommunizieren. Es gibt jedoch immer noch viele Manager, die gar nicht kommunizieren und bewusst eine große Distanz zu ihren Mitarbeitern pflegen. Es könnte ja sein, dass sie diesen oder jenen Mitarbeiter eines Tages entlassen müssen. Diese Denkweise ist verkehrt. Denn die Menschen spüren die Distanz und sind verunsichert. Sie verlieren das Vertrauen in ihre Führung und folgen ihr nur noch widerwillig. Der Grund liegt in der Natur des Menschen, der sich seit jeher nach Vertrauen und Sicherheit sehnt. So wie alle anderen Säugetiere auch. 

Was veranlasste Sie eigentlich, die Beziehung von Menschen zu Hunden auf zwischenmenschliche Beziehungen zu übertragen?
Das lag an meinem ersten Hund, den ich nach meiner Zeit bei der Bundeswehr erhalten hatte. Ich war dort mehrere Jahre als Ausbilder in einer Einheit beschäftigt, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte. Ich erfüllte mir danach den lang gehegten Wunsch, einen Großteil meiner Freizeit mit einem Hund als Begleiter zu teilen. Bei der Suche nach einer geeigneten Schulung für meinen Hund musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass alle zu diesem Zeitpunkt angebotenen Ausbildungseinrichtungen nach dem Prinzip des militärischen Gehorsams operierten. Einem Prinzip, das mir als ehemaligem Soldaten sehr vertraut war.

Wie erklären Sie sich den Hang zu diesen Methoden?
Wie sich später herausstellte, hatte das nichts mit dem Hund zu tun, sondern lag an der militärischen Vergangenheit dieser Anstalten. Ich zweifelte früh daran, dass sich dieses Gehorsam-System auf ein ziviles Umfeld übertragen lässt. Nicht Zwang und Bevormundung, sondern die Grundhaltung, ein Individuum nicht gegen seine Natur verändern zu wollen und seine Eigenheiten zu akzeptieren. Das ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen Miteinander. Denn so wie sich Hunde am besten entwickeln, wenn man ihnen den Raum zur Entfaltung lässt, entwickeln sich auch Menschen am besten, wenn sie nicht gezwungen werden, sich grundlegend zu verändern, und sie das Recht haben, Fehler zu machen, Emotionen zu zeigen und ihre Potenziale zu entfalten. Nur so kommt das hoch motivierende Gefühl von Gleichwertigkeit auf, das nur Führungskräfte vermitteln können, die erkannt und akzeptiert haben, dass wir alle bedürfnisgleiche Wesen sind.  

Buchtipp
Dog Experience - der Schlüssel zum perfekten Team

Elon Musk gilt als toxischer Narzisst, Psychopath und Egomane. Dennoch folgen ihm viele Menschen blind. 
Elon Musk ist ein Visionär, der von dem überzeugt ist, was er tut. Auch hier gibt die Natur eine simple Antwort: „Überzeugung führt!“ Weil Musk so selbstsicher auftritt, folgen ihm die Menschen bereitwillig. Aus demselben Grund folgen leider viele Menschen Donald Trump. Allerdings ist Trump nicht mal ein Visionär.

Er selbst behauptet von sich, ein geborener Führer zu sein.
Geborene Führer gibt es nicht. Das ist Unsinn. Sonst wäre Führungsstärke vererbbar. Das ist sie aber nicht, wie uns etliche Beispiele von Familienunternehmen zeigen, die nur weiter existieren konnten, weil man eben gerade nicht den führungsungeeigneten eigenen Nachwuchs auf den Chefsessel hievte. 

Ist Führungsstärke erlernbar?
Auf jeden Fall. Aber mangelnde Sachkenntnis kann man damit nicht kompensieren. Nehmen Sie etwa den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck. Ihm fehlt aus Sicht vieler Mitbürger die Kompetenz, ein Wirtschaftsministerium zu führen. Die Leitung der Hochschule der Künste würde man ihm aber zutrauen. Anders sieht die Sache bei Bundeskanzler Olaf Scholz aus. Er gilt als kompetent, scheint aber führungsschwach. Weitaus wahrscheinlicher ist jedoch die Möglichkeit, dass er Idealismus mit Ideologie verwechselt hat. Ob ein Verwalter wie Scholz eine Industrienation wie Deutschland vor dem Abstieg bewahren kann, ist fraglich.

Wer hätte das Zeug dazu?
Eine gute Frage. Vielleicht ist es an der Zeit, unsere bisherigen Vorstellungen vermeintlich kompetenter Führung auf den Prüfstand zu stellen. Ich spiele mit dem Gedanken, ein Buch mit dem augenzwinkernden Titel „Führer gesucht“ zu schreiben. Eine etwas andere Stellenausschreibung gewissermaßen. Im Fokus stünde der auffällige Hang verunsicherter Gesellschaften, Populisten zu folgen. Das Buch wäre auch ein Ratgeber, der es dem Leser ermöglichen soll, wahre Führungsmerkmale besser zu erkennen. Bisher hat sich leider noch kein deutscher Verlag getraut, mit mir dieses Projekt anzugehen.

ZUR PERSON

Ulv Philipper (61) ist Autor des Bestsellers „Dog Management. Überraschend einfach führen“ (Murmann). Im Vorjahr erschien Philippers zweites Buch mit dem Titel „Dog Experience. Der Schlüssel zum perfekten Team“. Auch darin geht es nicht um klassische Tipps für Hundehalter, sondern um Kommunikation auf Augenhöhe und mehr Akzeptanz im sozialen Miteinander. Auch als Coach setzt Philipper auf die sogenannte Wolfslogik, nach der Menschen einer Führungskraft eher aus Überzeugung folgen und nicht aus Unterwürfigkeit. „Ulv“ ist übrigens ein Vorname althochdeutscher und altnordischer Herkunft und bedeutet „der Wolf“, was reiner Zufall sei, wie Philipper betont.

 

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