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Wer findet, der bildet

06.10.2023 um 08:57, Jürgen Philipp
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Kann man mit betrieblicher Bildung Fachkräfte finden und binden? Ein Rundblick durch verschiedenste Branchen verrät: Alle haben dieselben Herausforderungen.

Werner Philipp ist ein vielbeschäftigter Mann. Der Leiter des WIFI FIT (Firmen intern Training) bekommt so viele Anfragen wie noch nie. „Wir steigen seit drei Jahren massiv bei den Buchungen. Ganz enorm war es im letzten Jahr und die Tendenz geht weiter nach oben.“ Firmen investieren so viel wie noch nie in die Ausbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeiter und sie lassen sich das etwas kosten. Erst kürzlich gab die voestalpine bekannt, dass für das konzernweite interne Aus- und Weiterbildungsprogramm 2023/24 60 Millionen Euro ausgegeben werden. Pro Lehrling wird das Entwicklungsbudget von 70.000 auf 90.000 Euro aufgestockt. Für Philipp ist das kein Wunder. „Es gibt keine Arbeitskräfte, und wenn mir die passenden fehlen, muss ich sie aus den eigenen Reihen heraus entwickeln. Ich muss annähernd motivierte Mitarbeiter finden, die ich qualifizieren kann, sodass sie meine Anforderungen erfüllen können, und zwar für jetzt und für die Zukunft.“ Doch lassen sich alle qualifizieren? „Einen unmotivierten Mitarbeiter oder einen, der intern bereits gekündigt hat, kann ich nicht qualifizieren. Man muss motivierte Leute haben, die dazu bereit sein müssen, auch ihre Freizeit zu opfern. Das wird immer schwieriger.“

HR-Abteilungen rücken in den Fokus
Klassischer Frontalunterricht und bloße Wissensvermittlung reichen schon lange nicht mehr. „Wissen alleine zählt nicht, sondern die Umsetzungsqualität. Ich kann den besten Mitarbeiter haben, der acht Stunden am Schreibtisch weniger weiterbringt als einer, der formal weniger kann, aber motiviert ist.“ Mit ein Grund, warum Kaminkarrieren wie in den 1970ern und 1980ern nicht mehr funktionieren ist, „dass der berufliche Aufstieg sehr oft mit Führungsverantwortung verbunden war. Man wollte in höhere Positionen. Heute will man diese Verantwortung nicht mehr unbedingt übernehmen. Man will oft nur gute Jobs.“ Doch auch bloße Motivation alleine reicht nicht. „Man kann zwar top motiviert sein, aber wenn man nicht rechnen kann, geht sich das nicht aus, wenngleich die Motivation mehr denn je der wichtigste Faktor für Qualifizierung bleibt.“ Doch auch Philipp ist vom Fachkräftemangel betroffen, etwa wenn es um Trainer geht. „Das ist komplett analog zum Arbeitsmarkt. Wir müssen auch mit den Trainern mehr arbeiten, mehr kommunizieren und auf sie eingehen.“ Trainer vereinen all das, was am Arbeitsmarkt gesucht wird. „Sie müssen eine Top-Qualifikation besitzen, hohe Sozialkompetenz und Leute motivieren können.“ Das müssen auch Mitarbeiter der HR-Abteilungen. Sie rücken vermehrt in den Fokus. Sie suchen nach dem richtigen Mix der Schulungsmaßnahmen und halten die Mitarbeiter auf Stand. „In den Firmen sitzen richtig gute Personalentwickler, die managen, koordinieren und die Situation verstehen.“

Bernadette Spiesberger

Ausschließlich hochqualifizierte Persönen können die kommenden, genauso hochqualifizierten Mitarbeiter von morgen ausbilden.

Bernadette Spiesberger, HR-Leiterin FH OÖ

Weiterbildung ist gefragt
Eine solche Personalentwicklerin ist Bernadette Spiesberger, Personalleiterin der FH OÖ. Sie berichtet, dass sie schon „vermehrt in Bewerbungsgesprächen nach den Weiterbildungsmöglichkeiten an der FH OÖ gefragt werde, ebenso wie nach den Zugangsmöglichkeiten dazu.“ Gerade in der IT setzt man auf Investitionen in Mitarbeiterqualifizierung. „Die Stellensituation auf dem Arbeitsmarkt innerhalb dieser Branche ist seit geraumer Zeit äußerst anspruchsvoll, und sich in den Wettbewerb um Preise oder die Gunst attraktiver Zusatzleistungen zu stürzen war und ist niemals das erklärte Ziel der FH OÖ.“ Doch auch abseits der IT und abseits neuer Fachkräfte wird einiges investiert, um das Stammpersonal zu halten und ihm neue berufliche Perspektiven zu bieten. „Häufig streben Forscher den Wechsel in die Lehre an, wofür ein abgeschlossenes Doktorat oft die formale Voraussetzung bildet. Mittels gezielter Maßnahmen zur Unterstützung und Qualifikation, wie einem eigens etablierten Promotionskolleg oder speziellen Modellen zur Arbeitszeitreduktion für die Erstellung von Dissertationen, nehmen wir als FH OÖ in dieser Hinsicht national eine führende Rolle ein.“ Einen internen Weiterbildungskatalog hält Spiesberger für die Fachhochschulen für wenig sinnvoll. „Viele Aspekte haben eine virtuelle Dimension erhalten, und die Themengebiete haben sich erweitert.“ Deshalb wählen die Mitarbeiter „aus einem breiten virtuellen Angebot, was sie in dem Moment konsumieren möchten – und das ganz unabhängig von Ort und Zeit“. Dennoch, und gerade aufgrund der räumlichen Distanz der Fakul- täten, wird großer Wert auf den persönlichen Austausch gelegt. „Nur auf diese Weise kann ein erfolgreiches Miteinander gewährleistet werden.“

Gesunderhaltung am Lehrplan
Die FH OÖ als Bildungsstätte für Mitarbeiter der Zukunft muss dabei besonderen Wert auf die Kompetenz ihrer Leute legen. Vor allem Management- und Selbstführungskompetenzen sind gefragt. Doch es rückt auch „besonders der Bereich der ,Gesunderhaltung‘ stark in den Fokus. Die FH OÖ bietet auf ihrem eigenen Gesundheitsportal Themenbereiche an, die auf den Interessen der Mitarbeiter basieren und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden. Ebenso steht das Erlernen neuer Tools wie Canva, ChatGPT usw. auf dem Programm.“

Kurt Bernegger
Für Kurt Bernegger, Prokurist der Bernegger GmbH, ist Weiterbildung Teil der 75-jähringen Unternehmens-DNA. Viele ehemalige Lehrlinge sind heute in Führungspostitionen.

75 Jahre Weiterentwicklung
So wie in den Bildungseinrichtungen haben auch Industrie, Handwerk und Gewerbe hohen Druck, ihre Fachkräfte „selbst zu produzieren“. Für Kurt Bernegger, Prokurist der Bernegger GmbH, ist das nichts Neues, sondern Teil der Firmen-DNA. „Wir bilden seit Beginn der 75-jährigen Firmengeschichte unter anderem Lehrlinge in den verschiedensten Bereichen aus. Davon sind viele dabei, die ihren Weg bis in die Pension mit uns als Arbeitgeber gehen.“ Die Perspektiven sind gegeben, viele einstige Lehrlinge bekleiden mittlerweile verantwortungsvolle Positionen. Sich auf den Meriten der Vergangenheit auszuruhen gibt es bei Bernegger aber nicht. „Die Aufgabenstellungen werden immer komplexer. Daher ist eine ständige Weiterbildung zentral. Unseren Mitarbeitern, wie auch dem Unternehmen, ist es wichtig, sich persönlich und beruflich weiterbilden zu können. Damit wächst das Aufgabengebiet im Betrieb.“ Der Effekt ist messbar: „Anfragen und Arbeitsabläufe werden effizienter und die Mitarbeiter eigenständiger bei der Lösung und Umsetzung ihrer Aufgaben.“

Susanne Baumgartner
Die Honeder Naturbackstube setzt laut HR-Leiterin Susanne Baumgartner auf ein Belohnungssystem bei erfolgreicher Weiterbildung (z.B. Urlaubstage verdienen)

Das richtige Rezept
Susanne Baumgartner, HR-Leiterin der Honeder Naturbackstube GmbH, steht vor ähnlichen Herausforderungen. Gerade die Zahl der Fachkräfte im Handwerk sinkt immer mehr. Das Rezept dagegen ist für sie „nicht nur fachliche, sondern auch soziale und (unternehmens)kulturelle Inhalte. Es ist für die Bindung ans eigene Unternehmen essenziell, selbst in die Ausbildung der Fachkräfte zu investieren.“ Honeder bietet daher freie und verpflichtende Präsenz- und E-Learningangebote, die gut angenommen werden, denn es gibt dafür ein „Zuckerl“. „Zusätzlich zum Wissenserwerb gibt es für abgeschlossene Ausbildungen Punkte, die man für diverse Benefits erhält.“ So wird Engagement mit zusätzlichen Urlaubstagen, gemeinsamen Teamessen oder Einkaufsgutscheinen belohnt. Seit 2022 hat Honeder die neue Vollzeitposition „Schulungsleiter im Verkauf “ geschaffen. „Parallel dazu ist in der Backstube eine eigene Ausbilderin tätig, die sich gezielt um die Entwicklung der zukünftigen Fachkräfte kümmert.“ Derzeit arbeitet man an einer eigenen „Honeder Akademie“, die alle Ausbildungsmaßnahmen zentral koordiniert.

 

Paul Hochmeier

Personalentwicklung ist die Kür der Mitarbeiterführung. In den letzten 20 Jahren hat das Thema bei uns einen massiven Entwicklungsschritt vollzogen.

Paul Hochmeier, HR-Manager ESIM Holdings und Management Service GmbH

ESIM verdoppelt Bildungsbudget
Die Industrie investiert ebenfalls kräftig – bei der ESIM Holdings und Management Service GmbH in Linz wurde das Bildungsangebot deutlich erweitert und auch „das Bildungsbudget wurde innerhalb der letzten beiden Jahre verdoppelt“, berichtet ESIM-HR-Manager Paul Hochmeier. „Der Arbeitskräftemangel ist längst keine Bedrohung der Ferne, sondern tägliche Herausforderung von HR-Abteilungen. Daher braucht es moderne Personalentwicklung.“ Das Bildungsprogramm deckt ein breites Angebot ab. Im Fokus stehen die Lehrlinge. „Wir sehen das als eine Investition in die Zukunft, die uns hilft, den Bedarf an künftigen Fachkräften selbst zu decken. Mit 1.9.2023 werden bei ESIM 23 Lehrlinge in fünf Lehrberufen (Chemieverfahrenstechnik, Labortechnik, Elektrotechnik, Metalltechnik und Industriekaufmann/Industriekauffrau) ausgebildet. Im Bereich der Produktion stellt die Lehrlingsausbildung die wichtigste Säule des Nachfolgemanagements dar.“

Die Kür der Mitarbeiterführung
Für Hochmeier gibt es nicht nur seitens des Unternehmens, sondern auch aus Sicht der Mitarbeiter ein Bedürfnis nach stetiger Entwicklung. „Gute Personalentwicklung vermittelt den Mitarbeitern Wertschätzung durch das Unternehmen, da es in seine Mitarbeiter investiert.“ Auch evaluiert wird gemeinsam. In jährlichen Personalentwicklungsgesprächen wird der Erfolg der Schulungsmaßnahmen mit den Mitarbeitern besprochen. Doch nur wer die Pflicht erfüllt, der kann auch die Kür absolvieren. Und nur wer bei der Kür überzeugt, kann den Wettlauf um die besten Köpfe auch gewinnen. Oberösterreichs Unternehmen und Institutionen scheinen dafür gut gerüstet.

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