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Viele Unternehmen fühlen sich gegängelt. Die Stimmung gegenüber ESG trübt sich ein.
Viele Unternehmen fühlen sich gegängelt. Die Stimmung gegenüber ESG trübt sich ein.
HOKKICX / DIGITALVISION VECTORS, SAKORN SUKKASEMSAKORN / ISTOCK / GETTY IMAGES PLUS

Wenn Nachhaltigkeit zur Pflicht wird

24.01.2024 um 10:06, Melanie Aprin
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Mit immer mehr Nachhaltigkeitsvorgaben setzt Brüssel die Wirtschaft unter Druck. Dies betrifft künftig auch kleine und mittelständische Unternehmen.

ESG sind drei Buchstaben, die entweder Eupho­rie auslösen oder für Entgeisterung sorgen. Dass es so ist, hat neu­erdings viel mit Änderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu tun. Betroffen sind dieses Mal nicht nur Kon­zerne und börsennotierte Unternehmen, einschließlich börsennotierter KMUs, sondern fast alle, die nicht unter die Kategorie Kleinstunternehmen fallen. Der Grund: Der Gesetzgeber in Brüs­sel strebt an, wenngleich zeitlich gestaf­felt, durch eine Richtlinie namens Cor­porate Sustainability Reporting Directive (CSRD) die Berichtspflicht auf alle gro­ßen Unternehmen zu erweitern. Ver­abschiedet hatte das EU­Parlament die Direktive bereits 2022. Nun muss Österreich sie im kommenden Jahr umsetzen.

Gläserne Erde

Was ist ein „großes Unternehmen“?
Einen Definitionsspielraum gibt es nicht: Laut Wirtschaftskammer Österreich ist „großes Unternehmen“ ein gesetzlich definierter Begriff und bezeichnet eine Einheit, die mindestens zwei von drei eindeutigen Kriterien überschreitet – einen Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro, eine Bilanzsumme von 20 Millionen Euro oder 250 Beschäftigte im Durchschnitt eines Geschäftsjahres. Unter Bezug auf eine Studie des Bera­tungsunternehmens EY heißt es weiter, die neuen Berichtspflichten würden in Österreich für circa 2.000 Unternehmen greifen. Derzeit seien es gerade mal an die 80 Unternehmen, die dazu verpflich­tet sind, einen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Bei den Neulingen hört man vieles – nur keine Freudenschreie. Die Gründe dafür sind vielfältig, haben aber auch mit der Summe an ESG-­Voschriften zu tun, die schon seit Jahren auf die Unternehmen einprasseln. Die Ver­unsicherung spüren auch die Ansprech­partner aufseiten der Banken – vor allem wenn sie, wie im Fall der Genossen­schaftsbank Raiffeisen Gunskirchen, im engen Austausch mit kleinen und mittle­ren Unternehmen stehen.

Negative Haltung bei Unternehmen
Man wisse „als Bankpartner von zahlrei­chen KMUs um die Sorgen und Brenn­punkte“ der Kunden, sagt Vorstand Andreas Hohensasser  Auch sein Kollege Domi­nik Bachler, Private­-Banking-­Experte bei der Bank, die sich mit der Gründung des Umweltcenters schon 2012 unter ande­rem auf nachhaltige Finanzierungen fokussierte, spürt die Sorgen. Bachler wählt Worte, die den Klimaschutz­-Trei­bern in Brüssel eigentlich zu denken geben sollten. So sei bei Klein­- und Mit­telbetrieben mit Blick auf die Erfüllung der Nachhaltigkeitsvorgaben „eine nega­tive Haltung bezüglich steigender bezie­hungsweise hoher Kosten erkennbar“. Der Unmut sei darauf zurückzuführen, „dass der Großteil dieser Unternehmen noch keine spürbaren Wettbewerbsvor­teile erkennt, die sich durch nachhaltige Investments ergeben können“. Raiffeisen Gunskirchen nehme sich daher viel Zeit für die Nachhaltigkeitsthematik und ver­suche, den Kunden „den langfristigen Mehrwert durch Investitionsmaßnahmen zu zeigen, die einen positiven Umwelt­effekt bewirken und langfristig die Unter­nehmensgewinne steigern sollten“.

Andreas Hohensasser

Die Nachhaltigkeitsvorgaben, die besonders im Hinblick auf das Lieferkettengesetz schlagend werden, sind ein großes Thema.

Andreas Hohensasser, Vorstand Raiffeisenbank Gunskirchen

Kaum kalkulierbarer Aufwand
Im Klartext heißt das: Es geht den Unter­nehmen auch um die Frage, was ihnen das alles am Ende bringt. Zumal der Auf­wand insbesondere für die Umsetzung der neuen Vorgaben bei der Nachhal­tigkeitsberichterstattung hoch ist. Wie hoch, lässt sich oft nur ver­muten, so auch im Fall des Familienunterneh­mens Hueck Folien aus Baumgartenberg. Der weltweite Spe­zialist für Oberflä­chenbeschichtungen wurde 1970 gegrün­det, arbeitet erfolg­reich und setzte letz­tes Jahr 65 Millionen Euro um. Darüber hinaus ist Hueck Folien ein Nachhaltigkeitspionier, der seit Kur­zem Aluminium in der Produktion durch recyceltes Material ersetzt. Keiner muss Firmenchef Martin Bergsmann von grü­nen Ideen überzeugen. Im Gegenteil: Auch ohne externe Vorgaben strebt er mit seinen 300 Mitarbeitern an, „bis 2035 ökologisch neutral zu produzieren“. Doch selbst einem CEO wie ihm, für den Nach­haltigkeit kein reines Marketingthema ist, fällt es schwer, die Änderungen bei der Berichterstattung ausschließlich positiv zu sehen. Und das hat mit dem kaum noch kalkulierbaren Aufwand zu tun.

Martin Bergsmann

Was das alles an Belastungen für das künftige Ergebnis mit sich bringt, kann ich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.

Martin Bergmann, CEO Hueck Folien Baumgartenberg

CSRD wird das Ergebnis belasten
Dabei kam das neue Gesetz für Hueck Folien keineswegs überraschend. „Wir beschäftigen uns schon seit vielen Jah­ren mit dem Thema und verfolgen die Entstehung der Vor­gaben eng mit“, sagt Bergsmann und erklärt, dass Hueck Folien schon seit 2013 freiwillig einen Nachhaltigkeitsbericht veröf­fentlicht, den man jetzt aber entspre­chend der neuen Richtlinie weiterent­wickeln müsse: „Wir sind gerade dabei, uns darauf vorzubereiten.“ Denn für sein Unternehmen ist die Umsetzung mit dem Geschäftsjahr 2025 verpflichtend. „Zusätzlich müssen wir zu diesem Zeit­punkt auch unsere Nachhaltigkeitserklä­rung in den Jahresabschluss integrieren.“ Was das alles in toto an Belastungen für das künftige Ergebnis mit sich bringt, sei es durch mehr Aufwand für die Wirt­schaftsprüfer oder die Notwendigkeit, Personal für die Thematik einzustellen,
kann der Firmenchef „zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht abschätzen“. Klar scheint nur, dass CSRD das Ergebnis definitiv belasten und mit Blick auf die komplexe Thematik „ im Unternehmen ein zusätzlicher Aufbau von diesbezüglichen Kompetenzen notwendig sein wird“.

CSRD

CSRD: NUR KLEINSTUNTERNEHMEN NICHT BETROFFEN
Die EU-Richtlinie Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erweitert den Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen drastisch. Unter anderem werden dadurch alle an einem EU-regulierten Markt notierten Unternehmen, mit Ausnahme von Kleinstunternehmen, zeitlich gestaffelt von der neuen Berichtspflicht erfasst. Das neue Gesetz ersetzt das bisher geltende Nachhaltigkeits- und Diversitätsverbesserungsgesetz, mit dem Österreich ebenfalls eine EU-Richtlinie zur nicht finanziellen Berichterstattung namens Non-Financial Reporting Directive (NFRD) umgesetzt hatte. Davon betroffene Unternehmen haben sich bereits ab 2024 an das neue Gesetz für Nachhaltigkeitsberichte zu halten. Für alle anderen Unternehmen gelten die neuen Vorschriften entweder ab 2025 oder 2026 und im Opt-out-Fall erst nach 2028.

Markus Dulle

Es ist eine Chance, sich als verantwortungsvolle Organisation zu positionieren. Das eröffnet Zugang zu neuen Märkten.

Markus Dulle, CEO Gebol, Enns

Wird Reporting-Zwang honoriert?
Derlei Mühe bleibt Markus Dulle, CEO beim Arbeitsschutzspezialisten Gebol, einstweilen noch erspart. Denn das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Enns hatte 2022 einen Umsatz von knapp 31 Millionen Euro, den es mit mehr als 65 Mitarbeitern erzielte. Mit diesen Eckdaten ist der Hersteller von Arbeitshandschuhen und persönlicher Schutzausrüstung von der neuen Richtlinie nicht direkt betroffen. Trotzdem behält Firmenchef Dulle „die Entwicklungen in Bezug auf Regulierungen und Gesetzesänderungen stets im Blick“. Denn die neue Richtlinie sei „ein Indikator dafür, dass das Bewusstsein für Nachhaltigkeit unaufhaltsam wächst“. Ein Trend, der durchaus im Einklang mit der Firmenphilosophie steht. So betrachte man die Einbindung von Nachhaltigkeit als „Chance, sich als verantwortungsvolle Organisation zu positionieren“. Das wiederum eröffne unter anderem „Zugang zu neuen Märkten und Kunden“. Gebol unterstütze daher grundsätzlich „eine einheitlichere Regelung, die es Unternehmen ermöglicht, einen klaren Rahmen für Nachhaltigkeitsbemühungen zu leisten“. Zugleich sei wichtig anzuerkennen, dass im Falle eines Reporting-Zwangs „der Aufwand je nach Unternehmensstruktur und Ressourcen unterschiedlich ist und zum Teil auch sehr hoch“. Dulle unterscheidet zwischen Konzernen und mittelständischen Unternehmen. So würden Konzerne „oft über umfangreichere Ressourcen und spezialisierte Abteilungen verfügen, um solchen Anforderungen gerecht zu werden“. Ganz anders die Situation beim Mittelstand: Für sie bedeute der Reporting-Zwang „einen erheblichen und vor allem zusätzlichen Aufwand für Datenerfassung, Berichterstattung und möglicherweise externe Dienstleister“. Es sei daher wichtig, „dass seitens der Gesetzgebung der zusätzliche Aufwand honoriert und berücksichtigt wird“.

Wirtschaft generell unter Druck
Eine ausgewogene Herangehensweise würde nicht nur die Nachhaltigkeitsziele berücksichtigen, sondern auch „die wirtschaftlichen Realitäten der Unternehmen“, sagt Dulle. Maßnahmen zur Förderung der Nachhaltigkeit sollten daher „nicht zu einer übermäßigen Belastung der Unternehmen führen“, sondern sie dabei „unterstützen, ihre ökologischen Ziele zu erreichen, ohne dabei die wirtschaftliche Stabilität zu gefährden“. Ein Risiko, dass insbesondere bei Unternehmen besteht, die gerade mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben. Und davon gibt es aktuell eine ganze Menge: Angefangen von der erschwerten Unternehmensfinanzierung durch höhere Zinsen über die gestiegenen Energiepreise bis zu höheren Personalkosten durch üppige Lohnerhöhungen dank kollektivvertraglicher Regelungen – es brennt gefühlt derzeit an vielen Ecken. Grüne Wünsche aus Brüssel, selbst wenn sie noch so gut gemeint sein mögen, kommen da äußerst ungelegen.

Katharina Schönauer

Die Quintessenz der CSRD ist, Nachhaltigkeitsinformationen auf dieselbe Ebene zu heben wie finanzielle Informationen.

Katharina Schönauer, Partnerin bei KPMG Österreich

Wirtschaftsprüfer als Profiteure der Regelflut
Auf Mutmaßungen dieser Art geht Katharina Schönauer, Partnerin bei KPMG Österreich und Head of ESG, gar nicht erst ein. Stattdessen stellt sie klar, worum es im Kern geht: „Die Quintessenz der CSRD ist, Nachhaltigkeitsinformationen auf dieselbe Ebene zu heben wie finanzielle Informationen. Dazu gehört, dass sich Investoren, Kapitalgeber und am Ende des Tages die Kunden auf diese Informationen verlassen können müssen.“ Solange das nicht gegeben ist, „sind Nachhaltigkeitsinformationen nicht steuerungsrelevant“. Mit der Bestätigung durch eine externe Prüfung, sei es durch einen Wirtschaftsprüfer oder andere Prüfungsdienstleister, „gelingt letztlich eine Belastbarkeit der Daten“. Es werde „zeitverzögert auch noch branchenspezifische Standards geben, die darüber hinaus anzuwenden sein werden“. Wichtig sei auch zu sagen: „Wir reden bislang ausschließlich von der Offenlegung, also von der Berichterstattung.“ Die inhaltliche Umsetzung hin zu Strategien, Maßnahmen und Risikoerkennungsprozessen – „all das wird erst durch zusätzliche Gesetze geregelt“. Denn die inhaltliche Ausformulierung der Nachhaltigkeitsagenden passiere nicht durch die Offenlegung, „sondern durch weitere Gesetze, die in viele Bereiche hineinreichen werden“. Den Kopf davor in den Sand stecken gehe nicht. Denn wer als kaufmännisch Verantwortlicher die neuen Vorgaben nicht erfüllt, riskiere „Bußgelder, die hinterlegt sind, wenn der Nachhaltigkeitsbericht nicht aufgestellt wird“.

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