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Andreas Kleboth, Architekt und Stadtentwickler
Andreas Kleboth, Architekt und Stadtentwickler
HERMANN WAKOLBINGER

Stadt-Denker Andreas Kleboth

20.12.2023 um 12:00, Klaus Schobesberger
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Andreas Kleboth beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit Stadtentwicklung. Was derzeit in vielen europäischen Metropolen passiere, sei ein Paradigmenwechsel.

Andreas Kleboths Wirkungsstätte ist symbolträchtig. Sie umfasst das gesamte oberste Stockwerk im Bau 2 in der Tabakfabrik Linz, die kaum ein anderer Ort für den Transformationsprozess der Stahlstadt steht. Ein Auto besitzt er längst keines mehr. Zur Arbeit und zu Kundenterminen fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln und seinem Fahrrad. „Ich würde sagen, das Faltrad hat mein Leben mindestens so verändert wie das Mobiltelefon“, sagt Klebt, der seit mehr als 25 Jahren mit seinem Büropartner Büropartner Gerhard Dollnig und dem Team von „Kleboth und Dollnig ZT“ Architektur- und Stadtentwicklungsprojekte in Österreich und im angrenzenden Ausland verwirklicht. „Architektur ist für mich eine Leidenschaft, aber die Stadtentwicklung ist eine Liebe“, erklärt der gebürtige Innsbrucker im Gespräch mit CHEFINFO. Dabei sind das zwei sehr verschiedene Disziplinen. Architektur hat einen Auftraggeber, eine präzise Planung und einen Fertigstellungszeitpunkt. Bei der Stadtentwicklung gibt es ein öffentliches Interesse, aber keine Auftraggeber. Die Stadt definiert die Rahmenbedingungen, gibt den Weg und die Ziele vor – und viele Player aus der Gesellschaft fügen dann ihre Teile in dieses Konzept der Stadt ein. „Aber fertig ist man eigentlich nie. Oder anders formuliert: In der Stadtentwicklung plant man nur so viel wie nötig, in der Architektur so viel wie möglich“, präzisiert der 55-jährige „Stadt-Erotiker“.

Architektur ist für mich eine Leidenschaft, aber die Stadtentwicklung ist meine Liebe.

Andreas Kleboth, Architekt und Stadtentwickler

MENSCHENFREUNDLICH STATT AUTOGERECHT
Kleboths Name taucht in vielen Gremien auf. Er ist Beiratsvorsitzender der Seestadt Aspern in Wien, eines der größten Stadtbauprojekte Europas, und Mitglied der städtebaulichen Kommission in Linz. Das 14-köpfige Team beschäftigt sich mit Entwicklungsflächen, die Potenzial für neue Stadtteile haben. Beispiele sind das Hafenviertel, das Nestlé- Areal oder die Post City. Auf dem Gelände des ehemaligen Post-Verteilerzentrums neben dem Linzer Hauptbahnhof sollen bis 2027 elf Türme entstehen – eine Mischung aus Wohnen, Büro, Gewerbe und Handel und mit viel Grünflächen mittendrin. „Linz hat die Chance, sich komplett neu auszurichten und die modernste Stadt Österreichs zu werden.“ Der Stadtentwickler spricht den Softwarebereich an, der sich neben der bereits bestehenden Industrie etabliert und eine Dynamik schafft, die Linz international eine neue Sichtbarkeit gibt. Für Urbanisten wie Kleboth geht es aber um mehr. Für sie ist die Stadt eine Bühne, in der das Leben der Zukunft stattfindet. „Die Kernstadt muss so attraktiv und begehrenswert sein, dass man auf die Idee, ein Einfamilienhaus am Stadtrand zu bauen, gar nicht mehr kommt.“ Dabei geht es um weiche Stadtfaktoren, die mit einem Freizeit- und Kulturangebot Stimmung und Atmosphäre schaffen, um belebte Erdgeschoßzonen, die für Sozialkontakte und Glücksmomente sorgen. Aber es geht auch um klimagerechtes Wohnen, um nicht mehr zu verantwortende Bodenversiegelung und um die Frage, wie die Stadt insgesamt lebenswerter und menschenfreundlicher werden kann. Für Kleboth heißt das auch: Abschied von der „autogerechten Stadt“, die seit der Nachkriegszeit prägendes Element der Stadtentwicklung ist.

Projekt Neuland
Ein Hotspot der Stadtenwicklung in Linz: Das Hafengebiet erhält mit dem "Projekt Neuland" ein neues Gesicht.

DAS AUTO VERLIERT AN BEDEUTUNG
Nach seinem Studium war Kleboth als Assistent und Forschungsbeauftragter am Institut für Städtebau und Entwerfen an der Universität Innsbruck tätig. Damals kam sein Hauptprofessor auf ihn zu und fragte ihn, warum er sein Talent mit Städtebau vergeude, „denn der einzige Platz, der heute noch seine Berechtigung hat, ist der Parkplatz“. Das war vor 30 Jahren. Inzwischen dreht sich der Wind. Vorbilder sind Städte wie Paris oder Barcelona. Die katalanische Metropole hat die international viel beachteten „Superblocks“ als verkehrsberuhigte Zonen mit mehr Grün und weniger Parkflächen geschaffen. Dieses Konzept wird auch beispielsweise in Wien mit den „Supergrätzln“ nachgeahmt. Für Kleboth verliert das Auto seine zentrale Bedeutung. Es wird nach wie vor genutzt werden, aber nicht mehr in jedem Lebensmoment: „Es sollte nur noch dort gebaut werden, wo es einen guten öffentlichen Verkehr gibt, sodass man nicht auf das Auto angewiesen ist.“ Der Stadtplaner spricht von einem Paradigmenwechsel. „Wir errichten ein größeres Wohnhaus in der Stadt – auf Wunsch der Entwickler ohne Parkplätze. Das wäre früher undenkbar gewesen.“ Das Konzept der autogerechten Stadt ist mit Le Corbusiers Werk „Ville radieuse“ ziemlich genau hundert Jahre alt. Jetzt sei es an der Zeit, sich davon zu verabschieden.

Linz hat die Chance, sich komplett neu auszurichten und die modernste Stadt Österreichs zu werden.

Andreas Kleboth, Architekt und Stadtentwickler
Superblock-Projekt in Barcelona
Beispiel für gelungene Stadtentwicklung: das Superblock-Projekt in Barcelona.

ZUKUNFT DER STADTENTWICKLUNG
Der Traum jedes Stadtentwicklers ist der große Masterplan am Reißbrett, der dann wie bei der australischen Hauptstadt Canberra auf der grünen Wiese oder wie in der Gründerzeit in Wien mit der Abrissbirne in die Realität umgesetzt wird. Berühmte Stadtplaner wie Georges-Eugène Haussmann (1809 – 1891) wollten Ordnung schaffen und prägen das Stadtbild von Paris bis heute. „Aber mit welcher Brutalität damals Straßen in die Stadt hineingeschlagen wurden, entspricht nicht mehr unserer Zeit. Zum Glück muss man sagen. Große Stadtideen sind immer autoritär“, sagt Kleboth. Er hingegen findet den Bestand in einer Stadt sympathisch. Hier geht es nicht um die große Geste, sondern um einen Setzkasten aus vielen verschiedenen Dingen, der Vielfalt erzeugt. Die Zukunft der Stadtentwicklung liegt auch in der Simulation, im digitalen Zwilling. Für Kleboth ist Stadtentwicklung nicht kompliziert, aber komplex.

Digitale Modelle helfen, diese Komplexität abzubilden und eine Chancen- und Risikoabwägung zu erstellen. Forschungsprojekte simulieren Verkehr, Wohn- und Einkaufssituationen und das städtische Leben insgesamt. Sims 4.0 sozusagen, wo der Gestaltungsbeirat künftige Projekte bald auch mit Virtual-Reality-Brillen begutachten kann. Diese Entwicklung zeige auch, dass eine Stadt heute eine aktivere Rolle als früher einnehmen muss, um ans Ziel zu gelangen. Stadtentwicklung ist für Kleboth vor allem ein Lernprozess. Die seit Jahrzehnten diskutierte Stadtbahn sei eine Riesenchance. Ein paar Kritikpunkte kann sich Kleboth nicht verkneifen. „Es ist großartig, was die Johannes Kepler Universität in den vergangenen zehn Jahren aus sich gemacht hat. Aber es wäre natürlich noch besser, wenn das nicht am Stadtrand, sondern fünf Kilometer weiter im Zentrum passiert wäre.“ Kleboth spricht den beschlossenen Bau der neuen Digitaluniversität auf der grünen Wiese am äußersten Stadtrand im Nordosten von Linz an. Man hätte den Uni-Neubau auch fünf Kilometer weiter im Zentrum, etwa in der digitalen Meile im Hafengebiet, platzieren und so aktiv Stadtentwicklung betreiben können. „Das wäre eindeutig der bessere Standort gewesen.“

Die Kernstadt muss so attraktiv und begehrenswert sein, dass man auf die Idee, ein Einfamilienhaus am Strand zu bauen, gar nicht kommt.

Andreas Kleboth
Andreas Kleboth
Kleboth schätzt das "Setzkasten"-Prinzip: "Große Stadtideen sind immer autoritär".

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