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Schulden
Wer bezahlt die Schulden, welche die „Koste es, was es wolle“-Politik angehäuft hat?
Wer bezahlt die Schulden, welche die „Koste es, was es wolle“-Politik angehäuft hat?
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Staatsschulden: Wer soll das bezahlen?

25.05.2022 um 05:00, Jürgen Philipp
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Wie werten führende Ökonomen die Geldpolitik der letzten zwei Jahre und wer wird ­diese Schulden bezahlen? Welche Konzepte braucht es in Krisenzeiten? Monika Köppl-Turyna und Leonhard Dobusch haben dazu völlig unterschiedliche Ansätze.

War diese „Koste es, was es wolle-Politik“ richtig?
Monika Köppl-Turyna: Während der tiefsten Wirtschaftskrise seit der Entstehung der Zweiten Republik war diese Entscheidung zweifelsohne richtig. Dennoch soll kein Eindruck entstehen, dass das Geld abgeschafft wurde. Gerade jetzt steigt der Druck auf die EZB, die Zinsen zu erhöhen, was die Kosten der Schuldenfinanzierung in der Zukunft ansteigen lassen wird. Wir brauchen genug fiskalische Kapazität, um auch auf künftige Krisen reagieren zu können. Daher benötigt es eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Aus der Literatur wissen wir, dass dies durch Konsolidierung der Ausgaben und nicht durch höhere Steuern durchzuführen ist. In dieser Hinsicht müssen Effizienzpotenziale in den öffentlichen Dienstleistungen genutzt werden und Strukturreformen – etwa im Pensionssystem – durchgeführt werden.

Leonhard Dobusch: Was man gesehen hat, ist, wenn wir vor einer existenziellen ­Krise stehen, kann man enorme Summen organisieren, und ich würde sagen, das ist richtig. Was ich nicht verstehe, ist, warum diese Logik nicht auch bei der Klimakrise greift. Da ist es fünf nach zwölf. Mit jedem Jahr, das wir zuwarten, wird es teurer, und aufgrund von Kippeffekten gibt es einen nicht mehr gutzumachenden Schaden.

Und wer soll das nun bezahlen?
Köppl-Turyna: Die Schulden von heute sind bekanntlich die Steuern von morgen. Die Zeiten der niedrigen Zinsen scheinen vorbei zu sein, was den Spielraum für Neuverschuldung massiv beschränkt. Man soll also jetzt einerseits konsolidieren, aber auch dafür sorgen, dass wir aus den Schulden herauswachsen: Dafür braucht es aber Strukturpolitik, die wirtschaftliche Erholung fördert, etwa durch Änderungen im Abgabensystem, Reformen des Bildungssystems sowie Reformen am Arbeitsmarkt. Denn die wichtigste Barriere für Wachstum ist jetzt der Mangel an Arbeitskräften: Dieser soll durch Animierung der Arbeitslosen, aber auch weibliches ­Arbeitskräftepoten­zial sowie qualifizierte Migration überwunden werden.

Dobusch: Bei so großen Krisen wie auch bei der ­Finanzkrise 2008 geht es darum, einen radikalen Investitionsrückgang auszugleichen. Die Frage ist, was kostet es, wenn wir es nicht tun? Aber was heißt das in der Praxis: Dieses „koste es, was es wolle“, hat nicht für alle gegolten. Man hat Unternehmensgewinne subventioniert, sich aber gleichzeitig gegen ein höheres Arbeitslosengeld gestemmt. Die ­Hälfte der Hilfen haben Unternehmen und Landwirte bekommen, und wie wurden sie finanziert? Aus Steuermitteln: Drei Viertel unserer Steuern und Abgaben werden durch Arbeit und Konsum finanziert, Steuern auf Unternehmensgewinne betragen weniger als 10 Prozent. Die Hilfen wurden also von drei Viertel der Bevölkerung finanziert, aber nur 30 bis 40 Prozent sind bei ihnen angekommen. Die Krise hat die Masse der Bevölkerung in einem höheren Maße belastet als entlastet.

Monika Köppl-Turyna
Monika Köppl-Turyna, Direktorin von EcoAustria

Eine klassische Vermögenssteuer hat eine ganz andere Auswirkung auf die Wirtschaft als etwa eine Grundsteuer.

Ist die Austeritätspolitik nach den Geschehnissen der letzten beiden Jahre nun gescheitert?
Köppl-Turyna: Nein. Konsolidierung ist ein Eckpfeiler des verantwortungsvollen Umgangs mit Steuergeld, um für künftige Krisen gerüstet zu sein.

Dobusch: Es ist ein Fehlschluss, zu glauben, dass wir durch Sparen und Nichtinvestieren in unsere Kinder und Kindeskinder reicher werden. Man muss also auf beiden Seiten entlasten. Wenn es um Schulden geht, müssen wir immer auf beide Seiten der Bilanz schauen. Genau deshalb sind Schuldenuhren nicht seriös, denn es fehlt die Vermögensuhr. Hinzu kommen jetzt noch andere Probleme wie das Inflationsproblem.

Muss der Staat also künftig nun mehr sparen oder mehr investieren?
Köppl-Turyna: Öffentliche Investitionen in einigen Branchen sind zweifelsohne wichtig: Dazu gehören etwa der Ausbau der digitalen Infrastruktur, der Ausbau der grünen Energieversorgung oder Hochleistungsstromleitungen. Das Problem ist, dass von den 225 Milliarden Staatsausgaben nur 14 Milliarden – also sechs Prozent – tatsächlich Investitionen sind. Der Rest sind Konsumausgaben und Transferleistungen, die zwar manchmal produktiv sind, aber in vielen Fällen auch nicht. Die Neigung zum Konsum führt gleichzeitig dazu, dass für viele wichtige Investitionen Geld fehlt und der Spielraum für Steuererhöhungen bereits sehr begrenzt ist. Auch aus diesem Grund ist es wichtig, zu konsolidieren, gerade weil viele demografie- und umweltbedingte Ausgaben noch auf uns zukommen.

Dobusch: Wir sind viel zu sehr von kurzfristigem Denken getrieben, getrieben von Quartalsberichten. Das wichtigste Gemeingut ist das Klima – und dieses Thema scheut man. Doch da muss man investieren. Jeder weiß, wenn die Grundlagenforschung nicht vom Staat bezahlt wird, investiert niemand darin, obwohl wir alle davon profitieren. Es gibt eben Bereiche, wo wir als Gesellschaft investieren müssen, weil wir es unseren Kindern schulden.

Leonhard Dobusch
Leonhard Dobusch, Professor für Organisation an der Universität Innsbruck

Es sind dieselben Leute, die sagen, man darf den ­Reichsten nichts wegnehmen, aber den Ärmsten nehmen wir alles weg.

Viel diskutiert werden Vermögenssteuern. Wie stehen Sie dazu?
Köppl-Turyna: Eine klassische Vermögenssteuer ist nicht nur sehr teuer in der Einhebung, sondern auch mit einer Reihe von negativen Effekten für die Wirtschaft verbunden. Sie bremst die Wirtschaftsaktivität und verursacht die Abwanderung von Kapital aus einem Land. Gleichzeitig wäre der Effekt auf die Verteilung der Vermögen in Österreich begrenzt, denn der Treiber der Ungleichheit ist in erster Linie wenig Immobilien­eigentum. Eine Grundsteuer wiederum ist nicht mit solchen Effekten verbunden und eine Reform im österreichischen Kontext längst überfällig. Diese könnte die wichtige finanzielle Autonomie der Gemeinden sichern. In dieser ­Diskussion würde ich mir weniger Politik und Ideologie wünschen und mehr sachliche Diskussion, die eben solche Nuancen berücksichtigt.

Dobusch: Wo sind die Vermögen in Österreich? Zu einem großen Teil steckt Vermögen in Immobilien, und die sind eben nicht sehr mobil. Das wäre ein Ansatzpunkt. Bei einer Vermögenssteuer gibt es auch rechtliche Hürden. Eine Steuer, die aber schmerzlich fehlt, ist die Erbschaftssteuer. Erbschaften sind enorm ungleich verteilt. Die untersten 50 Prozent erben fast nichts. Es ist keine Leistung, in eine reiche Familie geboren zu werden. Es ist das Glück der Geburt. Das Doppelbesteuerungsargument hält nicht: Wenn ich mir von meinem bereits versteuerten Einkommen eine Pizza kaufe, dann zahle ich auch Mehrwertsteuer. Eigentlich sollten sich Wirtschaftsliberale, die das Leistungsprinzip hochhalten, und Progressive darin völlig einig sein. Wenn wir die immer weitere Akkumulation von großen Vermögen nicht zumindest etwas einbremsen, werden wir uns in Richtung einer Plutokratie bewegen. Die Stimme von Reichen zählt in Demokratien viel mehr als die von den übrigen 99 Prozent. Die Begrenzung des Reichtums Einzelner wird so zu einer demokratiepolitischen Frage.

Könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ein richtiger Weg sein, um Armut abzufedern?
Köppl-Turyna: An sich ist die Idee charmant. Dennoch, wenn man sich das Ganze durchrechnet, kommt man darauf, dass selbst wenn wir alle bestehenden Geldleistungen des Staates inkl. Pensionen streichen und durch das BGE ersetzen, wäre die Auszahlung im Monat bei vielleicht 700 Euro – bei Weitem nicht bei einem Niveau, das selbstständiges, mündiges Leben ermöglicht. Ich finde, dass gezielte Unterstützung von bedürftigen Gruppen ein effizienterer Mechanismus ist.

Dobusch: Das liberale Konzept will alle Sozialleistungen abschaffen, das wäre ein Verarmungsprogramm. Es gefällt Libertären deshalb, weil jeder gerade so viel Geld bekommt, dass er nicht verhungern muss. Ich bin ein strikter Gegner des liberalen Modells. Mein Vorschlag: eine schritt­weise Annäherung. Das beginnt schon bei der Mindestsicherung. Man muss vorher seine ganzen Ersparnisse aufbrauchen, bevor man Grundsicherung bekommt. In Deutschland ist das noch krasser. Hartz-IV-Empfänger verlieren fast alles. Es sind dieselben Leute, die sagen, man darf den Reichsten nichts wegnehmen, aber den Ärmsten nehmen wir alles weg.      

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