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Heidi Kastner
Die bekannte Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner betrachtet in ihrem Buch „Dummheit“ die messbare Intelligenz, die heilige Einfalt und die emotionale…
Die bekannte Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner betrachtet in ihrem Buch „Dummheit“ die messbare Intelligenz, die heilige Einfalt und die emotionale…
Philipp Horak

Sind Sie dumm, Frau Kastner?

15.11.2021 um 09:25, Jessica Hirthe
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Die bekannte Gerichtspsychi­aterin Heidi Kastner spricht im Interview ­darüber, warum Dummheit die Welt regiert und emotionale Intelligenz immer noch ein unterschätzter Faktor in der Wirtschaft ist.

Chefinfo: Sind Sie dumm?
Heidi Kastner: Ich treffe so wie jeder gelegentlich unkluge bis dumme Entscheidungen.

Was ist Dummheit?
Kastner: Wider besseres Wissen oder mit Ignoranz der Tatsachen zu entscheiden oder zu handeln.

Warum machen das Menschen, die eigentlich intelligent sind und rational denken können?
Kastner: Aus einem ganzen Ursachenbündel heraus: zum Teil, weil es ihnen zu mühsam ist, sich die Fakten zu beschaffen, weil sie eher ihren Gefühlen nachgehen als den Fakten, da kann man ganz schön in die Irre gehen. Wenn ein Gefühl erst einmal etabliert ist, ist es sehr schwer, es von außen ins Wanken zu bringen, selbst mit Fakten kommt man kaum dagegen an. Oder man tut es, weil man sich auf ein falsches Welterklärungsmodell festgelegt hat, weil einen die Komplexität der Welt überfordert.

Halten Sie nichts vom Bauchgefühl?
Kastner: Das Bauchgefühl ist gut, wenn es um emotionale Entscheidungen geht. Aber es gibt halt Dinge, die sind weniger gefühlt zu entscheiden als auf Grundlage von Tatsachen. Da sollte man das Bauchgefühl hinterfragen. Wenn es nicht mit den Fakten übereinstimmt, muss man es gegebenenfalls revidieren.

Wir wissen, dass etwas falsch oder für uns sogar schädlich ist und machen es trotzdem – warum?
Kastner: Weil wir es ignorieren, weil es uns nicht in den Kram passt, weil es einfacher ist oder weil wir uns sehr erfolgreich einreden, dass die Fakten eh gefakt sind.

Wo kommen diese Ignoranz, der innere Zweifler her – ist das eine menschliche Anlage, die wir alle in uns tragen?
Kastner: Zweifler ist schon zu höflich gesagt. Mit einem Zweifler könnte ich debattieren. Wenn man versucht, mit Menschen zu sprechen, die einfach wissen, dass etwas so ist, weil sie es spüren – kommt man mit Argumetenn nicht dagegen an. Die sitzen fest einzementiert in ihrer faktenignorierenden Gewissheit, in die rutscht man in der Regel nicht von heute auf morgen. Das sind Leute, die schon länger an den Umständen verzweifeln, die das Gefühl haben, dass alles undurchschaubar ist und sie den Verhältnissen ohnmächtig ausgeliefert sind. So wird man anfällig für schlichte Welterklärungsmodelle, die Positionen zu eh allem beinhalten.

Dummheit ist also keine Anlage, sondern man wird durch äußere Umstände und Erfahrungen hineingetrieben?
Kastner: Man entscheidet sich schon selbst dafür. Man kann ja auch den Weg wählen, die Komplexität und Unsicherheit auszuhalten oder sich so weit wie möglich schlauzumachen. Es ist ja auch eine Entscheidung, zu allem eine Meinung zu haben, ohne sich zu ­informieren. Man könnte auch einfach mal sagen: Ich weiß es nicht. Doch diese Position ist völlig unmodern. Man redet eher Stumpfsinn, als zuzugeben, dass man sich nicht auskennt. Das ist auch eine Form von Dummheit.

Was treibt Unternehmer dazu, trotz besserem Wissen langfristig fatales, aber unmittelbar vorteilhaftes Verhalten an den Tag zu legen?
Kastner: Die Fokussierung auf den kurzfristigen Erfolg. Das erweist sich langfristig immer als Bumerang. Das können sich kleinere Unternehmen kürzer leisten, aber auch größere können an so einem Vorgehen scheitern. Da trägt halt die Struktur des Unternehmens länger und solche Entscheidungen werden erst später fatal. Wenn man sich etwa Microsoft anschaut: Microsoft hatte ursprünglich zwei Abteilungen, Programmierer, die die Updates und neue Tools programmiert haben, und Senior Programmierer, die überprüft haben, ob diese überhaupt kompatibel oder ob Sicherheitslücken drinnen sind. Dann kamen die BWLer, die alles auf Produktivität ausrichteten und man hat die Senior Programmierer abgeschafft, mit dem Ergebnis, dass jetzt laufend Updates herauskommen, die mit anderen Teilen nicht kompatibel sind. Microsoft wird sich das längere Zeit leisten können.   

Wie wichtig ist emotionale Intelligenz in der Wirtschaft?
Kastner: Daniel Goleman (Psychologe, Anm. d. Red.) hat den Begriff so definiert: Emotionale Intelligenz ist etwas, was mein Fortkommen und meinen Erfolg im Berufsleben verbessert. Er hat es nicht abgestellt auf gefühlte Verbundenheit mit anderen, sondern auf eine Fähigkeit, andere auch emotional zu erfassen, dadurch besser mit ihnen zu interagieren und damit auch seine eigene Karriere zu verbessern. Wenn ich fachlich sehr kompetent bin, aber kommunikativ unbrauchbar, werde ich diese fachliche Kompetenz nicht auf die Reihe kriegen. Als Abteilungsleiter, der fachlich alles weiß, aber seine Leute nicht motivieren kann, werde ich nicht sehr erfolgreich sein. Weil man nicht nur von der eigenen Leistung abhängt, wenn man in einer Führungsposition ist, sondern auch davon, dass andere gerne Leistung erbringen. Insofern ist emotionale Intelligenz in der Wirtschaft sehr zentral – und ist immer noch ein unterschätzter Faktor.

Was unterscheidet Selbstüberschätzung so mancher Akteure etwa in Politik oder Wirtschaft von Dummheit?
Kastner: Das ist auch eine Form von Dummheit. Jede Selbstpositionierung, die meint, dass ich andere und einen tauglichen Umgang nicht brauche, ignoriert ganz wesentlich, dass wir mit anderen laufend in Beziehung stehen. Und die wenigsten tolerieren das auf Dauer, wenn ich sie schlecht behandele.

Elon Musk oder Steve Jobs, denen Inselbegabungen oder das Asperger-Syndrom nachgesagt werden, sind bzw. waren besonders erfolgreich – sind sie die wahren Genies?
Kastner: Nein, das sind Leute, die Störungen haben, die ihre soziale Kompetenz beeinträchtigt. Das ist kein frei gewähltes Verhalten. Es bleibt immer die Frage, womit ich Mitarbeiter motiviere. Teilweise halt über Geld oder die Freiheit, dass sie alles entwickeln können, was sie wollen. Das kann reizvoll sein und kann auch länger funktionieren. Es kann aber auch sein, dass Leute reihenweise abwandern. Dann stehe ich wieder ziemlich allein da.

Lässt sich mit Dummheit Geld verdienen?
Kastner: Kurzfristig schon. Vor allem lässt sich relativ viel Geld verdienen mit der Dummheit anderer.

Geldanlage oder Investment sind immer mehr oder weniger risikobehaftet – gibt es überhaupt schlaue Geldgeschäfte?
Kastner: Wenn ich sage, ich gehe ein hohes Risiko ein, weil ich gewinne sowieso, dann ist das dumm. Es ist nicht a priori dumm, Risiko einzugehen, wenn ich ein Konzept habe, wenn es nicht aufgeht.

Warum folgen wir gerne Influencern, die uns wie Leithammel das Denken abnehmen?
Kastner: Weil es bequem ist und weniger Aufwand, wenn man auswärts denken lässt. Weil es mühsam ist, sich in einer komplexen Welt Überblick und Informationen zu verschaffen.

Sie bezeichnen das in Ihrem Essay als mutwillige Ignoranz. Macht uns die komplexe Welt, in der wir mehr wissen als je zuvor, was uns in Wahrheit überfordert, immer dümmer?
Kastner: Bei manchen ist das ein Handlungsstil der radikalen Verwerfung: Das ist so komplex, da fange ich gar nicht erst an. Man müsste sich zu Themen, die einen direkt betreffen, informieren und akzeptieren, dass man zu anderen einfach nicht ausreichend Grundlagenwissen bekommen wird, um sich eine Meinung zu bilden. Dann müsste man sagen: Ich kenne mich nicht aus. Es ist ja nicht so, dass mich alle Probleme der Welt direkt betreffen.  

Wie trifft man eine Entscheidung richtig?
Kastner: Ich muss versuchen, möglichst breitbasige Information zu beschaffen, diese zu bewerten – dann kann ich meine Entscheidung treffen.

Was hat Sie dazu bewegt, ein Buch über Dummheit zu schreiben?
Kastner: Die regelmäßige Begegnung damit und das ist ärgerlich. Es ist ein Gesamtphänomen, das auch der Wirtschaftshistoriker Cipolla beschreibt: Die Anzahl der Dummen wird immer und überall unterschätzt, es gibt viel mehr, als wir glauben. Und er ging noch weiter: Es wird dann zum Problem, wenn die Menschen, die nicht dumm wären, sondern Weitblick hätten und Fakten erkennen, Entscheidungen in Führungspositionen nicht mehr im Interesse des großen Ganzen treffen, sondern nur mehr im Interesse ihrer eigenen unmittelbaren Position. Und Leute, die zum Schaden anderer und nur zum eigenen Vorteil entscheiden, nennt er Verbrecher. Doch Verbrecher sind nicht so gefährlich wie die Dummen. Denn Verbrecher planen, sind insofern berechenbar, weil es um ihren Vorteil geht. Wohingegen Dumme unberechenbar sind, auch Entscheidungen treffen, die zu ihrem Nachteil sind und es nicht einmal merken.

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