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Verena Hahn-Oberthaler, Gesellschafterin bei rubicom
Verena Hahn-Oberthaler, Gesellschafterin bei rubicom
rubicom

Reise in die Vergangenheit

25.06.2022 um 00:00, Jessica Hirthe
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Spätestens bei einem runden Firmenjubiläum wird die eigene History oft auch für Image- und Marketingkampagnen genutzt. Doch wie geht man am besten mit dunklen Flecken in der Vergangenheit um?

Der Schock war groß im Februar 2020, als sich die schaurigen Schatten der Vergangenheit über Österreichs drittgrößtes Bauunternehmen Swietelsky legten: Recherchen des ORF-Wirtschaftsmagazins „Eco“ zeigten, wie stark der Baukonzern vom Bau der sogenannten „Straße der SS“ profitiert hatte. Die Arbeitskraft für die 2.000 Kilometer lange Fahrbahn von Berlin gen Osten kam von Zehntausenden jüdischen Zwangsarbeitern. Viele von ihnen überlebten den Bau nicht. Die Akten des Staatsarchivs brachten laut den Recherchen zutage, dass zudem die damalige Wien- Zentrale von den Nazis arisiert wurde: Der jüdische Kaufmann, dem das Haus gehörte, wurde nach Dachau deportiert. Firmengründer Hellmuth Swietelsky war schon 1933 der NSDAP beigetreten.

Historikerkommission arbeitet NS-Vergangenheit auf

Während andere Baukonzerne wie Porr oder Strabag, die bei ähnlichen Projekten beteiligt waren, längst diese dunklen Kapitel ihrer Firmengeschichte von Historikern aufarbeiten ließen und teils auch Entschädigungszahlungen leisteten, betrieb man bei Swietelsky eher Geschichtsverherrlichung – was daran liegen mag, dass bis 1995 die Firma von Hellmuth Swietelsky bis zu seinem Tod selbst eigentümergeführt war. Erst als die schrecklichen Details durch Journalisten vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gespült wurden, konnte der Konzern nicht mehr aus. Vorstand Karl Weidlinger beauftragte nach Bekanntwerden eine Historikerkommission. Auf der Website des Unternehmens heißt es seitdem: „In welchem Umfang und unter welchen Rahmenbedingungen werden nun unabhängige Experten unter Ausschöpfung aller erschließbaren Quellen rasch und schonungslos erheben. (…) Wir bedauern, uns mit diesem beschämenden Aspekt unserer Firmengeschichte bisher nicht auseinandergesetzt zu haben.“ Über die Ergebnisse der Untersuchung werde man transparent informieren. Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen. Auf Anfrage sagt Unternehmenssprecher Clemens Kukacka: „Wenn wir den Bericht erhalten, werden wir unsere Schlüsse daraus ziehen. Das Dokumentationsarchiv hat ursprünglich drei Jahre dafür vorgesehen – ob das aufgrund der Pandemie zu halten ist, ist fraglich.“

voestalpine betreibt eigenes Zeitgeschichte-Museum

Vorbildlicher und offensiver ging etwa die voestalpine mit ihrer NS-Vergangenheit um. Bereits Ende der 1990er- Jahre wurde begonnen, das dunkelste Kapitel rund um die Gründung des Standorts Linz – damals als Hermann- Göring-Werke – umfassend aufzuarbeiten. „1998 wurden in einem Hochbunker am Linzer Werksgelände Lohn- und Personalunterlagen ehemaliger Zwangsarbeiter gefunden. Eine unabhängige Historikerkommission übernahm die wissenschaftliche Aufarbeitung“, so Unternehmenssprecherin Beatrix Exinger. 2001 erschien dazu nicht nur ein Buch, sondern die voestalpine leistete auch Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe. Seit 2014 gibt es auch das „Zeitgeschichte Museum“ bei der Konzernzentrale.

Umgang mit Geschichte zeigt Glaubwürdigkeit

„Ein nachlässiger Umgang mit dem Nationalsozialismus kann einem Unternehmen schaden, vor allem international. In den USA, in England, Skandinavien und natürlich Israel hat man diesbezüglich ein feines moralisches Radar“, weiß Gerhard Obermüller. Der promovierte Historiker gründete 2008 gemeinsam mit Verena Hahn-Oberthaler, Juristin und Journalistin, die Agentur rubicom, die sich auf Unternehmensgeschichte spezialisiert hat. „Dies hat auch Auswirkungen auf die Unternehmenskultur, weil die Mitarbeiter einfach spüren, ob da etwas ist, was niemand so genau weiß.“ Die Glaubwürdigkeit ist dahin. Das betrifft nicht nur eventuelle Schatten aus der Nazizeit. „Der Umgang mit der eigenen Geschichte ist auch ein Ausdruck von Corporate Responsibility“, ergänzt Verena Hahn-Oberthaler. „Das Image ist dauerhaft geschädigt, der Schaden nicht mehr einzufangen. Denn: Die Antennen bei Kunden und Firmenpartnern sind sehr sensibel, ob man moralisch korrekt handelt. Produkte sind mitunter vergleichbar. Warum kaufe ich also bei einem bestimmten Unternehmen? Weil ich mich vielleicht mit der Story des Unternehmens identifizieren kann und es meinem eigenen Wertekodex entspricht.“

Gerüchte meist viel schlimmer als die Wahrheit

Die beiden, die mittlerweile über 100 Unternehmensgeschichte-Projekte abgewickelt haben, würden nie einem Unternehmen raten, Teile ihrer Geschichte unter den Tisch fallen zu lassen. „Mythen und Gerüchte, die kursieren, sind meist viel erschreckender als die Wahrheit. Diesen kann man nur entgegentreten mit Fakten, die man selbst erhebt und aufarbeitet. Die Deutungshoheit sollte immer im Unternehmen bleiben – und man sollte selbst immer mehr wissen als der gut informierte Journalist oder die Öffentlichkeit“, so Hahn-Oberthaler.

Die eigene Geschichte ist nicht kopierbar

Geschichte in all ihren Schattierungen und Auf und Abs bewegt und berührt Menschen, im Fernsehen gibt es eigene History- Serien und sogar TV-Sender – heutzutage mehr denn je. „In unsicheren Zeiten steigen der Wunsch nach Selbstvergewisserung und die Suche nach den eigenen Wurzeln.“ Und das birgt für Unternehmen einen unsagbaren Schatz – auch als Marketinginstrument. „Die eigene Geschichte ist nicht kopierbar, Geschichte ist ein ganz großer authentischer USP“, so Hahn- Oberthaler. „Sie müssen keine Geschichte erfinden, sie haben eine und müssen sie nur heben.“ „Es ist ja auch ein unglaublicher Erfolgsnachweis, wenn man als Generationenunternehmen durch verschiedenste Epochen durchnavigiert ist und fähig war, auf Markt und Kunden zu reagieren“, ergänzt Obermüller. Beständigkeit, Verlässlichkeit vermitteln – deswegen nutzen Unternehmen ihre Jubiläen gerne für Marketingkampagnen: „Sie nehmen den Erfolg und laden ihn mit der Geschichte auf.“

Identität eines Unternehmens liegt in Vergangenheit

„Die Identität eines Unternehmens liegt in seiner Vergangenheit und bestimmt seine Zukunft“, sagt auch Stefan Ecker von der Agentur für Geschichte „kopf.arbeit“. Die Linzer Agentur arbeitet bereits seit 2002 Firmengeschichten auf und erstellt daraus wie rubicom Bücher, Festschriften, Filme oder – was immer häufiger nachgefragt wird – moderne Web-Anwendungen. Die Nachfrage ist bei beiden Unternehmen groß – mit Tendenz steigend. Viele Familienunternehmen entschließen sich vor einem anstehenden Jubiläum oder Generationenwechsel in der Geschäftsführung für eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Sein Geschäftspartner Manfred Dunzinger ergänzt: „Unternehmenswerte werden nicht durch Imagekampagnen geschaffen, echte Werte transportiert man über die eigene Geschichte, und das glaubwürdig.“

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