Leadership - Reitstall als Seminarraum
Elisabeth Proksch kann sich noch gut erinnern, wie die Welt der Führungskräfte vor rund 20 Jahren aussah. „Damals war alles noch total männlich geprägt“, sagt die gebürtige Wienerin, die 2003 einen mutigen Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Denn Proksch, eine passionierte Reiterin, hatte einen Plan, der angesichts der damaligen Realität in den Führungsetagen durchaus beherzt war: „Ich wollte beweisen, dass Führung mit männlichen und weiblichen Qualitäten mittel- und langfristig wesentlich erfolgreicher ist. Konkret wollte ich das, was Menschen von Pferdeherden lernen können, in die Unternehmenslandschaft übertragen.“ Im Rückblick hatte sie offenkundig recht: „Heute setzen viele Unternehmen bewusst auf einen höheren Anteil an weiblichen Führungskräften“, sagt die Sportwissenschaftlerin, die nach einer Ausbildung zur Börsenhändlerin für Termingeschäfte zunächst in der Finanzszene arbeitete. Bis sie erfüllt von Pioniergeist ihre heutige Beratungsfirma gründete, „um herauszufinden, ob sich das erfolgreiche Herdenverhalten von Pferden tatsächlich in öffentlichen und privaten Unternehmen spiegeln lässt“.
Zwölf Teilnehmer, vier Pferde
Bei Pferden funktioniert die Herde ausschließlich im gleichberechtigten Zusammenspiel beider Geschlechter. In der Natur sei es darüber hinaus so, „dass die Leitstute immer vorangeht, während der Hengst der Herde von hinten den Rücken freihält“. Auch das habe seinen Sinn, „weil Herden in der freien Wildbahn normalerweise von hinten angegriffen werden“. Weshalb der starke Leithengst dort auch am besten positioniert sei. Das heiße aber nun nicht, dass Unternehmen immer von Frauen geführt werden sollten. „Man kann aber von Pferdeherden lernen, dass ein erfolgreiches System die Herangehensweisen beider Geschlechter braucht. Eine Führungskraft integriert idealerweise weibliche und männliche Qualitäten in ihrem Führungsverhalten.“ Wie sinnvoll das ist, zeigt Proksch in ihren meist zweitägigen Seminaren auf – und zwar nicht mit Theorien vom Reißbrett, sondern auf lebendige und pragmatische Art und Weise, indem sie die maximal zwölf Teilnehmer eines Seminars auf Wunsch auch mit echten Pferden konfrontiert. „Wenn meine Kunden das wollen und keine unüberwindliche Angst haben, findet das Seminar nur zur Hälfte in einem Konferenzraum statt. Die restliche Zeit verbringe ich mit den Teilnehmern im Reitstall und lasse sie tatsächlich auf die Pferde los.“ Dafür mietet sie sich beispielsweise im Reitgut Fabricius vor den Toren von Wien oder je nach Kundschaft auch an anderen Standorten in Österreich oder Deutschland pro Workshop insgesamt vier Pferde an. „Diese Pferde analysiere ich vorher und wähle sie anschließend in Absprache mit den Besitzern sorgfältig aus. Im Idealfall habe ich dann zwei Stuten und zwei Wallache mit ganz unterschiedlichen Charakteren.“ Nach einer Eröffnungsrunde, in denen sie mit den Teilnehmern über ihre Erwartungen an den Workshop spricht und ihre Methode namens „Leading Alpha“ verdeutlicht, geht es dann zügig in die Reithalle, wo Proksch von Trainern aus ihrem Team unterstützt wird.
Pferde als Katalysator
Das Faszinierende dabei: „Pferde wirken wie ein Katalysator, der das Learning unglaublich beschleunigt.“ Sie selbst sei inzwischen schon nach drei Minuten in der Lage festzustellen, welche Stärken und Schwächen die jeweilige Führungskraft hat. Die schnellen Eindrücke, die auch die anderen Teilnehmer erhalten, erklärt Proksch damit, dass die Menschen im Angesicht eines so großen Tieres gezwungen werden, ihre Komfortzone zu verlassen. „Hinzu kommt, dass Pferde äußerst sensibel auf kleine Bewegungen und Stimmungsschwankungen reagieren.“ So würden sie etwa sofort zeigen, was sie verstehen, was ihnen gefällt und was ihnen nicht passt. „Das verdeutlichen sie dann aber nicht durch ein bedrohliches Knurren, wie man das von Hunden kennt, sondern durch eine charmante und dennoch dezidierte Art und Weise.“ Auch deshalb seien Pferde perfekt geeignet, um das Verhalten der Teilnehmer und ihre Charaktere zu spiegeln. Proksch gibt zu, dass die Erlebnisse in den Reithallen sie auch nach über 20 Jahren immer noch faszinieren. „Man erkennt einfach innerhalb von kürzester Zeit das Grundmuster eines Menschen und auch die Klaviatur seiner Handlungsmöglichkeiten.“