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TADAMICHI / ISTOCK

Konjunktur-Seismograf

03.11.2023 um 08:00, Jürgen Philipp
min read
Überall wird gejammert. Überall? Nein, die Personaldienstleistungsbranche bleibt optimistisch, denn flexibles Reagieren liegt in ihrer DNA.

Sie sind der Seismograf der Konjunktur – Personaldienstleister.
Wann immer sich die Lage dreht, sie merken es frühzeitig, und dennoch hat die Branche keinen Grund zum Jammern, denn Schwankungen und Flexibilität sind deren tägliches Brot. „Der Trend ist eher gleichbleibend. Wir haben als Gesamtbranche österreichweit aber rund 10.000 Beschäftigte weniger als voriges Jahr“, erzählt Roman Ettinger, Geschäftsführer von TRUST Personal. Das sei aber kein Grund zur Panik, denn zum einen war das Vorjahr ein Rekordjahr für die Branche und zum anderen „geht es nicht stark nach unten. Es gibt nicht mehr diese hohen Ausschläge wie früher. Da ging es im Sommer stark hoch und ist dann abgeflaut. Die Entwicklung ist nun viel kontinuierlicher.“ Auch Klaus Lercher, CEO der TTI Group, ist optimistisch: „Es gibt Wirtschaftsbereiche, die bereits jetzt Hochkonjunktur haben, wie Digitalisierung oder Green Economy. Insgesamt rechnen die Wirtschaftsforscher für 2024 mit einem BIP-Wachstum von ca. 1,4 Prozent. Das ist deutlich mehr als 2023.“

 

Roman Ettinger

2008/09 war es viel problematischer. Wir haben die Pandemie überstanden und werden auch weitere Krisen meistern.

Roman Ettinger, Geschäftsführer TRUST

Transformation und Wandel
Die Branche steht aber in einem Transformationsprozess: Mehr interne Qualifikation, Digitalisierung und das Reagieren auf neue Arbeitszeitmodelle stehen im Vordergrund. Eine Branche, die Transformation gewöhnt und daher besonders gut vorbereitet ist. „Die gesamte Wirtschaft ist stetig im Wandel. Personaldienstleister helfen Unternehmen dabei, flexibel zu bleiben. In dem Kontext ist es wichtig, selbst auch schnell und vor allem richtig auf Entwicklungen zu reagieren“, so Lercher. Digitalisierung und automatisierte Prozesse wurden besonders in der Personaldienstleistungsbranche rasch forciert und umgesetzt, „um rasch auf Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse reagieren zu können. Ein schnelles und gut abgestimmtes Matching spart enorm Zeit und auch Kosten. Das wissen unsere Kunden sehr zu schätzen.“ Auch auf die Nachfrage an flexiblen Arbeitszeitmodellen reagiert die Branche, etwa wenn es um Remote Working geht.

Zeitarbeit bleibt attraktiv
Das müssen sie auch, weil immer weniger neue Arbeitskräfte auf den Markt kommen, während immer mehr aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, und das hat Auswirkungen. Ettinger: „Wenn ein Mitarbeiter bei einem Kunden eingesetzt ist und es funktioniert, kommt er seltener zurück.“ Ettinger berichtet jedoch von Mitarbeitern, die seit über 25 Jahren für das Zeitarbeitsunternehmen tätig sind. „Da sind wir etwas atypisch. Das sind meist Mitarbeiter, die österreichweit eingesetzt werden. Sie kommen mit Fahrtkosten und Diäten auf einen sehr guten Lohn, der weit höher ist als das reine Basiseinkommen des Unternehmens. Es ist daher für viele nach wie vor hoch attraktiv.“ TRUST ist auch auf Gesundheitsberufe spezialisiert, besonders gesuchte Qualifikationen: „Im medizinischen Bereich ist die Nachfrage enorm. Wir müssen uns sehr bemühen, die richtigen Leute zu finden.“ Dabei streckt man die Fühler europaweit aus: „Je spezieller die Anforderungen, desto höher der Radius.“

Vorstellungsgespräch
Für Roman Ettinger, Geschäftsführer von TRUST, ist der Personalmangel - auch bei abflauender Konjunktur - "gekommen, um zu bleiben".

Motivation in Zukunft noch entscheidender
Apropos Anforderungen: Ettinger merkt an, dass Unternehmen, die Personal suchen, nicht immer die angespannte Situation am Arbeitsmarkt erkennen. „In Stellenausschreibungen wird nach wie vor vieles hineingepackt, von der spezifischen Position bis zu detaillierten Kenntnissen. Das ist meist total überbordend. Man kann keine Leute suchen und finden, die es nicht gibt.“ Noch vor zehn Jahren, so Ettinger, waren die Anforderungen geringer. Personaldienstleister werden daher immer mehr zu Personalentwicklern. „Man muss die Anforderungen herunterschrauben und dann die Leute entwickeln. Nicht jeder potenzielle neue Mitarbeiter muss von Haus aus alles perfekt können.“ In einem klassischen Arbeitsumfeld ginge es zu 70 Prozent um Routine, und „dann vielleicht um 10 Prozent darum, was der Mitarbeiter erst lernen muss. Das kann man mit gezielten Schulungen aufholen.“ Das Wichtigste, so sind sich Personalisten generell einig, ist Motivation und der Wille zur Weiterentwicklung. „Vieles geht mit Learning by Doing. Motivation ist da für die Zukunft entscheidender, alles andere kann man sich aneignen.“

Motivation
Für TTI-Group-CEO Klaus Lercher ist Weiterqualifizierung der Beschäftigten das A und O der Branche.

Gezielte Qualifikation durch eigenen Fonds
Das sieht auch Klaus Lercher so: „Wir legen seit vielen Jahren einen starken Fokus auf die Weiterqualifizierung unserer Beschäftigten. Für viele wird es immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden. Da ist Weiterbildung das A und O.“ Die Personaldienstleister haben dafür vorgesorgt. Ein Sozial- und Weiterbildungsfonds, den alle Unternehmen mit einem gewissen Prozentsatz der Bruttolohnsumme speisen, hilft zielgerichtet bei der Ausbildung der Arbeitskräfte. „Das Angebot reicht von Staplerscheinen über Lehrabschlussprüfungen bis hin zur berufsbegleitenden Matura.“ Organisiert werden diese Kurse von den Unternehmen, die Kosten der Qualifizierung bekommt man vom Fonds ersetzt. Ettinger: „Wir gehen dabei in Vorleistung.“ Damit werden Mitarbeiter an den Kundenbedarf angepasst.

 

Es gibt Wirschaftsbereiche, die bereits jetzt Hochkonjunktur haben, wie Digitalisierung oder Green Economy.

Klaus Lercher, CEO TTI Group

Personalmangel „gekommen, um zu bleiben“
Derzeit sind Personaldienstleister besonders gefragt: „Von der klassischen Arbeitskräfteüberlassung über Personalvermittlung, alles. Speziell im Bereich Recruiting häufen sich die Anfragen. Dieser Bereich lässt sich von vielen Unternehmen aufgrund der schnellen Entwicklungen und der fordernden Situation am Jobmarkt selbst nicht mehr flächendeckend abdecken“, so Lercher, und auch Ettinger ist optimistisch: „Der Personalmangel wird weiterhin bestehen bleiben und deshalb wird man Konjunktureinbrüche in der Personalbereitstellung nicht so spüren. Natürlich wird es Branchen geben, die jetzt zurückgehen werden. Für den Bau etwa wird der Winter schwierig, aber dann geht es sicher wieder bergauf, denn die Nachfrage ist da. Ich bin schon lange in dem Bereich tätig. 2008/09 war es viel problematischer. Wir haben die Pandemie überstanden und werden auch weitere Krisen meistern, allerdings werden diese noch schneller kommen.“ Dann heißt es, flexibel zu reagieren. Doch Flexibilität ist ohnehin Teil der Personaldienstleister-DNA.

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