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KI – Perspektivenwechsel in der Fotografie

18.12.2023 um 08:00, Michael Schwarz & Klaus Schobesberger
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Zuerst die Massenzugänglichkeit der Fotografie durch Mobiltelefonkameras und nun der kometenhafte Aufstieg KI-generierter Bilder. Fotografiekrise?

In der Hosentasche eine Kamera und das passende Symbolbild nur wenige Klicks entfernt. Das Smartphone und die KI sind die Feinde der Berufsfotografie - so zumindest die Annahme. Doch die Realität ist häufig komplexer als die Dystopien, die beschworen werden. Die Zahl der professionellen Fotografen steigt nämlich in Oberösterreich. 1.800 gehen diesem Beruf hierzulande nach. "Dies spiegelt den ständig wachsenden Bedarf an qualitativ hochwertiger Fotografie wider", sagt Innungsmeister der OÖ Berufsfotografen Martin Dörsch.

Hermann Wakolbinger

Aufhalten lässt sich der Trend nicht, mann muss nur damit umgehen lernen. KI ist für mich ein Werkzeug, wie es die Kamera ist.

Hermann Wakolbinger, Berufsfotograf

Demokratisierung der Fotografie
"Jeder, der eine Kamera hat, kann fotografieren, und jeder, der fotografiert, ist Fotograf", so bringt es Diplomfotograf Oliver Erenyi auf den Punkt. Die Geschichte der Hobbyfotografie ist lange: Bereits im späten 19. Jahrhundert wurde begonnen, einen Massenmarkt für Kameras zu erschließen. Eine wahre Revolution bedeutete die Integration von Digitalkameras in Mobiltelefone. Heute ist der spontane Schnappschuss für die meisten lediglich einen Griff in die Hosentasche entfernt. Die Business- und Werbefotografen spielen qualitativ aber in einer anderen Liga. Sabine Kneidinger hat ihren Schwerpunkt auf „Peoplefotografie“. Zu Handyfotos sagt sie: „Technologisch sind Smartphone-Kameras schon unfassbar gut. Aber allein das Kameraequipment ist nicht ausschlaggebend für ein gutes Bild.“ Unternehmen sind daher gut beraten, sich bei der Bildsprache Profis an ihre Seite zu holen.

Sabine Kneidinger

Ich bin überzeugt, dass wir uns weiterentwickeln müssen und neuen technologischen Strömungen offen und positiv gegenüberstehen sollten.

Sabine Kneidinger, Berufsfotografin

Kreative Intelligenz
Wie kreativ künstliche Intelligenz sein kann, hat eine Studie der Humboldt-Universität zu Berlin und der University of Essex untersucht. Ergebnis: Auf Alltagsprobleme reagiert KI mit mindestens so kreativen Lösungen wie Menschen. Die Fähigkeit, etwas gänzlich Neues zu erschaffen, bleibt jedoch die Bastion der Menschheit. Und so behalten Fotografen und andere kreative Berufe ihren „Unique Selling Point“. Die KI prägt ihre Arbeit dennoch. In jeder künstlerischen Phase sind Programme imstande, die Fotografen zu unterstützen, meint Dörsch. In der Konzeption können KI-Bilder das Moodboard befüllen. Fotohintergründe können durch KI erstellt werden. Und auch Nachbearbeitungssoftwares wie Photoshop integrieren Machine Learning. Kneidinger nutzt die neue Technologie bereits. Sie optimiert dadurch ihren Arbeitsablauf und erstellt auf Kundenwunsch KI-generierte Bildwelten, die mit Fotos kombiniert werden. Auch Hermann Wakolbinger, einer der bekanntesten Pressefotografen der Branche, bleibt gelassen: „Diese Technologie wird die Fotografie genauso verändern wie alle anderen digitalen Revolutionen davor.“ Machine Learning gibt den Fotografen ein größeres Repertoire an Möglichkeiten, aber Dörsch betont: „Die Fähigkeiten, die wir als Fotografen haben, wie beispielsweise Brennweiten oder Belichtung, sind essenziell für ein gutes Ergebnis.“ Die Innung bietet zum Thema KI Fortbildungsmöglichkeiten an, die von der Branche gut angenommen werden.

Robert Maybach

Ich biete keinen Bauchladen an, sondern habe mir dank meiner Spezialisierung quasi meinen eigenen Markt geschaffen.

Robert Maybach, Berufsfotograf
Honeder
Robert Maybach h at die Fotos für die Naturbackstube Honeder geschossen. Er ist wegen seines Stils gefragt.

„Kunst“-liche Intelligenz
KI-generierte Kunst prägt die Branche schon jetzt. Tatsächlich finden sich die Ursprünge KI-generierter Bilder bereits in den 1970er-Jahren mit dem Programm „Aaron“ des britischen Künstlers Harold Cohen. Die ersten Versuche, die sich auf das Zeichnen von einfachen Formen mit schwarzem Marker beschränkten, waren richtungsweisend, aber sind mit den heutigen Möglichkeiten kaum vergleichbar. Für Medien und Werbeagenturen hat die künstliche Intelligenz das Potenzial, die Suche nach passenden Symbolbildern künftig deutlich zu erleichtern. Business- und Werbefotograf Robert Maybach ist überzeugt: „Die Sorge der Branche ist berechtigt, weil man sehr schnell beliebige Bilder generieren kann. Überall dort, wo nicht hochwertige Fotografie, sondern beispielsweise Stockfotografie im Mittelpunkt steht, werden Bildgeneratoren dem Fotografen den Rang ablaufen.“ Noch leben wir aber in einer Transitionsphase: „AI-Artists“ laden ihre Kreationen auf klassische Stockfoto-Seiten, wo sie mit echten Fotografien konkurrieren. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Metamorphose abgeschlossen ist und Werbemacher und Marketingbeauftragte die KI selbst mit Infos füttern.

KI-generiert
Für die Stockfotografie markieren KI-generierte Bilder eine Zäsur. Das perfekte Foto ist bereits jetzt nur wenige Klicks entfernt.

Optimismus statt Foto-Fatalismus
Schwarzmalerei macht sich hinsichtlich KI bei manchen Berufsfotografen breit. „Der Weg, den KI gerade einschlägt, wirft große Sorgenfalten auf die Stirn von Kollegen“, weiß Dörsch. Für ihn ist die rasante Entwicklung kaum vergleichbar mit vergangenen „Fotorevolutionen“. Die neue Technologie ist für den Innungsmeister ein zweischneidiges Schwert: „KI kann ein Fluch sein, wenn Jobs wegbrechen, beispielsweise in der Stockfotografie. Aber sie erlaubt, Dinge zu visualisieren, die davor schwer vorstellbar waren.“ In manchen Bereichen scheitert die KI (noch): Die kreative Arbeit mit der eigenen Bildsprache ist für die Businessfotografie essenziell. Wakolbinger dazu: „Ein Foto vom Vorstand, von der Geschäftsführung oder von Mitarbeitern muss nicht nur repräsentativ sein, sondern auch eine Botschaft vermitteln und zum Unternehmen passen.“ Und auch Maybach, der sich einen Ruf erarbeitet hat, muss sich nicht vor der KI fürchten. Der Wunsch nach hochwertiger Fotografie sei nie verschwunden, nur extravagante Dinge funktionieren nicht mehr so wie früher. „Ich denke da an Olivero Toscani“, sagt Maybach, „seine Fotos waren stilprägend für die Werbung der 1980er- Jahre. So etwas gibt es nicht mehr, weil heute alles sehr politisch korrekt sein muss und man nicht mehr anecken will. Kein Unternehmen will einen Shitstorm provozieren.“ Die Business- und Werbefotografie befindet sich also im Wandel. Ganz gleich, ob man Businessporträts für Social Media benötigt oder für die nächste Werbekampagne reale Testimonials mit KI-generierten Bildwelten kombinieren möchte: Berufsfotografen bleiben weiterhin Garant für wirkungsvolle Endprodukte.

Martin Dörsch

KI wird unmittelbar mehr Einfluss auf die Branche haben als damals die Einführung der Handyfotografie.

Martin Dörsch, Innungsmeister der OÖ Berufsfotografen
Fake News
KI-Kunst genießt in den Medien als Quelle von Fake News keinen guten Ruf. Auch die Berufsfotografie muss sich mit dem Thema auseinandersetzen.

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