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Gustav Pomberger erlebte an der ETH Zürich die Geburtsstunde des Lilith, der Computermaus und des Internets, bevor sie am Markt etabliert wurden.
Gustav Pomberger erlebte an der ETH Zürich die Geburtsstunde des Lilith, der Computermaus und des Internets, bevor sie am Markt etabliert wurden.
Gustav Pomberger

Gustav Pomberger: „Google und Co könnten europäisch sein“

30.06.2022 um 10:03, Jürgen Philipp
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Professor Gustav Pomberger ist Pionier des IT-Standortes Linz. Der gebürtige Gosauer über die größten Innovationen der IT, die künftigen IT-Trends, und -Gefahren, sowie über die Digitaluni Linz.

CHEFINFO: Sie waren 1975 einer der ersten Informatik-Absolventen an der JKU und waren in den 1980ern in Zürich an der ETH und an der Universität Zürich. Wie kann man sich diese Pionierzeit vorstellen und wie kamen Sie in dieses damals sehr junge Feld?

Pomberger: Ich arbeitete vor und während meines Studiums als Konstrukteur für Transformatoren bei der EBG. Wir hatten primitive Werkzeuge, wie Rechenschieber und Kurbelrechner. Der erste elektronische Rechner, den das Unternehmen gekauft hat, kostete 60.000 Schilling und konnte in etwa das, was heute ein Werbegeschenkrechner kann. Ich hatte das Gefühl, es muss bessere Werkzeuge geben. Ich habe mir das Programmieren beigebracht und die Firma mietete sich beim Lebensmittelgroßhändler Pfeifer zwischen 2 und 6 Uhr früh ein, um deren Großrechner zu nutzen. In Linz gab es damals meiner Erinnerung nach nur zwei, der zweite stand bei der Quelle. Wir hatten anfangs nur Lochstreifen als Inputmedium. Wenn also ein Programmierfehler auftrat, mussten wir den entsprechenden Teil aus dem Papierstreifen schneiden und diesen neu zusammenkleben. Die Miete für den Computer kostete 6.000 Schilling pro Stunde, aber wir benötigten für unsere Berechnungen im Transformatorenbau dank der Software, die ich dazu entwickelt hatte, nur fünf Minuten statt 400 Stunden, die wir vorher ohne Computer benötigten. Die heutige JKU war eine der ersten Hochschulen, an denen ein Informatik-Studium eingerichtet wurde und das war eine gute Gelegenheit mich mit der Computertechnologie ernsthaft und auf akademischem Niveau auseinander zu setzen. Heute sage ich zu erstsemestrigen Studierenden oft: Überlegen Sie sich gut, ob sie Informatik studieren wollen, denn Informatik ist zwar ein faszinierender Job, aber einer bei dem man nicht bluffen kann. Anfang der 1980er Jahre ging ich an die ETH Zürich zu Professor Niklaus Wirth, der damals die Programmiersprache Pascal entwickelt hatte. Er ist einer der ganz Großen unserer Zunft. Er wurde für seine bahnbrechenden Arbeiten auch mit dem Turing Award ausgezeichnet, den Nobelpreis für Informatik. An der ETH hatten wir den damals ersten Laserprinter in Europa. Das Umfeld war enorm innovativ. Niklaus Wirth sagte: Wir können keinen vernünftigen Computer kaufen, also bauen wir einen. Wir hatten durch seine Initiative und seinen Erfindergeist vor allen anderen einen hoch innovativen und leistungsstarken PC, dem Wirth den Namen Lilith gab, mit einem grafikfähigen A4 Monitor und Maussteuerung, lange bevor das auf den Markt kam. Wir hatten sogar eigene Fonts, die von Schriftdesignern extra für die Lilith entwickelt wurden. An der ETH war man weit voraus. Ich präsentierte eine Lilith der Industrie in Linz und es gab vorwiegend Gelächter über dieses ´Spielzeug´. Niemand glaubte so recht an die Zukunftspotenziale, die darin steckten. Man unterschätzte sie. Und wir selbst haben sie – im Nachhinein betrachtet – auch unterschätzt. Europa war damals in gewissen Bereichen ganz klar technologisch vorne. Es fehlte aber an Unternehmergeist und Risikobereitschaft, sonst wären – das vermute ich einmal ganz unwissenschaftlich – Google und Co europäisch. Steve Jobs war nicht nur ein genialer Innovator, er war vor allem ein Unternehmergeist und ein Marketing-Genie. Er brachte uns persönlich die ersten Macintoshs nach Zürich und ich durfte ihm damals auch die Hand schütteln.

Was waren aus ihrer Sicht die wichtigsten IT-Innovationen seit ihrem Studium bis heute?

Pomberger: Spontan würde ich sagen im Softwarebereich die objektorientierte Programmierung, die hat vieles revolutioniert. Bei der Hardware natürlich der Schritt vom Großrechner zum PC mit Grafic-Interface, weil damit ein viel breiterer Einsatz möglich wurde. Aber auch die Miniaturisierung auf allen Ebenen und die Steigerung der Rechenleistung und -geschwindigkeit. Und natürlich das Internet, damit wurde ein ganz unglaublicher Schub ausgelöst.

Sie warnen aber auch immer wieder vor den Kehrseiten der Medaille. Was sind die Schattenseiten der Informatik aus Ihrer Sicht?

Pomberger: Ich behaupte wir sind heute von dieser Technologie abhängiger als vom Gas. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ohne die Möglichkeit virtueller Meetings, die Übermittlung von Dokumenten in Echtzeit, die Erledigung von Bankgeschäften, Fernsteuerungen, etc. vom PC oder Handy und von nahezu jedem beliebigen Ort aus, wäre die Wirtschaft in der Pandemie, die die Welt praktisch über Nacht in den Würgegriff genommen hat, vermutlich völlig zusammengebrochen. Die Schattenseiten sind die Abhängigkeiten von einigen wenigen großen Konzernen und die Anfälligkeit der Systeme – Stichwort Cyberkriminalität. Ich denke oft zurück an unsere Anfänge an der ETH und der Universität in Zürich. Wir hatten lange bevor das Internet in die Breite ging, ein selbst entwickeltes internes Netzwerk, später dann in Kooperation mit dem CERN. Wir waren selbst vielleicht zu sehr fasziniert, was wir alles in unserer neuen Wissenschaftsdisziplin Informatik möglich machen können. Und wir waren vom Forscherdrang so sehr erfasst, dass wir uns leider mit Folgenabschätzungen nicht bzw. erst viel zu spät auseinandergesetzt haben. Wir waren überzeugt von den positiven Auswirkungen der informationstechnologischen Forschungs- und Entwicklungsergebnisse auf die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Wissenschaft. Nicht im Ansatz haben wir daran gedacht und vorhergesehen, dass viele diese technologischen Errungenschaften auch missbraucht und zum Gegenteil genutzt werden können – man denke nur an die vielen manipulierenden Fake News, Cyber-War, Pornografie, und vieles mehr – beispielsweise, dass die schier unbegrenzten technologischen Möglichkeiten statt zur Wissensvermittlung auch zur Verblödung spezifisch adressierter Gruppen sehr erfolgreich eingesetzt werden können. In den falschen Händen sind so manche von uns erdachten und entwickelten Tools zu radikalen Manipulationsinstrumenten migriert. Die Wissenschaft und die Gesellschaft insgesamt sollte und muss sich daher wesentlich intensiver als bisher gerade auf diesem Gebiet rechtzeitig mit Technologiefolgen-Abschätzungen und möglichen Vorbeugemaßnahmen befassen. Auch elementare Fragen wie beispielsweise die der Auswirkungen von Technologiestress auf Physis und Psyche sollten bzw. müssten noch intensiver, wie bisher von interdisziplinären Teams, untersucht werden. Insbesondere wenn wir an eine gesamtgesellschaftliche Kosten-Nutzen-Bilanz denken. Eine technologische Innovation ist nicht notwendigerweise immer etwas Positives. Man muss dabei immer weiterdenken und sich in jedem Fall die Frage stellen, ob ihre möglichen – vielleicht ungewollten – Auswirkungen verantwortbar sind. Wenn allen Menschen tatsächlich bewusst wäre, wie sehr und total sie bei uns – nicht nur in China – überwacht werden, würden viele wohl in eine tiefe Verzweiflung fallen. Aber wir sind mittlerweile ziemlich abhängig von Informations- und Kommunikationstechnologie – vollkommen – wage ich zu behaupten. Wer die Nutzung eines Smartphones oder des Internets verweigert, wird zum völligen Außenseiter. Eine der ganz wenigen positiven Auswirkungen dieses schrecklichen Ukraine-Kriegs könnte vielleicht sein, dass in Politik und Gesellschaft mehr Bewusstsein geschaffen wird, dass man sich keinesfalls, an wem auch immer, völlig ausliefern darf, in dem man sich vollständig abhängig macht. In der Nutzung vieler IKT-Ressourcen sind wir aber längst völlig abhängig von einigen wenigen.

Welche nächsten großen Würfe erwarten Sie in der IT?

Pomberger: Im Hardware-Segment sicher Quantencomputing, das ist schon relativ weit entwickelt, und wird uns nochmals einen Schub geben. Natürlich die bereits vorhandenen Erkenntnisse, Methoden, Techniken und Algorithmen der KI, deren Einsatzmöglichkeiten bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Auch diese Entwicklungen werden naturgemäß positive und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft nach sich ziehen.

Zum Abschluss würden wir gerne Ihre Position zur neuen Digitaluniversität erfahren.

Pomberger: Österreich gibt im Vergleich zu anderen Ländern, z.B. der Schweiz, viel zu wenig Geld für die Forschung aus, sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die anwendungsorientierte Forschung. Es ist bis lang leider nicht gelungen die Politik dafür zu sensibilisieren ausreichend Geld für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Daher ist jeder Euro, der trotzdem in die Forschung investiert wird, dringend notwendig. Man kann also nur begrüßen, wenn mehr Geld für die Forschung zur Verfügung gestellt wird. Die Frage ist aber, ob tatsächlich zusätzliches Geld investiert wird, oder ob nur umgeschichtet und von anderen Töpfen abgezweigt wird. Diesbezüglich gehen die Einschätzungen und Meinungen auseinander und Transparenz ist in der österreichischen Politik ein Fremdwort. Betrachtet man die an der neuen Technischen Universität geplanten Studiengänge und Forschungsschwerpunkte, so kann ich in dem veröffentlichten Konzept nicht wirklich etwas Innovatives erkennen. Ein Faktum ist zudem, dass wir in Österreich in den MINT Fächern und dazu gehört auch Digitalisierung, zurzeit kein Angebots- sondern ein Nachfrageproblem haben. Die vorhandenen MINT-Plätze können jetzt schon nicht gefüllt werden. Davon zu träumen, dass man Studenten die in Zürich, London oder den USA studieren wollen, wegen einer neuen TU nach Linz umleiten kann, ist wohl etwas naiv. Die JKU hat eine hervorragende naturwissenschaftliche Fakultät und die FH OÖ ist in dem anvisierten Forschungs- und Studiensegment ebenfalls bestens aufgestellt. Beide Institutionen haben eindrücklich bewiesen, wie stark und kompetent sie sowohl in der Grundlagen- wie auch in der anwendungsorientierten Forschung sind, und auch in der Lehre. Die Basis der Infrastruktur für einen substanziellen Ausbau der Forschung ist also da. Würde da mehr Geld reinfließen, wäre der Hebel wohl deutlich größer. Was also bisher am Tisch liegt, reißt mich nicht vom Hocker. Und warum soll eine neue TU nicht im Rahmen des bestehenden UG realisierbar sein? Es wird auch noch ein eigenes Gesetz dafür kreiert, das noch dazu große Ähnlichkeit mit dem FHG hat. Das alles als Innovation zu verkaufen ist schon ein starkes Stück. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass von Expertenseite nahezu ausschließlich negative Stellungnahmen zu diesem Vorhaben vorliegen. Sie sehen, dass sich mir die Sinnhaftigkeit des Vorhabens nicht wirklich erschließt. Ich sehe wenig Grund zum Optimismus, aber ich hoffe sehr, dass ich mich irre – es geht immerhin um unser aller Geld und einen sinnvollen Einsatz desselben.

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