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IVAN BAJIC / E+ / GETTY IMAGES

Grüne Revolution - Und es bewegt sich doch etwas

19.12.2023 um 12:53, Klaus Schobesberger
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China als größter Klimasünder ist gleichzeitig auch der wichtigste Motor der grünen Revolution - und eine ernste Bedrohung für Europa.

Die grüne Energierevolution sei in vollem Gange „und sie ist unumkehrbar“, schreibt ein deutscher Leitartikler fast wie zum Trotz gegen die schlechte Stimmung in seinem Land an. Da hat er wohl recht. Und was für Deutschland gilt, hat auch für Österreich seine Richtigkeit. Es ist der menschliche Erfindergeist, der eine neue Epoche einleitet – oft abseits des Scheinwerferlichts politischer Großver­anstaltungen wie der am 12. Dezember in Dubai zu Ende gegangenen UN­Welt­klimakonferenz COP28. Ob die Tage im ölreichen Gastgeberland nur Zeitverschwendung und heiße Luft gewesen sind oder diplomatische Meilensteine für gemeinsame Maßnahmen errun­gen wurden, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wird sich kurzfristig nur schwer beurteilen lassen. Denn am Ende des Tages werden mit den verlautbarten Zielen bloß politi­sche Absichtserklärungen abgegeben – ohne Verbindlichkeit und ohne Sank­tionsmöglichkeiten. Fast erscheint es wie eine Parallelwelt, wenn die Internatio­nale Energieagentur (IEA), eine Orga­nisation, die nicht unbedingt bekannt ist für einen überschwänglichen Opti­mismus, einen positiven Ausblick ver­öffentlicht: Der phänomenale Aufstieg sauberer Energietechnologien wie Solarkraft, Windkraft, E­Autos und Wärme­pumpen werde verändern, wie wir alles antreiben – von Fabriken und Fahrzeu­gen bis zu Haushaltsgeräten und Heiz­systemen. 2030 werden saubere Energien mit knapp 50 Prozent erheblich stär­ker im Strommix vertreten sein als heu­te; derzeit machen sie einen Anteil von etwa 30 Prozent aus. Konkret prognos­tiziert die Behörde mit Sitz in Paris, dass in sechs Jahren etwa zehn Mal so viele Elektroautos auf den Straßen fahren. Und Photovoltaik soll dann mehr Elek­trizität generieren als aktuell das gesamte US­Stromsystem. „Und es bewegt sich doch etwas“, hätte der moderne Galileo Galilei ausgerufen.

Große und kleine Transformationen
Transformation ist ein politisches Buzz­word. Der sichtbare Fortschritt ist viel­fach Entscheidungen geschuldet, die in Vorstandsetagen der Konzerne getrof­fen werden. Mit weitreichenden Folgen für uns alle. Ein Beispiel: Das 1,5 Mil­liarden Euro schwere Projekt „green­tec steel“ der voestalpine AG ist eine Art Operation am offenen Herzen. In Linz und Donawitz werden während des laufenden Betriebs zwei der fünf Hochöfen durch (mit grünem Strom) betrie­bene Elektrolichtbogenöfen ersetzt. In drei Jahren sollen die CO2­Emissionen der voestalpine um 30 Prozent gesenkt werden, was gesamtösterreichisch um 5 Prozent weniger Treibhausgase bedeu­tet. Bis 2050 will der Stahlkonzern kli­maneutral sein. Für die global tätige Industrie werden die Karten gerade neu gemischt. Sie muss sich „transfor­mieren“ und gleichzeitig bei steigenden Energie-­ und Lohnkosten wettbewerbs­fähig bleiben. Das könnte für erhebliche wirtschaftliche und geopolitische Ver­schiebungen im globalen Machtgefüge sorgen. Was an der Rolle Chinas liegt.

21,4 Milliarden

Zwei Kohlekraftwerke pro Woche
Ohne großes Aufsehen und mit viel staatlicher Unterstützung sind chinesi­sche Unternehmen heute weltweit füh­rend in genau jenen Bereichen, die das Herzstück der Energiewende ausma­chen: Windkraft, Solarenergie, Was­serkraft, Lithiumbatterien und Elektro­autos. China dominiert entweder die Sektoren oder die Lieferketten, die sie unterstützen. Es ist paradox, wie so vie­les: Der größte Umweltverschmutzer der Welt, der doppelt so viele Treibhausgase ausstößt wie die USA, ist zum Motor der grünen Revolution geworden. China errichtet im Schnitt zwei neue Kohle­kraftwerke pro Woche und baut gleich­zeitig ein riesiges Solarkraftwerk mit­ten in der Mongolei – dort, wo sonst Kohle gefördert wird. Sonne, Wind und Wasserkraft tragen in China inzwischen mit 28 Prozent zur Stromerzeugung bei. Und der Ausbau soll rasant weiterge­hen. In diesem Jahr will China Wind­- und Solarkraftanlagen mit einer Kapazi­tät von 160 Gigawatt installieren, ein neuer jährlicher Rekord. Im vergangenen Jahr betrug der Zuwachs bei Wind­ und Solarkraft 125 Gigawatt. Laut einer Pro­gnose von Standard & Poor’s Global wird China 2050 62 Prozent seines Stroms durch erneuerbare Energien erzeugen.

China ist schwer am Vergolden
Die Ziele der Weltklimakonferenz zur Emissionsreduzierung mögen gut für den Planeten sein – noch besser sind sie allerdings für die chinesische Wirt­schaft. Staatschef Xi Jinping hat kurz vor der COP26 in Glasgow den Aktions­plan für die Senkung der chinesischen CO2­Emissionen vorgestellt und ihn mit seinem „Konzept der zwei Berge“ verbunden. Dem zufolge sind „grüne Berge und klares Wasser genauso wertvoll wie Berge aus Gold und Silber“. Derzeit ist China schwer am Vergolden. Chinesi­sche Unternehmen produzierten im vergangenen Jahr mehr als drei Vier­tel der weltweiten Solarpaneele. Fast zwei Drittel des weltweiten Bedarfs für Lithium­Ionen­Batterien für Elektro­autos kommen aus China. Laut einem Strategiepapier der EU ist Europa dabei, bei Batterien und Brennstoffzellen von China genauso abhängig zu werden, wie es bei Gas mit Russland der Fall war. Bei E­Autos wurde China vom Nach­ahmer zum Innovator und behauptet sich dank üppiger Staatshilfen in die­sem Segment als globaler Marktführer. Fast 10 Prozent beträgt der Anteil chine­sischer E­Autos in Westeuropa, darunter SAIC­Motor, BYD oder Geely. Letzte­rem gehört der schwedische Autoher­steller Volvo und die Elektroautomarke Polestar. Die Tendenz der Importe nach Europa ist stark steigend, weil die Autos zu Preisen verkauft werden, mit denen europäische und amerikanische Herstel­ler nur schwer mithalten können. Solar­energie, Batterien und Elektroautos sind das, was die chinesischen Staatsmedien als „die neuen drei“ bezeichnen, und die drei Industriegüter ersetzen, die frü­her die Wirtschaft antrieben (Kleidung, Möbel und Haushaltselektronik). Das grüne Wirtschaftswunder findet derzeit vor allem in China statt. Und Brüs­sel ringt vergeblich nach einer Antwort.

COP28
COP28 in Dubai: 200 Staaten mit unterschiedlichen Interessen suchen Lösungen.

Mehr als nur Passagier
Österreich wirkt angesichts dieser Zah­len europäischer und internationaler Kli­ma-­ und Wirtschaftspolitik wie ein Pas­sagier. Die schwarz­grüne Koalition ist in vielen klimapolitischen Fragen uneins und scheint zu wenig ambitioniert, die CO2­Emissionen bis 2030 um fast die Hälfte zu reduzieren. Dennoch ist vie­les in Bewegung geraten. Die Förder­budgets für den Klimaschutz erreichen in dieser Legislaturperiode nie dagewe­sene Höchststände. Seit 2020 wurden 21,4 Milliarden Euro in den Klimaschutz investiert. 5,7 Milliarden Euro stehen bis 2030 für Unternehmen bereit, die auf kli­maneutrale Produktion wechseln. Davon allein drei Milliarden für die Umstel­lung von Industrieanlagen, die mehr als 15.000 Tonnen CO2 pro Jahr aussto­ßen. Die Wasserstoffforschung nimmt in Oberösterreich Fahrt auf. Und auch in das Stromnetz wird investiert: Zwei Milliarden Euro stellt die Energie bis 2030 für den Ausbau und die Moderni­sierung dafür bereit; die Linz AG inves­tiert 700 Millionen Euro in den Netz­ausbau. Klingt nach einem Programm für eine wettbewerbsfähige Zukunft.

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China wird zur Elektroauto-Großmacht: Neues BYD Modell auf einer Automesse in Hongkong.

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