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Videoausschnitt aus dem Werbefilm "Linz ist Linz"
Screenshot aus dem Tourismus-Video: Linz ist ein "wenig rassistisch" und eine Stadt der Senioren. Wie viel Selbstironie verträgt Werbung?
Screenshot aus dem Tourismus-Video: Linz ist ein "wenig rassistisch" und eine Stadt der Senioren. Wie viel Selbstironie verträgt Werbung?
Linz Tourismus Forafilm

Experte zu Linz-Video: "Glatte Themenverfehlung"

06.08.2021 um 14:09, Klaus Schobesberger
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Wirbel um Linz-Werbung: Für Michael Brandtner, Autor und Berater für Marken-Positionierung, ist das Tourismusvideo zu negativ und eine Werbe-Einzelaktion, die ohne Folgen verpuffen werde. Linz fehle es an einem Gesamtkonzept.

CHEFINFO: Das provokant gemachte Tourismus-Video der Stadt Linz erhitzt die Gemüter und beherrscht derzeit die Medien. Auf YouTube ist der „Linz ist Linz“-Clip Nummer eins. Ist das aus Werbesicht nicht ein Erfolg?
 
Michael Brandtner: Aus der Sicht der Werbung lässt sich die Frage nach dem Sinn so einer Provokation durchaus kontroversiell diskutieren. Würde ich nach einer Schulnote gefragt, wäre ein „Befriedigend“ meine Antwort. Aus der Markenperspektive gäbe es ein „Nicht genügend“, weil es aus meiner Warte eine glatte Themenverfehlung ist. Das Video zeigt eher die Schwäche auf, dass Linz keine Positionierung hat. Als Auftaktaktion eines Gesamtkonzepts würde das Sinn machen. Es fehlt aber der Plan. Wer keine klare Positionierung hat, dem bleibt nur die Flucht in Werbe-Einzelaktionen. Der Job der Werbung aus Markensicht jedoch ist es, die Positionierung zu verstärken.
 
Hat sich Linz mit Ars Electronica & Co nicht als die moderne Alternative gegenüber Salzburg und Wien in Position gebracht?
 
Ja, aber zu wenig deutlich. Es fehlt der echte Fokus. Linz hat im Kulturhauptstadt-Jahr 2009 versäumt zu fragen: Was soll langfristig bleiben? Wofür soll Linz stehen? Sichtbar geblieben aus dieser Zeit ist nur der Höhenrausch.
 
Kann man das vergleichen? Tut sich eine Stadt bei der klaren Verankerung mit einem Thema in den Köpfen der Menschen nicht automatisch schwerer als eine Verbrauchermarke wie Coca-Cola?
 
Städtepositionierung ist schwierig, weil Städte alles sein möchten. Sie möchten als Wirtschaftsstandort, Kulturstandort, Wohnort und Tourismusdestination gleichzeitig punkten. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass die Stadt ein wesentlich kleineres Einzugsgebiet hat als der Tourismus. Je kleiner das Einzugsgebiet ist, desto breiter darf die Positionierung sein. Je größer mein Einzugsgebiet ist, desto enger sollte die Positionierung sein. So gesehen sollte die Positionierung des Tourismus viel spitzer sein als jener der Stadt. Und so gesehen hat Linz als Landeshauptstadt in Oberösterreich selbst eine klare Führungsposition. Nur das ist national und international zu wenig.

 

Michael Brandtner
Michael Brandtner mit seinem neuen Buch "Radikale Markenfokussierung", erschienen im Linde Verlag.

Linz ist nicht Andy Warhol

Die Reaktionen der „Linz ist Linz“-Kampagne reichen von „langfristigem Imageschaden“ bis „jetzt bin ich neugierig und schaue mir Linz an“. Breitenwirkung und Aufmerksamkeit sind enorm. Was wird bleiben?
 
Langfristige Imageschäden? Niemals. Aber es wird auch im positiven Sinn nichts bleiben. Wir leben in einer extrem schnelllebigen Zeit, daher wird dieses Aufmerksamkeitsphänomen nur von sehr kurzfristiger Dauer sein, weil nicht in die Marke eingezahlt wird. Linz ist nicht Andy Warhol. Der berühmte Pop-Art-Künstler sagte sinngemäß, man solle nicht darauf achten, ob Medien positiv oder negativ berichten, sondern das Geschriebene in Quadratzentimetern messen. Aber der Punkt ist: Bei Andy Warhol war Provokation ein Teil der Positionierung.
 
Grenzüberschreitungen in der Werbung sind nicht neu, denken Sie an Benetton und das Aids-Sujet. Braucht es nicht kalkulierte Skandale, um als Marke überhaupt wahrgenommen zu werden?
 
Das Problem mit der Provokation ist der Langfrist-Effekt. Eine Marke lebt von der Wiederholung. Ich wähle einen Fokus wie „Fahrfreude“ bei BMW – und diesen wiederhole ich über Jahre und Jahrzehnte immer wieder. Beim Fokus „Provokation“ ist das Hauptproblem, die Provokation zu steigern. In dieser Falle saß auch die Benetton-Kampagne. Irgendwann verlieren die Schockbilder an Wirkung. Provokation nutzt sich ab. In den 1970er-Jahren galt eine nackte Frauenbrust in Fernsehserien als Skandal, heute spricht niemand mehr darüber.

Menschen lieben Hollywood mehr als Dokus

Die Macher des Linz-Videos argumentieren mit der Authentizität als neuem Trend. Werbung verschönert, verfälscht die Realität. Ist da nicht etwas dran?
 
Dem halte ich entgegen: Menschen lieben Hollywood mehr als Dokus. Wir haben das Schöne einfach lieber. Psychologisch macht es schon Sinn, etwas Negatives zu beleuchten – aber nur wenn ich etwas Positives ernten kann. Ein Beispiel aus der Werbegeschichte ist das Shampoo „Crisan“ und dessen markiger Werbespruch „Sauteuer, aber es wirkt!“ Sauteuer ist negativ, dafür folgt ein positives Werbeversprechen. So gesehen sind die Ansätze in dem „Linz ist Linz“-Video nicht schlecht, aber es fehlt am Ende die Übersetzung ins Positive.
 

Die Ansätze in dem „Linz ist Linz“-Video sind nicht schlecht, aber es fehlt am Ende die Übersetzung ins Positive.

In Ihrem neuen Buch „Radikale Markenfokussierung“ liefern Sie eine Anleitung zum Markenerfolg im digitalen Hyperwettbewerb. Welche neuen Trends beobachten Sie?
 
Eine spannende Entwicklung finde ich den Siegeszug der sogenannten Microbrands. Diese oft von Start-ups ins Leben gerufenen Mikromarken sind eng fokussiert und wachsen dank der sozialen Netzwerke und ihren Influencern enorm schnell. Diese Internet-Marken brauchen keine millionenschweren Werbebudgets, sondern sie leben von ihren Communities auf Instagram, YouTube oder Facebook. Zudem werden diese Mikromarken auch immer öfter eine Herausforderung oder sogar Bedrohung für die sogenannten klassischen Marken.

 

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