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Film "Knives Out – Mord ist Familiensache" (2019)
Der Film „Knives Out“ (2019), der auf einem Drehbuch basiert, das Agatha Christie geschrieben haben könnte, handelt von Erbschleicherei in der Familie.
Der Film „Knives Out“ (2019), der auf einem Drehbuch basiert, das Agatha Christie geschrieben haben könnte, handelt von Erbschleicherei in der Familie.
Lions Gate / Everett Collection / picturedesk.com

Erben und vererben: Mein letzter Wille geschehe

24.05.2023 um 14:52, Jürgen Philipp
min read
Die „Boomer“ gehen in Rente. Die nachfolgenden Generationen stehen vor einem „Erbenhaufen“ von rund 14 Milliarden Euro. Was muss man beim (Ver)Erben beachten?

Der Film „Knives Out“, der 2019 erschien und auf einem Drehbuch basiert, das Agatha Christie geschrieben haben könnte, handelt von Erbschleicherei in der Familie. Ein von einer unbekannten Person bezahlter Privatermittler, dargestellt von Daniel Craig, glaubt nicht an einen Selbstmord und entwirrt das Rätsel um die „liebe Familie“ samt anderer Figuren, die alle auf das Erbe des (erfolg)reichen fiktiven Krimiautors Harlan Thrombey schielen. Auch wenn es nie offiziell bestätigt wurde, soll Drehbuchautor und Produzent Rian Johnson die Idee zum Film auf dem kuriosen Erbfall der Madame Liliane Bettencourt basieren. Die Tochter von L’Oréal-Gründer Eugène Schueller begann mit 15 Jahren als Verpackerin und Lageristin bei L’Oréal. 1957 starb ihr Vater und vererbte ihr ein (noch) kleines Vermögen. Aus diesem sollte ein großes werden. L’Oréal ist heute einer der größten internationalen Kosmetikkonzerne und Liliane war bei ihrem Tod 2017 die reichste Frau der Welt. Ihr letzter Wille hinterließ einige Fragezeichen. Mehrere Hundert Millionen Euro vermachte sie der Forschung, ihre Kunstsammlung dem Staat, rund zehn Millionen sollte ihr Krankenpfleger erben. Tochter Françoise Bettencourt-Meyers zweifelte an der Zurechnungsfähigkeit ihrer Mutter und das schon neun Jahre vor ihrem Tod. 2008 setzte Liliane nämlich den Fotografen und langjährigen Freund François-Marie Banier als Alleinerben ein (die Aktien an L’Oréal hatte sie vorher schon an Françoise übergeben). Ihre Tochter verklagte Banier und unterstellte ihm Erbschleicherei – und sie bekam recht. Der Fotograf wurde wegen „Ausnutzung von Schwäche“ zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, später wurde eine Bewährungsstrafe daraus. Ab diesem Zeitpunkt versuchte Françoise ihre Mutter für unzurechnungsfähig zu erklären. Doch wie stellt man das fest? Notar Bernd Alber erklärt: „Man muss testierfähig sein. Der Begriff ist eine ein wenig abgeschwächte Variante der Geschäftsfähigkeit. Wenn Zweifel bestehen und zum Zeitpunkt des Testaments kein ärztliches Gutachten vorliegt, muss das in einem Prozess im Nachhinein geklärt werden, das passiert mit Zeugenaussagen, ärztlichen Briefen oder Befunden.“ 2017 starb Liliane und Françoise folgte ihr als reichste Frau der Welt nach. Mit einem Vermögen von rund 75 Milliarden Euro liegt sie vor ihren Kolleginnen deutlich in Pole Position. Ihr männlicher Konterpart und Landsmann Bernard Arnault (LVMH – Louis Vuitton, Moet, Hennessy) hat allerdings fast 120 Milliarden mehr an Vermögen. Frank„reich“ gibt bei den Superreichen jedenfalls den Ton an.

Erben und vererben in Österreich
Erben und vererben in Österreich verläuft meist sehr harmonisch ab.

Erbschleicherei im Vormarsch?

Doch ist Erbschleicherei nur etwas für fiktionale Stoffe bzw. bei Superreichen ein Thema? Keinesfalls, wie Prof. Volker Thieler im Manager Magazin erklärt. Thieler bekämpft mit seiner Stiftung skrupellose Abzocker, die vor allem ältere Menschen im Visier haben. Thieler berichtet von steigenden Beschwerden: „Es lohnt sich ja auch. In Deutschland werden nach Schätzungen rund 250 bis 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt.“ Die Methode fasst er dabei mit den „drei A“ zusammen: „Also erst Anschleichen, dann Abschotten und am Schluss Abzocken.“ Erbberechtigte sollten diese Warnzeichen verstehen, vor allem, wenn der Kontakt immer mehr abreißt und sich die ältere Person immer mehr isoliert. Etwa wenn „Sie die Telefongespräche mit einer Ihnen vertrauten Person nicht mehr so führen können, wie gewohnt. Wenn die Telefonate plötzlich abgehackt, kurz und knapp sind, dann können Sie davon ausgehen, der Erbschleicher steht hinter Ihrem Angehörigen und kontrolliert alles.“
Langjährige familiäre 

Langjährige familiäre Konflikte können aufbrechen

Erbschleicherei, Streit um die Verlassenschaft, Klagen zur Zurechnungsfähigkeit: Warum kann erben so mühsam sein? Testamentsvollstrecker erleben im Streitfall fast immer dasselbe. Es brechen (familiäre) Konflikte auf, die jahrzehntelang unter der Decke brodeln, zudem geht es immer um Erwartungen und schließlich ist der letzte Wille des Erblassers eben nicht immer vorhersehbar. So wird nicht selten an Vereine oder Organisationen vererbt. Doch selbst Testamentsvollstrecker können zum Stein des Anstoßes für Streitereien werden, wie der Fall des deutschen Großunternehmers Heinz Hermann Thiele (Knorr-Bremse, Vossloh, Lufthansa) beweist. Thiele hinterließ ein Erbe von 17 Milliarden Euro. Dem Testamentsvollstrecker Robin Brühmüller, langjähriger Steuerberater von Thiele, stehen laut deutschem Notarverein 1,5 Prozent der Erbsumme, also in diesem Fall 255 Millionen Euro, zu. Witwe Nadia Thiele fand diese Summe unangemessen und klagte auf Entlassung des Testamentsvollstreckers. Die Beschwerde gegen Brühmüller wurde vom Nachlassgericht München jedoch abgewiesen.

Heinz Hermann Thiele (Knorr-Bremse AG)
Heinz Hermann Thiele (Knorr-Bremse AG) hinterließ 17 Milliarden Euro. Seinem Testamentsvollstrecker stand daher ein Honorar von von 255 Millionen Euro zu.

Pflichtteil bleibt Pflichtteil, es sei denn …

Selbst wenn der Erblasser an Caritas, Feuerwehr oder Fußballverein vererben will, es bleibt immer noch der Pflichtteil. „Der Pflichtteil ist das, was dem Kind und Ehegatten bzw. eingetragenen Partner mindestens zustehen muss. Es gilt: 50 Prozent der gesetzlichen Erbquote. Der Pflichtteil ist grundsätzlich als reiner Geldanspruch vorgesehen“, so Alber. Will man den Ehe- oder eingetragenen Partner oder die Kinder enterben, bzw. deren Pflichtteil reduzieren, braucht es dazu triftige Gründe: „Etwa, wenn ich 20 Jahre unverschuldet zu meinem Kind keinen Kontakt habe. Diese Gründe sollen jedenfalls im Testament angeführt werden. Die Gründe beweisen muss der Pflichtteilsschuldner, das ist üblicherweise der Erbe.“ Schließlich gibt es noch die Erbunfähigkeit bzw. Erbunwürdigkeit. „Etwa wenn jemand gegenüber dem Erblasser eine strafrechtliche Handlung ausübt, sprich, wenn der Sohn den Vater ermordet, ist er erbunwürdig.“ Weitere Gründe sind das Zufügen schweren seelischen Leids oder verschwenderischer Lebensstil. „Dann kann ich diese Personen enterben und das Erbe geht auf dessen Kinder über.“ Ein weiterer Grund ist auch die Vereitelung des letzten Willens, sprich das Entwenden eines Testaments. „Ein Testament, das beim Notar aufgesetzt wurde, kann nicht gestohlen werden. Es wird im Safe hinterlegt und der Inhalt wird im zentralen Testamentsregister gespeichert. Auf das kann der Notar zugreifen, der die Verlassenschaft abwickelt. Es kann also nicht mehr verschwinden, das gilt genauso für Pflichtteilverzichte.“ Diese Pflichtteilverzichte, die notariatspflichtig sind, kommen beim Vererben von Immobilien oder Unternehmen oft zum Einsatz. Eine Person erbt alles und verpflichtet sich dazu, die anderen Erben, die auf ihren Pflichtteil verzichtet haben, auszuzahlen. Damit bleibt etwa die Manövrierfähigkeit eines Unternehmens gewährleistet, gilt aber auch für Immobilien. In Deutschland werden 72 Prozent der ererbten Immobilien selbst bewohnt oder vermietet, nur 28 Prozent verkauft.

Alfred Nobel
Nobles Erbe: Beinahe hätte es keine Nobelpreise gegeben. Alfred Nobels Testament hatte viele Formalfehler und wurde angefochten.

Alfreds „nob(e)les“ Erbe wäre fast ungültig gewesen

Doch es sind meist schnöde Dinge, die zu Erbstreitigkeiten führen. Hauptproblem: Es gibt kein Testament oder wenn es eines gibt, ist es unvollständig. Ein prominentes Beispiel dafür ist Alfred Nobel. Sein Nobelpreis ist sein Erbe an die Menschheit. Doch so genial Nobel auch war – er meldete 355 Patente an –, so schlampig war sein letzter Wille. Nobels Beispiel wurde von Dietrich Ostertun in der FAZ akribisch beleuchtet. Kurzfassung: Bertha von Suttner, die einige Zeit für Nobel arbeitete, animierte den Chemiker, einen Friedenspreis zu stiften. Nobel nahm diese Idee in sein Testament auf, das er 1895 mit anwesenden Zeugen verfasste. Ein Jahr später starb Nobel. Beinahe sein ganzes Vermögen soll in eine Stiftung fließen, die jährlich fünf Preise für den Nutzen der Menschheit vergeben sollte. 94 Prozent seines Nachlasses im Wert von 30 Millionen Kronen sollten in diese Stiftung gehen. Die Verwandten und Freunde des kinderlosen Nobels bekamen kaum etwas. Nobels Meinung dazu: Geerbter Reichtum mache faul. Doch sein Testament ließ einiges im Unklaren. Ist die Stiftungsgründung nach seinem Tod überhaupt rechtens? Wer sitzt in der Jury? Wie ist der Fonds gestaltet und dotiert? Was passiert mit dem Kapital und wer ist dafür überhaupt zuständig? Nobel hatte mehrere Wohnsitze, weshalb nicht einmal der Gerichtsstand geklärt war, etwa in welchem Land Erbschaftssteuern zu entrichten seien. Es kam zu einem heftigen Streit – die Nachkommen fochten das Testament an – den der schwedische König schließlich mit einem Vergleich beendete. Seit 1901 werden Nobelpreise vergeben. 

George Michael
Neun Millionen Euro verdienen die Erben von George Michael pro Jahr, allein durch die Tantiemen des Songs „Last Christmas“.

Last Christmas? Nicht für die Erben

Doch nicht nur Geld, Immobilien oder andere Besitztümer lassen sich vererben, auch Urheberrechte. Vielleicht schielte der Autor Nick Hornby 1998 heimlich in Richtung George Michael, Sänger der britischen Band Wham, als er „About a boy“ schrieb. Der Protagonist, im Film dargestellt von Hugh Grant, erbt die Tantiemen eines Weihnachtssongs, den sein Vater schrieb und lebt daher ohne finanzielle Sorgen. Als der kinderlose George Michael 2016 starb, erbten seine Patenkinder und Verwandten unter anderem auch die Tantiemen an seinen Songs. Songs, von denen einer besonders heraussticht: Das Weihnachtslied „Last Christmas“. Da Michael sowohl Komponist und Autor war „klingelingelingen“ die Kassen, sobald der Song im Radio, Fernsehen oder im Supermarkt läuft. Geschätzte 500 Millionen Mal wird das Stück Jahr für Jahr rund um den Erdball gespielt. Das bringt den Erben allein für diesen Song Einnahmen von rund neun Millionen Euro jährlich. Und zwar „alle Jahre wieder“ bis 2086, dann erst – 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers – geht der Song ins Allgemeingut über.

Wer erbt meine Daten?

Und schließlich poppte in den letzten Jahren ein komplett neues Thema auf: Das digitale Erbe. Wem gehören Daten oder Social-Media-Accounts im Falle des Ablebens? Ein noch immer umstrittenes Thema, gilt doch etwa ein Facebook-Konto als höchstpersönlicher Besitz. Doch nicht nur das: E-Mail-Konten, Mobilfunkverträge, Chatverläufe und vieles mehr bringen eine Unmenge an Daten mit sich. Die Abwicklung dieser komplexen Thematik wird in den USA von Spezialisten übernommen, auch in Deutschland kam mit „Pacem Digital“ der erste Dienstleister dieser Art auf den Markt. 

Marlene Engelhorn
Marlene Engelhorn könnte von ihrer Großmutter 2,45 Milliarden Dollar erben, und sie will 90 Prozent davon abgeben.

Streit vorprogrammiert: Brauchen wir eine Erbschaftssteuer?

Auch die Politik ist in letzter Zeit vermehrt mit dem Thema Erben und Vererben beschäftigt. In Österreich gibt es seit 2007 keine solchen Steuern mehr. Der Verfassungsgerichtshof hob diese auf. Die Bewertung von Grundvermögen mit veralteten Einheitswerten sei verfassungswidrig. Die Steuer wurde nicht repariert, sondern abgeschafft, obwohl rund zwei Drittel aller EU-Staaten eine solche Steuer vorsehen. Modelle wie die Schaffung eines Freibetrags, indem kleinere Verlassenschaften steuerfrei bleiben, werden diskutiert. Unter anderem wird diese Diskussion auch von Erben riesiger Vermögen angefacht, etwa von Marlene Engelhorn. Sie weist darauf hin, dass hauptsächlich Reiche an Reiche vererben. Nur einer von drei Haushalten in den unteren 90 Prozent der Bevölkerung würde erben. Dieses Erbe beträgt im Schnitt 120.000 Euro. Bei den oberen 10 Prozent erben drei von vier Haushalten im Schnitt bereits 830.000 Euro. Das reichste Prozent erhält sogar 3,4 Millionen Euro. Egal wer was und wie viel erbt, erben kann das Leben im Positiven und Negativen verändern und so manche Lebensplanung auf den Kopf stellen oder – wie es der Komiker Danny Kaye ausdrückte: „Mit Vegetariern muss man diskutieren, sobald sie eine Wurstfabrik geerbt haben.“ 

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