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Anselm Bilgri, Unternehmensberater
Anselm Bilgri, Unternehmensberater
Anselm Bilgri, Unternehmensberater
Hoffotografen

Die heilige Kunst der Menschenführung

10.08.2022 um 00:00, Jessica Hirthe
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Vom Mönch zum Unternehmensberater: Anselm Bilgri verrät im Interview, was wir aus einer 1.500 Jahre alten Benediktiner-Schrift über modernes Management und das richtige Maß von Freiheit und Führung lernen können.

CHEFINFO: Was erwarten Klienten von einem Unternehmensberater, der früher Mönch war?
Anselm Bilgri: In meiner Beratung geht es um Werteorientierung und Unternehmenskultur. Wie geht eine Führungskraft so mit seinen Mitarbeitern um, dass alle Freude an der gemeinsamen Leistung haben? Das ist die Kunst der Menschenführung. Und die ist für unsere abendländische Kultur zum ersten Mal in der Regel des hl. Benedikts vor 1.500 Jahren aufgeschrieben worden. Und so kam ich drauf: Wenn dieses „ora et labora – bete und arbeite“ wirklich am Anfang unserer europäischen Wirtschaftsgeschichte steht, weil es das Arbeiten und Wirtschaften in ein positives Licht stellt, dann könnte unsere Wirtschaft, um nachhaltig erfolgreich zu sein, noch mehr davon profitieren. Doch da muss man schon einiges an Übersetzungsarbeit leisten.

Sie propagieren Wertemanagement. Welche Werte sind vor allem für Familienbetriebe besonders wichtig?
Bilgri: Familienbetriebe haben von Vorneherein den Vorteil, weil sie persönliche Beziehungen ermöglichen. Diese Unternehmer leben häufig im selben Ort, kennen ihre Mitarbeiter auch privat und sind mit ihnen in Vereinen. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich vor allem durch gute Beziehungen aus – zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, zum gesellschaftlichen Umfeld, zu den Eigentümern. Guten  Beziehungen zu führen fällt in Familienbetrieben leichter als in großen Konzernen. Hat natürlich auch den Nachteil, dass viele Entscheidungen durch persönliche Bindungen hinausgezögert werden.

In der alten Ordensregel Benedikts geht es um Gehorsam, Demut und Discretio. Was können Familienbetriebe heute davon lernen?
Bilgri: Gehorsam hat in unseren modernen Ohren einen schlechten Klang. Deswegen muss man sich den tieferen Sinn anschauen: Es bedeutet eigentlich, eifrig sein im Hinhören und das zu einer gemeinsamen Haltung werden lassen. Das kommt in vielen Betrieben zu kurz: das Hören vorm Reden. Man meint immer, gute Kommunikation bedeutet, überzeugend reden. Aber es beginnt beim Zuhören. Dann sollte man innehalten und überlegen, erst dann reagieren und handeln. In Familienbetrieben kann ich schon alleine durch die Beziehungen, die bestehen, nicht einfach Entscheidungen aus dem Ärmel schütteln, sondern muss mir überlegen, was das für denjenigen und sein Umfeld bedeutet.

Was ist unter Demut im heutigen Management eines Unternehmens zu verstehen?
Bilgri: Dieses Wort will man in einer Selbstoptimierungsgesellschaft nicht hören, weil viele denken, dass man sich dabei klein macht. Stimmt aber nicht. Humilitas ist das lateinische Wort, das Wort für Humus bedeutet für mich Bodenhaftung, mit beiden Beinen im Leben stehen. Im Deutschen ist die Herleitung: Wille zum Dienen. Management sollte man nicht als Position, sondern Funktion sehen: Ich bin in dieser Führungsaufgabe, um dem Ganzen zu dienen, den Boden bereiten, damit jeder seine Talente auch anwenden kann. Da sind wir auch schon beim Dritten: Discretio ist die Gabe der Unterscheidung. Ich muss meine Mitarbeiter in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnehmen. Diese Gabe kann man nicht lernen, sondern muss man mitbringen. Ich muss auf die Eigenart des Einzelnen eingehen können und sie fruchtbar machen für das Unternehmen. Discretio gehört zudem auch zu den Tugenden des Maßhaltens: Das richtige Maß finden im Umgang miteinander, Fingerspitzengefühl zeigen, flexibel sein.

Werden Familienunternehmen besser gemanagt als Konzerne?
Bilgri: Allein durch den Druck des alltäglichen Miteinanders ist es viel selbstverständlicher, miteinander umzugehen und Fingerspitzengefühl zu zeigen. Man ist auch viel angewiesener auf die Mitarbeiter, die da sind, während in Konzernen die Mitarbeiter oft nur Schachfiguren sind.

Familienbetriebe leben im Spagat zwischen Tradition und Innovation. Wie ist das am besten zu schaffen?
Bilgri: Tradition und Fortschritt sind kein Widerspruch. Im Kloster Andechs, in dem ich früher war, hatten wir ein Leitbild mit dem Satz: Unsere Tradition ist es, fortschrittlich zu sein. Sich um Erneuerung zu bemühen kann auch eine Form der Tradition sein. Wenn Unternehmen seit Generationen am Markt bestehen, müssen sie veränderungsbereit sein, sonst gäbe es sie nicht mehr. Was einen erfolgreichen Menschen gerade in Führungspositionen ausmacht, ist eine gesunde Portion Neugier und keine Angst davor zu haben, was kommt.

Diese Flexibilität wird neudeutsch Agilität genannt, seit Jahren ein Trendwort. Ihr neues Buch handelt auch von agilem Führen – was verstehen Sie konkret darunter?
Bilgri: Es geht genau um den Spagat Tradition und Fortschritt und darum, beides in einem Unternehmen zu leben. Zu wissen, woher man kommt, aber sofort reagieren zu können auf Veränderungen. Innerlich konstant und gleichzeitig nach vorne gerichtet bleiben können und ständig bereit sein, das Geplante wieder aufzugeben. Das wird in unserer Zeit natürlich extrem beschleunigt allein durch die Digitalisierung.

Das Stresslevel erhöht sich dadurch für viele enorm. Sie haben ja auch die Akademie der Muße gegründet: Wie stärkt man als Führungskraft in diesen Zeiten seine eigene Stressresilienz und die der Mitarbeiter?
Bilgri: Muße macht auch Mühe. Das heißt, ich muss mir mit Disziplin die Zeit nehmen, mich aus dem Hamsterrad des Alltags herauszunehmen und von oben auf mein Tun herabzuschauen. Dafür muss ich mir den nötigen Abstand schaffen. Das passiert nur, wenn ich mir dessen bewusst bin. Die besten Ideen haben wir, wenn wir nicht stur an eine Sache denken, sondern wenn wir den Kopf frei machen und die Gedanken schweifen lassen. Das haben wir leider völlig verlernt. Wer traut sich noch zu sagen: Ich war am Wochenende faul? Das ist schade: Denn genau das sind die Momente der Innovativität.

Die Arbeit ist wesentlicher Bestandteil eines erfüllten und sinnvollen Lebens. Doch zahlreiche Menschen sind heute unzufrieden mit ihrem Job, auch über das Thema Stress hinaus. Was kann man als Führungskraft dagegen tun?
Bilgri: In Familienbetrieben ist man wahrscheinlich leichter dazu geneigt, auch nach Feierabend den Mitarbeiter anzurufen. Als Führungskraft bin ich schon auch verpflichtet, mich um die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu sorgen. Dazu gehört auch, die Freizeit meiner Mitarbeiter zu respektieren.

Sie sprechen in Ihrem Buch über das richtige Maß an Freiheit und Führung. Wie viel Freiheit braucht ein Mitarbeiter und wie viel muss er doch geführt werden?
Bilgri: Mein Motto ist: Führen durch Sog, nicht durch Druck. Es muss eine solche Unternehmenskultur herrschen, dass man gerne mitmacht. Eine gewisse Begeisterungsfähigkeit ist viel wichtiger als kleinliche Autorität. Man muss sich jedoch von der Illusion frei machen, dass es gar keine Autorität braucht, das klappt nicht. Es muss immer jemanden geben, der Vorgaben macht. Doch die Art und Weise, wie derjenige versteht zu überzeugen, dass alle mitziehen, das ist das Geheimnis jedes Unternehmens. Und: Ich muss auch Beispiel geben und mich selbst an das halten, was ich von anderen verlange. Wenn der Arzt selbst raucht, wird auch der Patient nicht damit aufhören. Das sagt auch Benedikt: Mehr durch sein Beispiel und Leben wirken als durch noch so gute Worte. Gut zu führen ist auch eine Sache der Erfahrung. Man darf seine eigenen Ziele nicht aufgeben, sollte aber bereit sein, sich von der Realität zurechtstutzen zu lassen, und Rücksicht auf alle Beteiligten nehmen. Auch Fehler zuzugeben bricht niemandem einen Zacken aus der Krone – das macht authentisch.

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