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Frau mit Tränen im Gesicht | Credit: iStock.com/Chepko
Vom Verdrängen Verstehen bis zum Verändern: Was man tun kann, um wieder auf die Beine zu kommen.
Vom Verdrängen Verstehen bis zum Verändern: Was man tun kann, um wieder auf die Beine zu kommen.
iStock.com/Chepko

Lockdown-Leid: Wenn Corona die Psyche belastet

24.11.2021 um 15:44, Rudolf Grüner
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Studie zeigt: Die Seele schreit. Hier finden Sie in Wien Hilfe.

Die Pandemie schlägt aufs Gemüt. Seelisches Wohlbefinden? Fehlanzeige! Besonders Stadtmenschen leiden. Viele sind selbst betroffen – oder kennen jemanden, dem es nicht erst seit Beginn der vierten Welle nicht gut geht, wie das folgende Beispiel zeigt.

Alle spüren, dass bei ihr etwas nicht stimmt. Ein Freund, den sie lange nicht getroffen hat, wagt sich aus der Deckung. Wie es ihr denn geht? Eigentlich gar nicht gut! Was die schon ewig vertraute Freundin aber nicht sagt, geschweige denn zeigt. Vielmehr friert ihr Blick kurz ein, bevor darin wieder Optimismus aufflackert. Oft geprobt. Mittlerweile perfek­tioniert: Eine zweite, meist unsichtbare Maske, die B. D. (Name der Redaktion bekannt) im Alltag außerhalb der eigenen vier Wände jetzt immer öfter aufsetzt. Ein Schutzreflex. Sie will nicht schwach erscheinen, die seit der Pandemie höher lodernden seelischen Störfeuer hinter einer Brandmauer eisernen Schweigens auf Distanz halten. Weit weg von allen ­anderen – und vor sich selbst. „Geht so“, beschwichtigt sie stattdessen. Und: „Geht doch allen irgendwie gerade ähnlich“, legt sie nach. Ein Stehsatz, der aber auch ein echtes Gefühl beschreibt, das nicht nur die Frau mit dem Poker­face beschleicht und begleitet.

Weibliches und städtisches Problem

Dass die Corona-Wellen psychische Brandungsspuren hinterlassen haben, zeigt eine jüngst publizierte nationale Gallup-Gesundheitsstudie im Auftrag der Wiener Städtischen Versicherung. Mehr als die Hälfte der Befragten räumte ein, dass für sie die letzten Monate stark belastend gewesen wären. Besonders hervorstechend: Vor einem Jahr litt „nur“ gut jede/r Vierte unter (Corona-)Stress. Als Leidtragende wurden vor allem Frauen identifiziert, die durch Doppelbelastungen – etwa im Bereich der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen – ans Limit kommen; wie auch vermehrt Menschen aller Couleurs in den dicht besiedelten urbanen Milieus. 

Zahl der Betroffenen explodiert

Eine vom PSD (Psychosoziale Dienste in Wien) mitbeauftragte psychosoziale Studie, die die Situation der Wienerinnen und Wiener im Frühjahr 2020 mit der Situation zwölf Monate später vergleicht, bestätigt das düstere City-Bild. Vor gut eineinhalb Jahren gaben „nur“ 27 Prozent der Befragten an, dass sich ihre psychische Gesundheit verschlechtert hat. 12 Monate und drei Lockdowns später ist die Zahl der psychisch Leidenden sprunghaft auf 46 Prozent angewachsen. Laut den Studienautoren dominieren Existenzängste und belasten fehlende Zukunftsperspektiven: Anspannung, Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung bestimmen hier den Alltag.

Georg Psota, Chefarzt beim PSD | Credits: Feelimage/Matern
PSD-Chef Dr. Georg Psota: „Beobachte Verschlechterung bei jungen Menschen und vor allem bei Alleinerzieherinnen."

Beratung wird angenommen

„Besonders betroffen waren und sind Personen, die aufgrund ihrer geringen sozioökonomischen Ressourcen ins untere Drittel der Gesellschaft fallen, und jene, die bereits vor der Pandemie an psychischen Erkrankungen litten“, betont Dr. Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste, gegenüber Weekend Wien. Ebenso markant: „Die Verschlechterung bei jungen Menschen und vor allem bei Alleinerzieherinnen.“ Positiv: Vor allem erstere Gruppe nimmt die in den letzten 18 Monaten weiter ausgebauten niederschwelligen Hilfsangebote immer öfter in Anspruch.  Laut Studie hat sich der deren Anteil binnen eines Jahres sogar verdreifacht. Für Psota ein Indiz, dass Stigma und Vorurteile in Bezug auf psychische Krankheiten langsam schwinden. „Jüngere sprechen offener über ihre psychische Gesundheit, über mögliche Behandlungsoptionen und vernetzen sich über Social Media.“ So aufgeschlossen zeigten sich aber längst nicht alle. Große Ausnahme bleibt laut Facharzt der stereotypische „starke Mann, der niemals weint und mit seinen Problemen allein zurechtkommt“.

Jüngere sprechen offener über ihre psychische Gesundheit, über mögliche Behandlungsoptionen und vernetzen sich über Social Media. Primarius Dr. Georg Psota

Botschaft: „Du bist nicht kaputt“

Dass noch immer nicht genug über das Tabuthema gesprochen wird, findet ein Mann, der aus ganz anderem Holz geschnitzt ist. Unicef-Österreich-Ehrenbeauftragter, Autor und Unternehmer Ali Mahlodji war früher selbst nicht vor psychischen Problemen gefeit und will nun die nächste Generation aufrütteln. Seine Botschaft an alle, die Angst haben oder traurig sind: „Du selbst, du bist mehr als in Ordnung und du bist auch nicht kaputt oder musst repariert werden. Wenn du aber merkst, du kommst da alleine nicht heraus – dann hol dir Unterstützung!“

Ali Mahlodji spricht in ein Mikrofon | Credit: www.instagram.com/fit and stron by OEGK/Fit and Strong
Whatchado-Gründer Ali Mahlodji behandelt den Umgang mit Ups and Downs in seinem Podcast.

Du selbst, du bist mehr als in Ordnung und du bist auch nicht kaputt oder musst repariert werden. Wenn du aber merkst, du kommst da alleine nicht heraus – dann hol dir Unterstützung! Ali Mahlodji

Kein Beinbruch

„Es ist okay, wenn es einem nicht gut geht“, wirbt auch Psota für mehr Eigenverständnis. Im ersten Schritt helfe es auf jeden Fall, sich jemandem anzuvertrauen – das könne ein Freund sein, aber auch ein Profi. „Wenn man sich den Arm bricht, geht man auch zum Arzt, wieso sollten wir das nicht tun, wenn wir zwei Wochen lang depres­sive Symptome haben und unseren Alltag nicht mehr ­bewältigen können?“ Von ein paar Wochen ist bei B. D. längst keine Rede mehr, ihr Fall coronabedingt beinahe chronisch. „Geht schon …“, sagt sie immer noch – „…vorbei“, denkt sie sich still dazu. Doch diese Hoffnung schwindet. Zeit, Tacheles zu reden …  

Therapeut macht Notizen| Credit: iStock.com/g-stockstudio
Aktuell starten Psychologen an Schulstandorten Workshops, bis Ende 2022 sollen laut ÖGK 4.500 Wiener zusätzlich Therapie auf ­Krankenschein bekommen.

Anlaufstellen in Wien: Hier finden Sie Hilfe

  • Bei psychischen Belastungen in der Coronavirus-­Pandemie: kriseninterventionszentrum.at; Telefon: 01/406 95 95 (Mo bis Fr: 10 bis 17 Uhr)
     
  • Psychiatrische Soforthilfe: www.psd-wien.at; Telefon des sozialpsychiatrischen Notdienstes des PSD-Wien: 01/31 330 (rund um die Uhr)
     
  • Telefonseelsorge: 142 (rund um die Uhr)
     
  • Corona-Sorgenhotline der Stadt Wien: 01/4000-53000 (Mo bis So: 8 bis 20 Uhr)
     
  • Rat auf Draht (für Kinder und Jugendliche): www.rataufdraht.at, Telefon: 147 (rund um die Uhr)
     
  • Ö3 Rotes Kreuz Kummernummer: Telefon: 116 123 (Mo bis So: 16 bis 24 Uhr)
     
  • Hotline der Schulpsychologie: Telefon: 0800/211 320 (Mo bis Fr 8 bis 20 Uhr, Sa 8 bis 12 Uhr)
     
  • PsychologInnen-Suchmaschine des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen (BÖP)
     
  • www. psychnet.at, Helpline: 01/504 80 00 (Mo bis Do: 9 bis 13 Uhr)
     
  • PsychotherapeutInnen suchen: www.psyonline.at

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