Direkt zum Inhalt
Christine Pernlocher-Kügler ist Psychologin, geprüfte Bestatterin und Thanatologin.
Christine Pernlocher-Kügler ist Psychologin, geprüfte Bestatterin und Thanatologin.
Egon Höfinger

Trauerarbeit: Emotionen erwünscht

23.10.2020 um 10:31, Alexandra Nagiller
min read
Allerheiligen und Allerseelen stehen an – und damit rückt auch die Bewältigung von Trauer wieder vermehrt in den Fokus. Expertin Christine Pernlochner-Kügler gibt hilfreiche Einblicke.

Wie wichtig sind Allerheiligen und Allerseelen zur Trauerbewältigung?
Die Gräber werden vermehrt besucht, man wird verstärkt mit dem Verlust konfrontiert und das Thema ist auch in den Medien  allgegenwärtig. Man kommt aktuell nicht daran vorbei, sich mit dem Verlust zu beschäftigen.

Und das in einer Ausnahmesituation. Funktioniert Trauer heuer anders?    
Rituale sind aktuell eingeschränkt, so auch Abschiede am offenen Sarg. Das erschwert den gesunden Weg in den Trauerprozess. Trauer ist ein gesunder Prozess, aber er kann auch entgleiten und zu pathologischer Trauer werden.

Was bedeutet pathologische Trauer?     
Gesunde Trauer geschieht in Wellen. Es gibt Tage, an denen es einem besser geht, an denen man sich etwas erholen kann bevor die nächste Welle kommt. Krankhaft entgleiste Trauer bietet keine Erholungsphasen. Wenn dies zu lange dauert, kann es zu Burnout oder einer Depression kommen. Ganz wichtig sind aktive Bewältigungsstrategien und nicht das Vermeiden. Wer sich z. B. nicht verabschiedet, kann den Tod auch nicht richtig realisieren und nicht in den Trauerprozess starten.

Wie können Angehörige und Freunde helfen?     
Wichtig ist es, da zu sein, zuzuhören, aber auch lästige Dinge abzunehmen, z. B. Amtsgänge, Kochen oder Staubsaugen. Man sollte aber nicht alles übernehmen. Wenn der Trauernde nichts zu tun hat, sorgt das für einen Kontrollverlust. Eine Tagesstruktur ist wichtig, ebenso wie Aufgaben, bei denen man sich mit der Realität konfrontiert, etwa die Parte zu gestalten oder Fotos rauszusuchen.

Und wie wird nun Trauer bewältigt?     
Man muss die Wellen zulassen und den Schmerz aushalten. Das funktioniert wie bei Wehen. In dieser Zeit findet die Verarbeitung statt, wenn es zu viel wird, wechselt man in die Erholungsphase. Da muss man auch kein schlechtes Gewissen haben, sondern Kraft sammeln, denn die nächste Welle kommt bestimmt. Anfangs sind diese Gefühle sehr chaotisch, aber man lernt, damit umzugehen. Und die Häufigkeit und Stärke der Wellen nimmt ab.  

Wie lange dauert der Trauerprozess?     
Das hängt von der Beziehung zum Verstorbenen ab, aber auch von der Art des Todes, ob man sich z. B. darauf vorbereiten konnte. Wenn die Beziehung eng war, dann dauert es meiner Erfahrung nach drei bis fünf Jahre. Das erste Jahr ist das schlimmste, mit Geburtstag, Hochzeitstag und dem ersten Jahreszyklus ohne die Person. Dann wird es besser.  

Der Tod ist bei uns leider noch immer ein Tabu.
Das ist ein Manko, aber es hat sich auch schon viel getan. Ich arbeite gerade an einem Buch zu diesem Thema, denn ich finde es sehr wichtig, einen gesunden Umgang mit dem Tod zu haben. Erscheinungstermin ist nächsten Herbst.

Wie soll denn Ihre eigene Trauerfeier aussehen?
Ich kann mir gut einen offenen Sarg vorstellen, und dann ein Gläschen Wein mit einem Toast, gepaart mit Anekdoten, vielleicht auch einem Lächeln. Toll wäre aber überhaupt – so wie in den USA jetzt in zwei Bundesstaaten möglich – die Kompostierung als Bestattungsform. Was bleibt, ist fruchtbarer Grund, auf dem Neues gedeiht.

 

more