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AK OOE/Florian Stoellinger

Johann Kalliauer im Weekend-Exklusivinterview

11.09.2020 um 10:22, Gerhard Gall
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Der Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich über ein 650 Millionen Euro schweres Investitionspaket zur Konjunkturbelebung, die Diskussion rund um die Vier-Tage-Woche sowie die Schulsituation im Land

Weekend: Sie fordern für OÖ ein 650 Millionen Euro schweres Konjunkturpaket. Welche Eckpunkte hat es?

Johann Kalliauer: Das Wichtigste: Wir müssen die Arbeitslosigkeit senken und die hohen sozialen Bedürfnisse decken. Dafür braucht es Investitionen und zwar rasch. Zunächst müssen wir dringend Geld in Betreuungsangebote für Kinder investieren. Wir haben viel zu wenige Betreuungsangebote, die es beiden Elternteilen ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten. Das ist völlig unzureichend. Das Paket soll 18.500 neue Kinderbetreuungsplätze und verbesserte Öffnungszeiten für 35.000 Kinder schaffen. Was die Alten- und Pflegebetreuung betrifft: Hier brauchen wir rasch mehr Personal – und zwar um 20 Prozent, wenn wir die Versorgung der Menschen in hoher Qualität aufrechterhalten wollen. Dringenden Handlungsbedarf sehe ich auch beim Ausbau des sozialen Wohnbaus und bei der Förderung der thermischen Sanierung und sauberer Heizsysteme. Wir können nur sieben Prozent der Mietwohnungen als „günstig“ bezeichnen. Hier muss das Land mehr fördern. 

weekend: Wie stehen Sie zur Vier-Tage-Woche und Arbeitszeitverkürzung? 

Johann Kalliauer: Wir brauchen eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeit. Das war schon in der Vergangenheit aufgrund von Digitalisierung, Strukturwandel und Veränderungen der Arbeitswelt klar. Jetzt wurde es durch Corona noch klarer. Die Vier-Tage-Woche wäre ein Modell, um diese Veränderungen zu bewältigen.

weekend: Wie ist Ihre Haltung zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Johann Kalliauer: Zugegeben – dieses Konzept setzt bei wichtigen Problemen an, es gibt aber aus meiner Sicht die falschen Antworten. Ich halte eine garantierte Deckung wichtiger Lebensbedürfnisse, wie Mobilität oder Wohnen, durch einen gerecht finanzierten Sozialstaat für zielführender. Ich plädiere daher für ein Recht auf qualitativ hochwertige sozial-ökologische Grundversorgung für alle.

weekend: Läuft das nicht dem  Leistungsprinzip zuwider?

Johann Kalliauer: Da geht es aus meiner Sicht eher um Fragen der Gerechtigkeit: Was ist für ein gelungenes Leben vorrangig? Das wäre etwa eine ausgewogene Erwerbsarbeitszeit – also „kurze“ Vollzeit für alle – mit Ausgleich bei Lohn und Personal. Und ich bin Realist: Wie soll ein Grundeinkommen in angemessener Höhe gelingen, wenn sogar die Kürzung der bedarfsorientierten Mindestsicherung durchgebracht worden ist und aktuell darüber nachgedacht wird, die Höhe des Arbeitslosengeldes mit fortschreitender Dauer zu senken? Wir fordern eine nachhaltige Erhöhung der Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld auf mindestens 70 Prozent.

weekend: Corona löst eine Reihe schulischer Defizite aus, Wie lassen sich diese Benachteiligungen  aus Ihrer Sicht verhindern?

Johann Kalliauer: Wir fordern Sofortmaßnahmen für Schulstandorte mit besonders großen Herausforderungen: In einem Pilotprogramm sollen 500 Schulen zusätzliche Mittel bekommen, über die sie selbst entscheiden können. Der eine Standort benötigt z. B. mehr Schulsozialarbeit, der andere mehr schulische Förderung. An allen Schulen braucht es jedenfalls mehr Förderunterricht in Kleingruppen statt teurer Nachhilfe. Darüber hinaus müssen Schulen und Kinder so ausgestattet werden, dass sowohl Schüler als auch Lehrkräfte Phasen des Distance-Learnings gut bewältigen können. Während des Shutdowns haben uns viele Eltern berichtet, dass sie einfach keinen PC für ihre Kinder zur Verfügung hatten.

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