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Das Gehirn als Kraftquelle
Mentaltraining kann helfen, die eigenen Grenzen zu überwinden oder sich schlechte Gewohnheiten abzutrainieren. 
Mentaltraining kann helfen, die eigenen Grenzen zu überwinden oder sich schlechte Gewohnheiten abzutrainieren. 
Dilok Klaisataporn / iStock / Getty Images Plus

Mentaltraining: Kraftquelle im Kopf

21.05.2021 um 10:00, Cordula Meindl
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Erfolg beginnt im Kopf: Was Spitzensportler schon lange wissen, hält erst langsam Einzug ins Allgemeinwissen. Werner Mittelberger, diplomierter Trainer für Erwachsenenbildung, im Interview über die Kraft des Geistes und die Macht der Gewohnheit.

CHEFINFO: Warum sollten wir uns mit unserer ­mentalen Verfassung auseinander­setzen?

Werner Mittelberger: Meine mentale Verfassung begleitet und beeinflusst mein ganzes Leben. Das beginnt bei Dingen, die wir benennen können, also Gelassenheit, Konzentration oder Achtsamkeit und geht bis zu körperlichen Reaktionen. Wenn meine Stimmung negativ ist, dann habe ich weniger Kraft, bin weniger motiviert und weniger kreativ – das ist eine Kettenreaktion, die ich nicht entkoppeln kann. Ich kann nicht sagen, ich bin mental nicht gut drauf, aber der Rest ist gut. Weil der Rest, das bin auch ich. Im Spitzensport ist Mentaltraining schon seit Jahrzehnten nicht mehr wegzudenken.

CHEFINFO: Mit welchen Anliegen kommen Menschen zu Ihnen?

Mittelberger: Meiner Erfahrung nach sind es zwei Dinge: Man kann mit ­mentalem Training bestimmte Dinge verstärken, verbessern oder entwickeln. Wenn jemand z. B. einen Marathon laufen oder sich eine neue Fähigkeit aneignen will. Oder sie wollen etwas loswerden, das sie stört, eine lästige Angewohnheit oder bestimmte Ängste. Bei mir sind Klienten mit unterschiedlichsten Anliegen, z. B. Leute, die nach einer Krankheit mit der richtigen Einstellung schneller gesund werden oder die im Arbeitsalltag zuversichtlicher sein wollen.

CHEFINFO: Welche Techniken kommen dabei zum Einsatz?

Mittelberger: Es gibt sehr viele verschiedene Techniken im Mentaltraining und ich entwickle auch laufend weitere aus meiner Arbeit heraus. Nicht alle passen für alle Menschen, jeder ist sehr individuell, in seiner Art zu denken und die Welt in seinem Kopf zu organisieren. Ein gutes Mentaltraining passt sich daher an den Menschen an. Das ist wie in einer Apotheke, die haben sehr viele Medikamente, aber nicht jedes Medikament ist jetzt gerade das richtige. Manchen hilft eine auditive Vorstellung besser, anderen eher eine visuelle wie z. B.  sich vorzustellen, dass Sorgen oder Ängste wie Blätter in einem Bach davontreiben. Vor der Auswahl der Technik steht immer erst ein Analyseprozess, bei dem das genaue Ziel des Trainings, das Commitment und die vorhandenen mentalen Ressourcen abgeklärt werden. Erst danach stelle ich das passende Training zusammen. Dann ist der Klient an der Reihe, denn es geht nur durch seine Leistung – ich zeige ihm nur einen Weg, den er aber selbst gehen muss.

Zitat Werner Mittelberger

CHEFINFO: Warum fällt es uns so schwer, schlechte Gewohnheiten loszuwerden?

Mittelberger: Gewohnheiten sind eigentlich eine gute Sache, weil es Abkürzungen sind. Wir müssen darüber nicht nachdenken. Wenn Sie z. B. ins Auto steigen, dann fahren Sie ganz automatisiert und hören dabei auch noch Musik oder telefonieren. Aber es hat gedauert, bis Sie das konnten und man verlernt es nicht von einem Tag auf den anderen, nur weil man es sich vornimmt. Das Gehirn ist nicht für eine Vollbremsung gebaut. Man muss ganz gezielt versuchen, in die Kette von gewohnten Abläufen etwas Neues einzubauen, eine Alternative fürs Gehirn. Dann nimmt es immer öfter diese Abfahrt. Und man muss dranbleiben. Es dauert sechs bis acht Wochen, eine Gewohnheit zu ändern.

CHEFINFO: Viele Menschen fühlen sich derzeit überfordert. Kann hier Mentaltraining helfen, sich besser aufzustellen?

Mittelberger: Man kann mentale Techniken anwenden und aktiv gegensteuern, wenn man merkt, dass man zu grübeln beginnt, Angst hat oder beginnt, ein negatives Szenario zu ­entwickeln, das aber noch gar nicht ­eingetroffen ist. Gerade für ­Führungskräfte ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Ich kann ­keine Stärke ausstrahlen, wenn ich sie nicht wirklich besitze. Wenn ich Angst habe, etwas zu verlieren oder eine Fehlentscheidung zu treffen, dann werde ich diese Unsicherheit auch an mein Team weiter kommunizieren. Unser Mindset ist eine weitere Ebene unserer Kommunikation und wird indirekt durch unsere Gestik, Mimik, Stimmlage und Körperhaltung ausgedrückt. Wenn das nicht stimmig ist, dann spürt das Gegenüber das.

CHEFINFO: Haben wir noch Aufholbedarf beim Einsatz von Mentaltraining?

Mittelberger: Ja, definitiv. Das Potential ist bei uns noch nicht so ganz entdeckt worden. Menschen, die in sehr fordernden Berufen sind wie z.B. Manager oder Rechtsanwälte, merken sehr schnell, dass sie dieses Potential brauchen und für sich selbst erschließen wollen. Auch in den USA sind die Menschen viel eher bereit, etwas in diese Richtung zu machen. Das liegt vielleicht auch daran, dass dort der Druck viel höher ist aufgrund der geringeren sozialen Absicherung. Mentaltraining hilft dabei, besser mit der Arbeit zurecht zu kommen, die Performance zu steigern oder den Stress als Selbständiger besser wegzustecken. Die Menschen sehen es daher als eine Investition in sich selbst und in ihre Karriere.

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