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Erwischt!
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Oleksandr Shchus / iStock / Getty Images Plus

Dr. Mag. man eben – wie beim Titel getrickst wird

13.09.2023 um 16:23, Jürgen Philipp & Michael Schwarz
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Warum ist Österreich so titelaffin? Wieso wird getrickst, gebogen und plagiiert, um Titelträger zu sein? Eine „Titel“Story über Tarnen, Täuschen und Plagiieren.

Der israelische Satiriker Ephraim Kishon beschrieb einmal einen Besuch in Wien bei dem er bereits am Flughafen mit „Willkommen, Herr Professor“ empfangen wurde. Kishon protestierte, er sei kein Professor. Doch das ließ man nicht gelten, immer und immer wieder wurde er mit Herr Doktor oder Herr Professor angesprochen. Kishon übernahm den österreichischen Brauch schnell und sprach dann selbst Leute mit „Wie geht’s, Herr Professor?“ an, bis sich einer beleidigt umdrehte. Sein Tischnachbar ­flüsterte dem Schriftsteller zu: „Er ist ein ordentlicher Universitätsprofessor.“ Als Kishon Wien verließ, verabschiedete ihn ein Mitarbeiter seines Verlages mit: „Auf Wiedersehen, Herr Kishon“. Der war erbost: „Herr Professor Kishon, bitteschön.“ Später sagte Kishon einmal über Österreich, „dort ist selbst der Liftboy ein Professor“. Wem das immer noch nicht als Beweis für die heimische Sucht nach Titeln reicht, dem sei eine weitere Anekdote ans Herz gelegt. Udo Proksch nannte seinen (vermeintlichen) Sohn ­Drusius Ingomar. Sein Argument: Das ließe sich mit Dr. Ing. abkürzen.

Christine Aschbacher bei einer Rede.
Trotz festgestellter Mängel durfte Ex-Arbeitsministerin Christine Aschbacher ihren Magister (FH) und Doktortitel behalten. Sie musste dennoch zurücktreten.

Wissenschafts-Detektive 

Einer, der sich mit Titeln auskennt, wie kaum ein Zweiter ist Stefan Weber (siehe Interview). Der als Plagiatsjäger gefürchtete „Wissenschafts-Detektiv“ sorgte mit den Fällen von Christina Aschbacher, Bogdan Roscic, Johannes Hahn, Annalena Baerbok, Thomas Drozda oder dem Plagiatsvorwurf gegen die FPÖ-Historikerkommission für Aufsehen. Weber ist damit garantiert nicht Everybodys Darling, denn er weiß, wie sehr man in Österreich auf Buchstabenkürzel vor bzw. nach dem Namen erpicht ist. „Es gibt ein Buch ,Titel in Österreich‘, ein Leitfaden für die Praxis, das 2020 von Beamten des Ministeriums herausgebracht wurde. Es beinhaltet 1.500 Titel und Grade. Da sind richtige österreichische Absurditäten dabei. Das kommt definitiv aus der K.-u.-k.-Zeit. Angeblich, so lautet eine Hypothese, wurden Leute nicht bezahlt, sondern mit Titeln geschmückt.“ Tatsächlich hat Kaiser Franz Joseph die Erhöhung von Gehältern für Gymnasiallehrer abgelehnt, ihnen aber angeboten, dass sie sich ab sofort „Professor“ nennen dürften. Eine kaiserliche Budgetsparfinte, die bis heute Bestand hat. Auch Bundespräsidenten tragen den Berufstitel Professor. „Den bekommen viele, wie der Komponist Gustav Kuhn, der kürzlich verstorbene Kabarettist Bernhard Ludwig und viele mehr. Das sind österreichische Abnormitäten.“ Dieser Brauch entstammt der ersten Republik. Der Adel war entmachtet und so füllte man das Vakuum der einstigen Grafen, Edlen und Herzöge mit Professoren. Und noch etwas macht Österreichs Titelwahn einzigartig. „Nur hier wird ein Titel, etwa ein Magister, als Teil der Unterschrift gesehen.“ Ebenso kurios wie die „Promotion am Standesamt“.

Die Unis sagen, dass es in 95 von 100 Fällen keine Täuschungs­absicht gäbe … Die Definition von Plagiat im österreichischen Universitätsgesetz enthält keine Täuschungsabsicht.

Stefan Weber, Plagiatsgutachter

Vom Titelaspirant zum Titelaspirin

Stefan Weber wird in einem Land der – oftmals gefakten – Titelsucht also nicht langweilig. Alleine in den letzten Monaten bereiteten ihm und seinen Kollegen zahlreiche Fälle Kopfschmerzen: Etwa Bundespolizeidirektor Michael Takács, dessen Masterarbeit, laut Weber, gravierende Mängel aufweist. Dem LASK-Präsidenten Sigmund Gruber ­wurde nach einem Gutachten Webers der Doktortitel entzogen. Der Vorstand der Zillertalbahn Helmut Schreiner führte unrechtmäßig einen Doktortitel. Schreiner reichte 2023 eine neue Dissertation an der Uni Riga ein, die sich als Komplett-Übersetzungsplagiat einer 2020 an der TH Aachen genehmigten Doktorarbeit herausstellte. Schreiner musste daraufhin seinen Schreibtisch räumen. Zuletzt kam die Tiroler ORF-Landesdirektorin Esther Mitterstieler unter Druck. Sie wurde als Dr. betitelt, hat aber keine Dissertation eingereicht. Ihr Doktorhut brennt, denn er wird inoffiziell als „Brennerdoktor“ bezeichnet. Südtiroler Akademiker führen bei einem Bachelor- oder Masterabschluss (bzw. Diplom- oder Magistergrad) ohne Promotion einen Doktortitel. Stefan Weber agiert dabei nicht intrinsisch, sondern wird beauftragt. „Rund die Hälfte sind Anwaltskanzleien oder Wirtschaftstreuhänder, wenn die Auftraggeber anonym bleiben wollen. Das ist mir das liebste, weil es die objektivste Abwicklung ist.“ In den seltensten Fällen erfährt Weber das Motiv der Beauftragung. „Es gibt auch Leute, die plagiiert haben, denen man draufgekommen ist, und sie wenden sich an mich für ein Gegengutachten. Doch für kein Geld der Welt bekommen sie einen Freibrief für ein Plagiat von mir.“

Karl-Theodor zu Guttenberg verlor seinen Titel damals.
Der deutsche Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verlor Titel und Ministeramt. Jetzt ist er wieder Dr., er schrieb eine neue Dissertation.

Annahmen sind wie Seepocken

Die Quote der Titelaberkennungen ist in Österreich aber erstaunlich gering. Selbst wenn nachgewiesen wird, dass die Arbeit Plagiate enthält – sei es, so Weber, „aus Täuschungsabsicht oder schlichtweg Inkompetenz“ –, passiert fast nichts. Doch was ist ein Plagiat eigentlich? „Ein Plagiat würde streng genommen heißen, dass es ein Vollplagiat ist. Wir reden aber immer von Plagiatsfragmenten oder -teilen. Die entscheidende Frage ist aber, ist es werkprägend?“ Während in Deutschland von „erheblichen Teilen“ gesprochen wird, heißt es in Österreich, dass „wesentliche Teile“ plagiiert sein müssen. Erst dann gilt der Plagiatsvorwurf. „In Österreich hat mich, bis auf einen einzigen Fall, keiner je geklagt. Ich kann den Beweis immer erbringen.“ Möglich macht das neben einer gewissen „Spürnase“ der Einsatz von Software. „Bei Aschbacher usw. steht eine Täuschungsabsicht dahinter, doch wenn die Uni sagt, es gab ­keine solche, dann wird der Titel nicht aberkannt.“ Weber geht mit den akademischen Betrieben hart ins Gericht: „Die Unis sagen, dass es in 95 von 100 Fällen ­keine Täuschungsabsicht gäbe.“ Für Weber liefert das Universitätsgesetz eine Art Freibrief: „Weil das Universitätsgesetz in Paragraf 51 in den Begriffsbestimmungen definiert, dass das Plagiat nämlich nicht mit der Täuschungsabsicht zusammenhängt. Die Täuschungsabsicht kommt erst in Paragraf 89 hinein, wenn es um den Entzug des Titels geht.“ Conclusio: „Die Definition von Pla­giat im österreichischen Universitätsgesetz enthält keine Täuschungsabsicht.“ Abgesehen davon kritisiert Weber, dass „Privatunis selten Arbeiten hinterlegen, es also keine Vollständigkeit der Dokumentation gibt“.

In Erinnerung geblieben ist mir ein Zeugnis, das im Jahr 2002 ausgestellt war. Die Schriftart, die es verwendet hat, wurde aber erst im Jahr 2004 erfunden.

Bernhard Maier, Geschäftsführer Prima Vista

Wirtschaftlicher Schaden 

Plagiierte Arbeiten mit teils haarsträubenden und offensichtlichen Fehlern, ja selbst das Tragen von nicht zustehenden Titeln scheinen Kavaliersdelikte zu sein. Und tatsächlich gilt Titelmissbrauch hierzulande in den meisten Fällen als Verwaltungsübertretung, die mit einer Geld­strafe von maximal 15.000 Euro geahndet wird. Ausnahme: Es werden Geschäfte mit einem falschen oder zu Unrecht erworbenen Titel abgewickelt, damit erfüllt sich der Tatbestand des Betrugs. Dass das ein Problem für die Wirtschaft ist, zeigt die Arbeit von Bernhard Maier. Maier ist Geschäftsführer von Primavista, ein Unternehmen, das im letzten Jahr gegründet wurde und das sich dem Screening von Bewerbungen widmet. „Zur Gründung hatten wir bereits 20 Jahre Erfahrung im Bewerbungs-Check. Über die Jahre hat die Nachfrage danach stark zugenommen, vor allem, weil es im digitalen Zeitalter immer leichter für Bewerber wird, Unternehmen zu täuschen.“ Hauptsächlich werden ­Lebensläufe „getuned“. „Es passiert sehr selten, dass jemand eine Ausbildung, die er nicht absolviert hat, erfindet, und mit einem gefälschten Zeugnis zu belegen versucht.“ Möglich ist das jedoch. Ein bisschen Risikobereitschaft, ein wenig kriminelle Energie, ein gratis Grafikprogramm und ein passendes YouTube-­Video, das den Betrug erklärt, reichen, um aus einem mittelmäßigen CV einen grandiosen zu faken. Das passiert wie erwähnt jedoch selten. „In Erinnerung geblieben ist mir ein Zeugnis, das im Jahr 2002 ausgestellt war. Die Schriftart, die es verwendet hat, wurde aber erst im Jahr 2004 erfunden.“

Annalena Baerbock mit ihrem Buch "Jetzt".
Annalena Baerbock hat nicht akademisch geschummelt. In ihrem Buch „Jetzt“ fand Stefan Weber aber Stellen, die ohne Quellenverweis dem Internet entnommen wurden.

CVs: Darf’s ein bisserl mehr sein?

Immer mehr Unternehmen sind bereit, in einen solchen Check zu investieren. Kommt später ein zu Unrecht erworbener akademischer Titel ans Tageslicht, kann das schwere Imageschäden mit sich bringen – die Zillertalbahn lässt grüßen. „Unternehmen wissen sehr genau, was sie in puncto fachlicher Qualifikation erwarten. Was sie meist nicht ausreichend wissen, ist, ob sie auf der Grundlage von wahren oder falschen Informationen entscheiden – dazu fehlen schlichtweg Zeit, Know-how und Zugänge.“ Primavista konzentriert sich auf die „allerwichtigsten, quasi ,spielentscheidenden‘“ Faktoren. Wie hoch die Quote an „geschönten“ Lebensläufen ist, zeigt Maiers Praxis. Wird ein Lebenslauf gescreent, braucht es die Zustimmung der Kandidaten. Bei 100 CVs, verweigern 15 diese. Von den 85 verbleibenden findet Primavista immerhin bei 25 Prozent, also rund 21, Ungereimtheiten. „Am häufigsten werden Lücken im Lebenslauf nicht nur gefüllt, sondern im Sinne der erforderlichen Qualifikationen schöngefärbt.“ Referenzen sind zwar grundsätzlich verlässlich, können aber vorab instruiert werden, um „positiv(er) zu berichten. Man kennt sich ja immerhin schon sehr lange. Häufig finden wir ehemalige Startups als Arbeitgeber, die nach so langer Zeit übernommen oder nicht mehr am Markt sind. ­Google bietet dazu also wenig bis nichts – es braucht tiefere Einblicke für eine se­riöse Validierung.“ Fällt ein Unternehmen auf einen falschen Titel rein, kann es auch Schadenersatz fordern, sofern die Täuschung den Arbeitgeber geschädigt hat, etwa wenn ein höheres Gehalt aufgrund des (aberkannten) Titels bezahlt wurde. Allerdings ist eine Rückabwicklung des Vertrags nötig, und das ist aufwendig.

Karl Nehammer
Karl Nehammer
Andreas Babler
Karl Nehammer und Andreas Babler verbindet wenig. Eine Gemeinsamkeit ist ihr MSc im Rahmen eines Universitätslehrgangs an der Donau-Uni Krems.

Akademisches Schlaraffenland?

Doch wie Stefan Weber aus seiner Praxis berichtet, wird eine Aberkennung immer seltener, selbst wenn die Indizien erdrückend sind. „Zwischen 2007 und 2011 gab es viele Aberkennungen. In letzter Zeit, das hat mit wechselnden Personen zu tun, werden kaum noch Grade aberkannt. Die Unis wollen keinen Konflikt. Sie sind Schlaraffenländer, unfassbar schwertun privilegierte Orte, in denen um die Pfründe gekämpft wird, deshalb wollen sie keine weiteren Konflikte“, so Weber, sichtlich frustriert. „Volker Rieble (Anm.: deutscher Jurist und Plagiatsexperte) ­meinte in einem Interview, das sei systemimmanent, die Arbeiten sollen erst gar nicht gelesen werden. Es liest sie kein Mensch. Man glaubt daher, wenn eine Arbeit 3.000 Fußnoten hat, sei sie wissenschaftlich.“

Mit Software gegen „Hardware“

Weber, Rieble, Maier und viele andere Plagiatsjäger und CV-Checker kommen mit spezieller Software potenziellen Plagiierern auf die Schliche. „Diese Software ist kein Zauberzeug. Turnitin ist seit 2001 verfügbar. Auf den Unis hat man mit Turnitin erst 2018 turnusmäßig auf Plagiate gecheckt“, so Weber. Die Software ist eine Art „Einstieg“, um sich ein Bild über die Arbeit zu machen. „Das ist wie das jährliche Pickerl beim Auto. Es ist eine Art Qualitätssicherung. Ich bin Kunde der Software und sehe, dass sie von Jahr zu Jahr besser wird.“ Turnitin und andere Pro­dukte erkennen Anomalien und können Alarm schlagen. Das Feintuning ist aber nach wie vor „handgemacht“. „Die Software erkennt nicht, ob etwas korrekt oder fahrlässig ist oder ob Täuschungsabsicht dahintersteht.“ 

Software vs. Software 

Doch Software kann Software austricksen, wie es aktuell KI-­Programme versuchen. „Dasselbe Problem haben wir mit ChatGPT. Ich habe vor Wochen schon gesagt: Wo bleiben in Österreich die Richtlinien für mit KI ­erstellte ­Texte?“ Weber sieht dabei nicht die Studierenden in der Pflicht, sondern „einen Herrn Polaschek, Rektoren und Vizerektoren.“ Doch nicht alle: „Die Uni Klagenfurt ist mittlerweile viel strenger, und es gibt Unis, die dahinter sind, aber die falsche Software haben.“ Wie in vielen Bereichen der Wissenschaft und der Wirtschaft ist auch der Kampf um Plagiate ein Kampf um den Vorsprung bei den „digitalen Waffen“. KI, Übersetzungs- und Paraphrasierungssoftware machen den Plagiatsjägern das Leben schwer. „Ich kopiere etwas aus dem Web, schaue mir an, welche Website Turnitin nicht findet, lasse es ins Französische und dann ins Englische übersetzen, bis es nicht mehr Original ist.“ Mehr Details will Weber nicht verraten, nur so viel, selbst diesen Finten geht er nicht auf den Leim: „Ich habe vor Kurzem eine Arbeit untersucht: Der Autor hat genau das gemacht. Doch die Arbeit hat ausnahmslos englischsprachige Texte zitiert, so bin ich draufgekommen. Bei einem Fremdsprachen- oder Paraphrasierungsplagiat muss man auf die Fußnoten schauen.“ Auch Ghostwriter sind ein adäquates Mittel, um akademische Abschlussarbeiten zu „verkürzen“. „Es gibt Plattformen und kommerzielle Angebote dafür, wie Dr. Franke. Einige Ghostwriter checken aber nicht, dass sie Metadaten mitliefern, das passiert selten, aber doch.“ Auch gegen „Ghosts“ haben Plagiats-Checker ihre „Hausmittel“. „Es gibt eine Indizienkette, eine Liste mit über 20 Indikatoren, wie man Ghostwriter aufdecken kann.“ Wie viele der rund 73.000 akademischen Abschlüsse pro Jahr ins Visier der Plagiatsjäger geraten, ist unklar. Was jedenfalls zu hoffen bleibt, ist, dass die sau­bere wissenschaftliche Praxis, die an den meisten Hochschulen und Unis vorherrscht, bestehen bleibt, damit Titelträger auch Titelträger bleiben.


Express-Master und Schnäppchen-Doktor

Bundeskanzler Nehammer und ­Andreas Babler scheint wenig zu vereinen. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit. Sie haben ­beide den viersemestrigen Universitätslehrgang Politische Kommunika­tion an der Donau-Universität Krems abgeschlossen und dürfen sich MSc nennen. Dieser Lehrgang gilt als außerordentliches Studium, denn Nehammer hat keinen Bachelor-Abschluss, Babler weder Matura noch Bachelor. In vier Semestern zum Master? Dass dies möglich ist, wurde gesetzlich geregelt. Die beiden Politiker bekamen die Zulassung über ihre einschlägige berufliche Qualifika­tion sowie aufgrund ihrer mehrjährigen einschlägigen Berufserfahrung. Mittlerweile ist das nur noch in wenigen, gesetzlich festgelegten, Ausnahmefällen möglich. Der Zulassung von Studierenden in Masterlehrgänge nach Rechtslage vor dem 1. Oktober 2021 wird ab Ende September 2023 ein Riegel vorgeschoben. Kritikern ging ­dieser „Express-Master“ schon ­lange gegen den Strich, da der tatsächliche Workload bei einem ordentlichen Masterstudium, weit geringer ist. Bundeskanzler Nehammer und ­Andreas Babler scheint wenig zu vereinen. Und doch gibt es eine Gemeinsamkeit. Sie haben ­beide den viersemestrigen Universitätslehrgang Politische Kommunika­tion an der Donau-Universität Krems abgeschlossen und dürfen sich MSc nennen. Dieser Lehrgang gilt als außerordentliches Studium, denn Nehammer hat keinen Bachelor-Abschluss, Babler weder Matura noch Bachelor. In vier Semestern zum Master? Dass dies möglich ist, wurde am 1. Oktober 2021 gesetzlich geregelt. Die beiden Politiker bekamen die Zulassung über ihre einschlägige berufliche Qualifika­tion sowie aufgrund ihrer mehrjährigen einschlägigen Berufserfahrung. Mittlerweile ist das nur noch in wenigen, gesetzlich festgelegten, Ausnahmefällen möglich. Der Zulassung von Studierenden in Masterlehrgänge nach Rechtslage vor dem 1. Oktober 2021 wird ab Ende September 2023 ein Riegel vorgeschoben. Kritikern ging ­dieser „Express-Master“ schon ­lange gegen den Strich, da der tatsächliche Workload bei einem ordentlichen Masterstudium, weit geringer ist. 
 

Fernstudien. Auch Fernstudien geraten ins Visier. Für einen ­„Master of Laws“ via Fernstudium müssen – so wird geworben – nur der Freitag und Samstag geopfert werden. Das wären 16 Stunden pro Monat, pro Semester 64 Stunden. Das Studium, so die Werbung, sei gut neben dem Vollzeitberuf schaffbar. Zum Vergleich: Würde man bei einem gewöhnlichen Studium an der Uni Wien ein Masterstudium mit 90 ECTS in vier Semestern machen (normalerweise 120 ECTS), ­würde man wohl zwischen 99 und 165 Stunden im Unterricht verbringen.

Qualitätssicherung. Und wer kontrol­liert das alles? In Privatunis und privaten Fachhochschulen erfolgt das in der Regel intern. ­Zusätzlich gibt es die unabhängige Akkreditierungsbehörde AQ Austria, die bei der Sigmund-Freud-Privatuni Wien administrative Mängel am Masterstudium Humanmedizin festgestellt hat. Im November 2022 hat die AQ dem Studium die Zulassung entzogen. In der Zwischenzeit wurde die Entziehung der Akkreditierung durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben, das Masterstudium Humanmedizin läuft damit weiter. Bei öffentlichen Universitäten und FHs gibt es kein Akkreditierungsverfahren, die Hochschule sichert die Qualität intern. Mindestens alle sieben Jahre gibt es aber ein Audit durch externe Gutachter.

Ein Doktor um 39 Euro. Wer sich all die Mühen sparen will, der kann mit einer „Donation“ ab 39 Euro einen Dr. h. c. erwerben. ­Diese Ehre verleihen einem US-ameri­kanische Freikirchen. Sich ­diesen Titel in den Pass eintragen zu lassen geht natürlich nicht. Was geht, ist, ihn zu führen, allerdings muss neben dem Dr. h. c. auch der Fachbereich, der oft kuriose Ausgestaltungen annimmt – wie Dr. h. c. of Immortality – angegeben werden sowie das Herkunftsland. Missbräuchliche Verwendung – wenn also vorgegaukelt wird, ein „echter“ Dr. zu sein – kann strafrechtliche Konsequenzen haben. „Echte“ Dr. h. c.s werden ausschließlich von anerkannten Unis verliehen. FH-Hagenberg-Gründer Bruno Buchberger etwa ist Dr. h. c. mult. Er bekam Ehrendoktorwürden von fünf Universitäten. Allerdings ist er ohnehin schon „ordentlicher Universitätsprofessor“ und „echter“ Doktor.


Master Bolognese

1999 startete der Bologna-Prozess. Ziel der 29 Gründungsländer(mittlerweile 47 – Russland und Belarus wurden ausgeschlossen) ist es, die Qualität der akademischen Ausbildung zu steigern und die Vergleichbarkeit zu garantieren. Auf den Bachelor folgt der Master und dann der Doktor. Für gelernte Österreicher ein Affront, denn die Titel stehen nach dem Namen. Im Zentrum stehen das „European Credit Transfer and Accumulation System“, kurz „ECTS“. ECTS sind Leistungspunkte, die länderübergreifend analog sein sollten. Ein ECTS-Punkt entspricht 25 Stunden Arbeit, ein Vollzeitsemester umfasst 30 ECTS. So weit, so vernünftig. Nur entscheidet die Hochschule selbst, wie viele ECTS eine Lehrveranstaltung bringt. Ob das eine objektive Vergleichbarkeit garantiert?


Richtigstellung

In einer früheren Version wurde geschrieben: "­Zusätzlich gibt es die unabhängige Akkreditierungsbehörde AQ Austria, die bei der Sigmund-Freud-Privatuni Wien zahlreiche Mängel im Medizinstudium festgestellt hat. Im November 2022 hat die AQ dem Studium die Zulassung entzogen."

Bei dem Studium, dem im November 2022 die Zulassung aufgrund administrativer Mängel entzogen wurde, handelte es sich um ausschließlich um das Masterstudium Humanmedizin. Bachelor Humanmedizin und Master Zahnmedizin sind davon nicht betroffen gewesen. Durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde die Entziehung der Akkreditierung durch die AQ Austria im Juli dieses Jahres aufgehoben.

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