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Wolfgang Hattmannsdorfer
Ohne gezielte Zuwanderung und junge Menschen werde Österreich nicht eines der reichsten Länder der Welt bleiben können, sagt Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer.
Ohne gezielte Zuwanderung und junge Menschen werde Österreich nicht eines der reichsten Länder der Welt bleiben können, sagt Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer.
WAKOLBINGER

Die Demografie als Schicksalsfrage

30.10.2023 um 08:00, Klaus Schobesberger
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Sozial- und Jugendlandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer über fehlende Pflegekräfte, fehlende Strategie bei qualifizierter Zuwanderung und Geburtenratensteigerung.

1.340 Betten können in Pflegeheimen nicht genutzt werden, weil das Personal fehlt. Ist das eine Folge der demografischen Schieflage oder ist der Pflegeberuf so unattraktiv?
Der demografische Wandel ist die Schicksalsfrage für unsere Gesellschaft. Zum einen benötigen wir ausreichend Arbeitskräfte, die unseren Wohlstand sichern, auf der anderen Seite steht die Betreuung von älteren Menschen. Hier geht die Schere immer weiter auseinander. Wir haben in Oberösterreich 75.000 pflegebedürftige Menschen. Diese Zahl steigt bis zum Jahr 2040 um 45 Prozent auf 107.000 Menschen an.

 

Die Entscheidung für ein Lebensmodell mit oder ohne Kind ist eine höchst subjektive. Diese Freiheit muss unantastbar sein.

Wolfgang Hüttmannsdorfer, Sozial-Landesrat Oberösterreich

Die Teilzeitquote bei Pflegekräften liegt bei unglaublichen 73 Prozent. Warum ist sie so hoch und wie kann sie gesenkt werden?
Würde jede Teilzeitkraft dreieinhalb Stunden mehr arbeiten, hätten wir rein rechnerisch keine leer stehenden Betten. Die höchste Teilzeitquote hat der Bezirk Rohrbach mit 89 Prozent, am niedrigsten ist sie in Schärding mit 42 Prozent. Warum das so ist, loten wir gerade aus: Wo können Organisationsstrukturen verbessert und Mitarbeiter zu Mehrstunden motiviert werden? Dafür gibt es jetzt verpflichtende Gespräche mit den Heimleitungen. Es ist vor allem eine gesamtstaatliche Frage, denn im Teilzeitmodus werden wir den Wohlstand nicht halten können. Wir haben ein System, das Leistung bestraft. Wer in Österreich 40 statt 20 Stunden arbeitet, erhält im Schnitt nur 60 Prozent mehr netto. Es braucht einen Paradigmenwechsel: Die 40. Arbeitsstunde muss mehr wert sein als die 30. Arbeitsstunde und die 30. mehr wert als die 20. Arbeitsstunde. Dass die Bundesregierung nun ein Paket präsentiert hat, wo Überstunden steuerlich begünstigt werden, ist für mich ein erster wichtiger Schritt.

 

45 Prozent

Es wurden 50 Maßnahmen entwickelt, um Mitarbeiter zu entlasten. Geht es ohne gezielte Zuwanderung?
Die Fachkräftestrategie ist seit Beginn des Jahres in Umsetzung und es ist uns damit gelungen, die dynamische Entwicklung der leer stehenden Betten einzubremsen. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass Leute ganz ohne Ausbildung bei uns zu arbeiten beginnen können, wenn sie sich verpflichten, am ersten Tag eine Pflegeausbildung zu starten. Wir haben ein Pflegestipendium eingeführt ohne Zuverdienstgrenze – das ist ein Unikum. Und ja: Es braucht auch eine nationale Strategie für qualifizierte Zuwanderung – eine staatliche Agentur, die gezielt auf der Welt unterwegs ist und jene Leute zu uns holt, die einen Beitrag zum Wohlstand leisten. Die Attraktivierung der Rot-Weiß-Rot-Card ist gut, wir müssen aber noch viel besser werden, etwa in den Nostrifizierungsverfahren. Bei der aktiven Zuwanderungspolitik sind uns andere EU-Länder wie Deutschland mit der Chancenkarte voraus. Es braucht mehr Wumms, würde Kanzler Olaf Scholz sagen – sonst werden wir nicht eines der reichsten Länder dieser Welt bleiben können.

Familien ab drei Kindern zahlen in Frankreich keine Steuern. Braucht es mehr Anreize, um die Geburtenrate zu steigern?
Die Unterstützung von Familien mit Kindern ist eine der obersten Leitlinien unserer Politik. Denken Sie an die Erhöhung des Familienbonus im Vorjahr oder an die Teuerungsmaßnahmen des Landes Oberösterreich: Wenn du Kinder hast, bekommst du mehr Teuerungsunterstützung. Ich halte aber nichts davon, dass wir das Mutterkreuz wieder aus der Mottenkiste hervorholen. Die Entscheidung für ein Lebensmodell mit oder ohne Kinder ist eine höchst subjektive. Diese Freiheit muss unantastbar sein. Da darf es auch keine Wertung, keinen Zwang oder sonst was geben. Aber klar ist, wenn Kinder da sind, steht der Staat hinter dir, vor dir, neben dir als starker Unterstützer.

Hattmannsdorfer im Talk
Es braucht mehr "Wumms" bei der aktiven Zuwanderungspolitik, sagt Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer im Gespräch mit Chefredakteur Klaus Schobesberger.

Wie steht es denn um unsere Jugendlichen? Liegen die auf der Work-Life- Balance-Hängematte und haben keine Lust auf eigene Kinder? Kann man das so zusammenfassen?
Nein, ich glaube, da tut man den jungen Menschen unrecht. Wir sehen aus allen Jugendstudien, dass die Familie einen hohen Stellenwert hat. Wir sehen vor allem, dass junge Menschen ein ausgeprägtes Solidaritäts- und Verantwortungsbewusstsein haben. Aber wo wir nachschärfen müssen, ist, jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben: Wenn du dich heute für Leistung entscheidest, wird es auch morgen belohnt. Hier sind wir wieder bei der Frage von „mehr Netto“ und: Kann ich mir eine eigene Existenz mit einem Eigenheim oder einer eigenen Wohnung aufbauen?

 

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