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Leiner Möbelhaus und darüber Gewitterwolken
Wohin geht die turbulente Reise von kika/Leiner nach der gescheiterten "österreichischen Lösung"?
Wohin geht die turbulente Reise von kika/Leiner nach der gescheiterten "österreichischen Lösung"?
Fotos: NexTser / iStock / Getty Images Plus, EVA MANHART / APA / picturedesk.com

Der Leiner war meiner

12.07.2023 um 14:02, Jürgen Philipp
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Semperit, Austria Tabak, Leiner: Viele österreichische Traditionsunternehmen verschwanden nach ausländischen Übernahmen. Aber es gibt auch positive Beispiele.

Das Narrativ ist mittlerweile bekannt: Ein Arbeiter erzählt vom Untergang eines Industrieunternehmens und den Folgen für die Standortgemeinde. Der Arbeiter ist heute SPÖ-Vorsitzender und heißt Andreas Babler, das Industrieunternehmen Semperit, die Gemeinde Traiskirchen. Die Übernahme von Semperit Reifen 1985 blieb ein tief sitzender Schock. Eine zehnjährige Jobgarantie der Continental AG hielt exakt zehn Jahre. Wild umstritten war auch die Privatisierung der minder stolzen Austria Tabak, deren Wurzeln auf 1784 zurückgingen. Sie wurde 2001 voll privatisiert und 2007 vom Schweizer JTI-Konzern (Camel, Winston) komplett übernommen. Die Standorte wurden geschlossen, darunter auch die Tabakfabrik in Linz. Ein Deal, der politische Fragen aufwarf, dessen Zustandekommen aber nicht aufgeklärt werden konnte, denn bei der Übersiedelung des ehemaligen Eigentümers ÖIAG (heute ÖBAG) wurden Dokumente „aus Platzgründen“ vernichtet. Aktuell erhitzt ein weiterer umstrittener Deal die Gemüter: kika/Leiner. 1910 von Rudolf Leiner gegründet und lange Zeit Flaggschiff des österreichischen Möbelhandels, ging es schon 2013 in den Besitz der südafrikanischen Steinhoff-Gruppe über. 2018 übernahm René Benkos Signa – „der Leiner war wieder unserer“ –, bis Signa das angeschlagene Unternehmen an die Supernova-Gruppe veräußerte. Die Folgen sind bekannt.

Vergoldeter Flügel von Bösendorfer
Im Parlament findet der „goldene Bösendorfer“ bald keinen Platz mehr, dennoch verlieh die Übernahme durch Yamaha der Tradi­tionsmarke Flügel.

Als John Wayne und BB für österreichische Produkte warben

Auch Traditionsbetriebe sind nicht vor dem Scheitern gefeit. Und selbst ­große Namen verschwinden rasch aus dem Bewusstsein. Etwa der Name des größten Filmprojektorenherstellers der Welt Mitte der 1970er-Jahre. Der kam aus Österreich und hieß Eumig. Eumig hatte sich einen legendären Ruf als Qualitätshersteller von Kameras, Projektoren oder HiFi-Geräten erarbeitet. Für die Filmkamera C16 holte man sich 1956 als Werbetestimonials Ikonen wie Brigitte Bardot und John Wayne. Im selben Jahr schrieb das Unternehmen Sozialgeschichte. Auf Initiative des Inhabers Karl V­ockenhuber junior wurde die 40-Stunden-Woche getestet und schließlich als erstes Unternehmen in Österreich eingeführt. Eumig scheiterte aber nur indirekt an scheinbar übermächtigen globalen Spielern. Managementfehler, Streit innerhalb der Besitzerfamilien, verfehlte Marketingstrategien und eine zu ­geringe Eigenkapi­taldecke setzten dem Unternehmen zu. Schlussendlich versetzte der US-Konzern Polaroid dem heimischen Elektronikhersteller den Todesstoß, indem es einen Großauftrag platzen ließ. ­Andere einst große heimische Marken gingen in internationalen Konzernen auf. Der Küchengerätehersteller Elektra Bregenz kocht heute unter türkischer Flagge, Neff ging in Bosch-Siemens-Hausgeräte über. Einst flächendeckend verbreitet, werden Großgeräte des ehemaligen Gunskirchner Waschmaschinenherstellers Eudora ­heute in Tschechien produziert, dort, wo auch – neben Slowenien – mittlerweile Semperit Reifen herkommen.

Japaner verleihen Bösendorfer Flügel

In einigen Fällen hielten die globalen Übernehmerkonzerne an österreichischer Tradition fest, etwa am klangvollen Namen Bösendorfer. Die Klaviermanufaktur wurde 2008 an Yamaha verkauft. Die Japaner setzen nach wie vor auf den Standort Wien und ließen dem Unternehmen freie Hand. Der mit Abstand ­größte Instrumentenhersteller der Welt stellt Bösendorfer sein globales Vertriebsnetzwerk zur Verfügung. Bösendorfer Flügel sind vor allem in ­China heiß begehrt. Doch auch österreichische Lösungen können funktionieren und das Überleben großer heimischer Marken sichern. Stefan Pierer bewies dies mit KTM, dem ­heute größten Motorradhersteller ­Europas. 

AKG Equipment
AKG setzte Standards in der Aufnahmetechnik, ehe es 2017 an Samsung ging. Austrian Audio hielt das Erbe hoch.

Von der Fast-Pleite ins Smartphone

Nicht nur in Österreich, auch weltweit gibt es (Marken)Unternehmen, die an der Kippe standen, den Turnaround schafften und ein Revival hinlegten. Beispiele: Die Converse-„Chucks“, die als Design­ikone des Schuhwerks in die Geschichte eingingen, Diesel-Jeans oder Dual-Plattenspieler. Für das deutsche Traditionsunternehmen Carl Zeiss war der Einstieg in den Smartphonemarkt die Rettung in buchstäblich letzter Sekunde. Eine Branche, die auch dem Kamerahersteller Leica – das Unternehmen wurde vom Salzburger Andreas Kaufmann gerettet – zu neuen Höhenflügen verhalf. Leicas Fotoexpertise wurde in Huawei-Handys verbaut. Selbstbewusst kündigte man den Vertrag und ist nun bei Xiaomi Exklusivpartner. Der legendäre Ruf von Carl Zeiss und Leica war daran sicher nicht ganz unschuldig. 

Startup mit 400 Jahren Erfahrung

Ein legendärer österreichischer Name – und ein Stück heimische Innovationsgeschichte – ist auch in dieser Branche zu finden: AKG. Wer ein Samsung Galaxy kauft, erhält einen Kopfhörer mit dem AKG-Branding dazu. Das 1947 in Wien als Akustische und Kino-Geräte Gesellschaft von Ernst Pless und Rudolf Görike gegründete Unternehmen erlangte den Ruf als Hersteller der besten Studio- und Bühnenmikrofone der Welt, welche die Aufnahmetechnik revolutionierten. Ein Ruf, dem der neue Eigentümer – Harmann International, Teil von Samsung – nicht einmal annähernd gerecht wird. Die Entwicklungsabteilung in Wien wurde 2017 geschlossen, den Markennamen behielt man. Die heutigen AKG-„Ohrstöpsel“ haben mit den einst legendären Produkten so viel zu tun wie ein Lipizzaner der Hofreitschule mit einem lahmenden Pony beim Kinderreiten am Kirtag. Und dennoch gelang es, das Know-how zu sichern. Das ehemalige Wiener AKG-Team, bestehend aus den Besten ihrer Zunft, startete als Austrian Audio neu durch.

Martin Seidl
Martin Seidl wird in der weltweiten Musikbranche als „The Mic Man“ bezeichnet.

Ein Happy End mit glasklarem Sound

Wenn die Rolling Stones, Elton John oder Lady Gaga auf ihren Livetourneen ­heute zum Mikro greifen, dann greifen sie auf ein Stück Österreich zu. Ein Stück Österreich, das ebenso für den kristallklaren Sound des Neujahrskonzerts, das in 100 Ländern der Welt übertragen wird, sorgt wie auf der Grammy-Award-Bühne. Dahinter steckt Austrian Audio, Spezialist für Mikrofone. Ein Unternehmen, das es zwar erst seit 2017 gibt, das aber dennoch auf die gebündelte Expertise von 400 Jahren zurückgreifen kann. Expertise, die mit der Schließung des einstigen globalen Technologieführers fast verloren gegangen wäre. Schon 1993 stand AKG vor der Insolvenz. Sidney Harman, Gründer der Harman-Gruppe (harman/kardon, JBL, infinity), übernahm das Unternehmen um einen Schilling. Als Sidney Harman sich als Chairman zurückzog, veränderte sich der Inhaber von AKG. „Es gab immer mehr Corporate-Regeln und wir wurden angehalten, die Produktion und die Entwicklung auszusourcen. Als das zentrale Entwicklungscenter in Richtung Fernost abwanderte, sahen wir das als Zeichen, dass der Standort Wien massiv gefährdet ist“, schildert Martin Seidl, ehemaliger Geschäftsführer der AKG und Gründer bzw. CEO von Austrian Audio. Seidl ­verließ AKG, zwei Jahre bevor Samsung um acht Milliarden Dollar die Harman-Gruppe, und damit AKG, übernahm.

Von der Endzeitstimmung zur Wiedergeburt

Seidl, den man in der Branche „The Mic Man“ bezeichnet, sollte Recht behalten. Im Herbst 2016 kündigte Samsung an, das AKG-Headquarter in Wien zu schließen. „Man kann sich vorstellen, wie die Stimmung in einer Firma ist, der neun Monate vorher der Tod angekündigt wird. Sie war endzeitlich. Es wurde nichts mehr entwickelt und nur mehr für die Übergabe und die Schließung vorbereitet. Halbfertig entwickelte Produkte, im Wert von siebenstelligen Beträgen, voller Herzblut der Entwickler, mussten in Container geworfen und vernichtet werden.“ Die zugkräftige Marke AKG blieb zwar unter südkoreanischer Flagge bestehen und es werden noch „die alten Klassiker verkauft, aber meist wurden nur zugekaufte Produkte mit AKG gebrandet“. Seidl, der zu dieser Zeit bei einem Mitbewerber in Großbritannien arbeitete, überlegte, wie man ein Team mit so viel Spitzen-Know-how zusammenhalten könnte. „Man kann eine neue Firma gründen und Mitarbeiter aus vielen Branchen holen, aber man kann auch ein homogenes Team mit 400 Jahren Erfahrung kumulieren.“ Das gelang und aus der „alten AKG“, wurde die „neue Austrian Audio“, die nicht nur die Tradi­tion, sondern auch den Anspruch teilt: die Weltspitze zu besetzen. 

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