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digitale Baustelle
Die Virtual Reality-Technologie hält auch in der Baubranche Einzug.
Die Virtual Reality-Technologie hält auch in der Baubranche Einzug.
Getty Images

Baustelle 4.0 - Umbruch einer Branche

03.12.2021 um 12:50, Jessica Hirthe
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Digitalisierung heißt auch in der Baubranche das Zauberwort der Zukunft. Die neue Zukunftsagentur Bau will vor allem mittelständische Betriebe bei der digitalen Transformation unterstützen.

Drohnen, die das Gelände aus der Luft vermessen, Datenbrillen, über die Spezialisten aus der Distanz die Handgriffe der Techniker sehen, Maschinen, die bedient vom Computer aus auf der Baustelle autonom arbeiten – das alles ist bereits keine Baustellen-Science-Fiction mehr, sondern Realität. Doch die technischen Möglichkeiten werden auf den Baustellen noch lange nicht ausgereizt. Zum Teil scheitert es an sicherheitstechnischen und rechtlichen Fragen wie beim autonomen Fahren von Autos, zum anderen tun sich vor allem kleinere und mittelständische Betriebe schwer, bei dem Prozess mitzuhalten, in die nötige Technik und Ausbildung zu investieren.

Planung läuft längst komplett digital

„Der Systemumbruch geht nur langsam vonstatten“, sagt Harald Kopececk, Leiter der BAUAkademie OÖ. „Es gibt einen starken Change-Druck, weil alle mitziehen müssen, weil sie sonst keine Aufträge mehr annehmen können.“ Die Zauberworte heißen Digitalisierung und Vernetzung. „In der Planung läuft der Großteil bereits digital“, sagt Landesinnungsmeister Norbert Hartl. So wurde etwa erst kürzlich Blackshark.ai mit dem KI-Award des Beratungsunternehmens KPMG ausgezeichnet: Das Startup, das bereits über 100 Mitarbeiter zählt, erstellt mit einer KI- und cloudbasierten Lösung eine maschinenlesbare und durchsuchbare 3D-Karte, die die Infrastruktur der Erdoberfläche abbildet. Die Basis dafür liefern Satelliten- oder Luftbilddaten, die in weniger als 72 Stunden verarbeitet werden. Was immer mehr Einzug hält, ist das sogenannte Building Information Modeling. Damit entstehen digitale Zwillinge der Bauprojekte. „Das digitale Modell, in dem bis in jede einzelne Elektroleitung alle Bauteile eingezeichnet sind, wird dann 1:1 nachgebaut“, erklärt Hartl. Doch Voraussetzung dafür ist, dass alle Bauprojektbeteiligten vernetzt sind und auch damit umgehen können. Dass die „digitale Transformation“ auch in den Betrieben ankommt, dafür will man mit der neuen Zukunfts­agentur Bau sorgen, die Mitte des Jahres aus dem Kompetenzzentrum Bauforschung in Salzburg entstanden und an die BAUAkademie OÖ angegliedert ist. In der Lehrausbildung forciere man schon seit einiger Zeit den Umgang mit Computer und Co. „Alle Lehrlinge bekommen ein Tablet. Seit zwei Jahren haben wir Online Learning Tools wie YouTube-Videos mit bereits 17.000 Usern“, so Harald Kopececk. Zusammen mit der Donauuniversität Krems startet der zweite Master-Studienlehrgang „Building Information Modeling“, an dem Studenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum teilnehmen, weil die Weiterbildung europaweit einzigartig sei. „Wir müssen zukünftige Führungskräfte fit machen, damit sie den digitalen Prozess in die Betriebe bringen“, macht Hartl deutlich.

Maschinen melden selbstständig Fehler

„Im Gegensatz zur Landwirtschaft ist die Bauwirtschaft immer noch ­relativ analog“, weiß auch Markus Gaggl, CTO bei Rubble Master. Es würden jedoch immer mehr Assistenzsysteme Einzug ­halten. Eine solche Telematik-Lösung bietet etwa Wacker Neuson an: Maschinen melden sich bei Wartungsbedarf, Betriebsstörungen oder unerwartetem Standortwechsel in Echtzeit. „Es handelt sich um ein cloudbasiertes System, das über ein Telematik-Modul mit den Maschinen verbunden ist. In einer App, im Browser oder in der IT-Lösung des Kunden bildet es alle Maschinen eines Fuhrparks ab“, erklärt Stefan Bogner, Sprecher der Geschäftsführung der Wacker Neuson Linz GmbH. „Ist eine Wartung fällig oder verlässt die Maschine einen festgelegten Bereich, wird der Nutzer per Push-Nachricht informiert.“ Die Maschine könne so auch Fehler melden oder bei Diebstahl geortet werden. Ein neues Werkstattinformationssystem befinde sich derzeit in der finalen Design­phase.

VR-Brillen bereits für Fernwartung im Einsatz

Im Bereich Wartung wird auch Virtual-Reality-Technologie immer wichtiger. Wacker Neuson testet solche VR-Brillen, bei der Alpacem Unternehmensgruppe sind sie bereits im Einsatz. Um für jeden Anlassfall den richtigen Spezialisten greifbar zu haben, nutzt die Unternehmensgruppe seit 2020 Datenbrillen für Wartungen und technische Eingriffe. So können Spezialisten auch aus der Distanz wie mit ihren eigenen Augen sehen, welche Handgriffe der Techniker vor Ort macht. „Der Einsatz von Datenbrillen ermöglicht es uns, technische Probleme in Rekordzeit zu lösen und bringt zudem CO2-Einsparungen durch reduzierte Reisetätigkeit von Spezialisten“, so Bereichsgeschäftsführer Lutz Weber.

Autonome Maschinen in den Startlöchern

Solche Remote-Systeme könnten in Zukunft genutzt werden, damit Maschinenbediener nicht mehr vor Ort sein müssen, sondern von einem Büro aus, vielleicht sogar in einem ganz anderen Land die Baumaschinen steuern. „Wenn immer weniger Personal bei Schlechtwetter, Staub und Lärm auf einer Baustelle im Freien arbeiten möchte, wird es zu einer fortschreitenden Automatisierung kommen müssen“, ist Markus ­Gaggl von Rubble Master überzeugt. Wacker Neuson hat eine autonome ­Vibrationsplatte bereits 2019 vorgestellt. „Einrichten lässt sie sich über ein Tablet, auf dem der zu verdichtende Bereich mit dem Finger per Touchscreen eingezeichnet wird – die Maschine erledigt den Rest“, erklärt Stefan Bogner. „Der Bediener kann vom Schreibtisch aus die Arbeit der Platte verfolgen. Wir könnten eine solche autonom arbeitende Platte sehr schnell auf den Markt bringen, allerdings müssen dazu einige sicherheitstechnische Fragen, auch im rechtlichen Sinn, geklärt sein.“ Die Maschinen mit Kameras und Sensoren auszustatten, reicht laut Markus Gaggl nicht: „Die Maschine muss auch andere Maschinen und Menschen erkennen.“ Stehen also künftig nur noch Maschinen und Roboter statt Bauarbeiter auf der Baustelle? Bis dahin ist es noch ein langer Weg. „Doch der Fachkräftemangel zwingt dazu, komplett neu zu denken“, sagt Harald Kopececk. Wenn Roboter und Maschinen noch nicht die Arbeit draußen übernehmen können, dann zumindest in den Fabriken – so wie in der ­Autoindustrie, wo längst Roboter ­viele Tätigkeiten ­erledigen. Kopececk: „Man könnte den Vorfertigungsgrad erhöhen – also zum Beispiel ganze Ziegelwände mit Robotern in der Fabrik bauen und auf der Baustelle dann als Fertigteil aufstellen.“

Kommunikation aller Maschinen auf der Baustelle

Die Forschung und Entwicklung läuft auf Hochtouren. „Wir müssen uns jetzt rüsten für eine Zukunft, die eigentlich schon Gegenwart ist“, so Kopececk. Die Baustelle der Zukunft bietet auch neue Perspektiven in ihrer Abwicklung, was etwa Wacker Neuson zu einem neuen Geschäftsmodell inspiriert hat: Container werden je nach Baustellenbedarf mit verschiedenen Mietmaschinen bestückt. Die Maschinen können rund um die Uhr gebucht und mit einem Chip selbstständig aus der Box geholt werden. Bezahlt werden muss nur die Zeit, die das Gerät auch genutzt wurde.  „Die Vernetzung spielt künftig die größte Rolle, da dadurch die gesamte Planung und Durchführung optimiert werden kann“, so Gaggl. Diese Vision der „Kommunikation aller Maschinen auf einer Baustelle, die intelligent und effizient zusammenarbeiten und wie ein gut eingespieltes Orchester fungieren“ hat auch Stefan Bogner. Harald Kopececk ergänzt: „Digitalisierung am Bau kann nur erfolgreich sein, wenn alle Beteiligten die Prozesse neu denken.“

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