Ewige Liebe? Wie Wiener ihre Beziehungen leben
Wienerinnen und Wiener sind nicht nur ewige Grantler. Die Mehrheit glaubt an die große, ja ewige Liebe. Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag eines Online-Portals können, sich zwei Drittel der Befragten vorstellen, mit ihrem aktuellen Partner bis an ihr Lebensende Tisch und Bett zu teilen. Was viele Paare zusammenhalten lässt, sind gegenseitiges Vertrauen und der Umstand, dass man auch in schwieriger werdenden Zeiten geborgen ist – emotional und wohl auch finanziell. „Leider ist auch heute in der Realität oft der ökonomische Druck das, was Paare zusammenhält, so dass viele Paare eher zusammenbleiben müssen als wollen“, relativiert Familien-, Paar- und Sexualtherapeut Wolfgang Wilhelm das traute Glück. Was aber Verbindung schafft und Beziehungen stärkt, ist neben der guten Balance aus „Gleich und Anders‘“ oft die Sexualität – mit ihren eigenen Spielregeln.
Leider ist auch heute in der Realität oft der ökonomische Druck das, was Paare zusammenhält, so dass viele Paare eher zusammenbleiben müssen als wollen. Wolfgang Wilhelm
Auch die Schwächen lieben lernen
Frisch Entflammte Pärchen lieben naturgemäß bedenkenlos – wenn auch nur in der ersten heißen Phase, aber in fast jedem Lebensalter. „Verliebt sein ist ein Ausnahmezustand, auch hormonell gesehen. Schmetterlinge im Bauch, rosarote Brille, alles, was er oder sie macht, ist genial“, beschreibt Wilhelm die Zeit des ersten Knisterns. Dieser Zustand sei zwar für die Betroffenen selbst ganz angenehm, könne aber auf Dauer nicht anhalten. „Nach wenigen Monaten beginnt man, auch Schwächen und Fehler zu sehen, und das Verliebtsein bekommt die Chance, sich in Liebe zu verwandeln.“ Das könne aber nur dann gelingen, wenn beide Partner ungefähr gleichzeitig bereit sind, Schwächen des Gegenübers zu sehen, zu akzeptieren und in das Gesamtbild zu integrieren.
Nach wenigen Monaten beginnt man, auch Schwächen und Fehler zu sehen, und das Verliebtsein bekommt die Chance, sich in Liebe zu verwandeln. Wolfgang Wilhelm
Langeweile als Beziehungskiller
Der Traum von der dauerhaften Beziehung platzt weniger oft, wenn die Balance zwischen gleichen Idealen und prickelnden Unterschieden stimmt. Gute Beziehungen haben beides, sagt der Therapeut. Sie teilen grundlegende Werte und Einstellungen, unterscheiden sich aber auch in manchem. Erstere seien wichtig, um kompatible Lebensentwürfe zu entwickeln, zweitere, damit die Beziehung auch interessant und aufregend bleibt. „Wer gemeinsam ausgeht und die gleichen Dinge anders erlebt, entgeht der Langeweile. Die Diskussion danach ist dann so richtig spannend", so der Experte.
Beziehungssex: Jedes Paar tickt anders
Wie viel Sex eine Beziehung langfristig braucht, kann nicht verallgemeinert werden. „Für manche Paare ist Sex ‚vier bis fünf Mal die Woche‘ normal“, hört Wilhelm. Andere wiederum sagen ihm, dass zwei Mal im Jahr reicht. Normal sei hingegen, dass in jeder Beziehung ein Teil mehr Sex will als der andere. Wie in anderen Bereichen, gelte es, auch in der Sexualität einen Weg zu finden, wie man diese Unterschiedlichkeiten so in die Beziehung integrieren kann, dass es beiden gut damit geht. „Oft ist das erst in einer Paartherapie möglich, wo beide Partner lernen, dass sie okay sind, wie sie sind, und dass es eben darum geht, einen gemeinsamen Umgang mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu erarbeiten."
Als moralisch und damit okay gilt, was zwei – oder auch mehrere – erwachsene PartnerInnen miteinander aushandeln. Wolfgang Wilhelm
Treue ist Verhandlungssache
Auch Treue wird in unserer Zeit unterschiedlich bewertet und neu verhandelt. Wilhelm: „Wenn etwas für heute typisch ist, dann das, dass nichts typisch ist. Heute gibt es eine Vielzahl von Wertsystemen parallel in der Gesellschaft und gerade die Jugend ist ausgesprochen diversifiziert.“ Der Therapeut beobachtet, dass die sogenannte serielle Monogamie bei den Jungen gut ankommt. Konkret heißt das, dass viele leben ihre Beziehungen monogam, aber wechseln den Partner oder die Partnerin nach wenigen Wochen oder Monaten wieder aus. Wer sich länger bindet, landet nicht immer in der gleichen Konstellation im Bett.
Treue ist heute ein dehnbarer Begriff und wird individuell definiert. „Wir leben in einer Zeit der Verhandlungsmoral“, ortet der Experte. „Das bedeutet, als moralisch und damit okay gilt, was zwei – oder auch mehrere – erwachsene PartnerInnen miteinander aushandeln. Mir ist wichtig zu betonen, dass einmal Ausgehandeltes aber nicht in Stein gemeißelt ist.“ Da sich Menschen, ihre Bedürfnisse und Beziehungen mit der Zeit ändern müsse auch das partnerschaftliche Miteinander immer wieder neu adaptiert werden, so Wilhelm.