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Veggie-Kult immer beliebter: Verzicht als Lustfaktor

19.08.2014 um 13:41, Elisabeth Spitzer
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Einst als verschrobene Körndlfresser verspottet, haben sich die Veganer zu Lifestyle-Ikonen entwickelt. Soja, Tofu, Humus und die bunten Smoothies sind schwer angesagt. „Ist das vegan?“ hat „Ist das bio?“ als neue Trendfrage längst abgelöst. Wird Essen zur Weltanschauung?

Freiwillig und ohne Not auf jegliche Produkte tierischer Natur zu verzichten, erscheint manchen Menschen in anderen Teilen der Welt wohl äußerst seltsam. Dennoch tun es hierzulande immer mehr. 800.000 Österreicher, also knapp 10 Prozent, leben vegetarisch, 90.000 deklarieren sich als Veganer – Tendenz steigend. Damit liegt Österreich im EU-Länder­vergleich auf Platz vier.

Imagewandel

Die Gründe für den Verzicht auf Fleisch & Co sind vielfältig: Für die einen steht der vermeintliche Gesundheitsaspekt im Vordergrund, andere entscheiden sich aus ethisch-moralischen Gründen für ein ve­ganes Leben. Tierschutz, ­Klimaerwärmung und die Welthunger-Problematik sind ebenfalls Gründe, der sündigen Fleischeslust ab­zuschwören. „Veganismus ist die Gegenbewegung zum Überangebot im Schlaraffenland. Der radikale Verzicht schafft in einer zunehmend unübersichtlichen Welt Ordnung“, erklärt Ernährungspsychologe Christoph Klotter die Motive. Und nicht zuletzt ist das neuerdings auch cool. Hollywood-Stars wie Oscar-Preisträger Jared Leto (Sexiest Veganer 2014),

Gwyneth Paltrow

und Ellen Page zeigen – frei nach dem Motto „Du bist, was Du isst“ – dass der vegane Lebensstil sexy ist.

Heil durch Nahrung

Der typische Vegetarier/Veganer ist ein Stadtmensch, jung, Single, gebildet, weiblich und häufig mit psychischen Problemen belastet. Das hat Johannes Michalak von der Universität Hildesheim in einer Studie ­herausgefunden. Depressive Störungen, Essstörungen und Angststörungen kommen in dieser Gruppe häufiger vor. „Veganer fühlen sich oft als Missionare. Sie wollen die frohe Botschaft von der Erlösung verkünden“, sagt der Ernährungspsychologe. Und es spricht ja auch vieles für den veganen Lifestyle. „Als positiv sehe ich, dass sich Menschen jetzt mehr um ihre Ernährung kümmern. Man drückt sich selbst über das Essen aus“, so Klotter. Es gilt zudem als unbestritten, dass sich Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck oder ein zu hoher Cholesterinspiegel durch die tierfreie Kost vermeiden lassen. Doch es ist auch Vorsicht geboten. Wer auf tierische Produkte verzichtet, nimmt meist nicht genügend Eiweiß, Eisen, Kalzium, Jod und vor allem Vitamin B12 zu sich. Das heißt Veganer müssen ihre Ernährung sehr genau planen und eventuelle Mängel durch Zusatzpräpa­rate ausgleichen. Selbst die Gesellschaft für vegane Ernährung empfiehlt regelmäßige Blutuntersuchungen. „Durch vegane Ernährung wird Mangelernährung provoziert und muss kompensiert werden. Für Kinder würde ich vegane Kost keinesfalls empfehlen. Vegetarismus ja – Veganismus nein“, sagt Ernährungsexperte Klotter.

Suche nach Ersatz

Weil vielen Neo-Veganern das Loslassen von Steak, Schnitzerl und Bratwurst doch ein wenig schwerfällt, wächst der Markt für vegane Fertigprodukte. Und hier zeigt sich, dass selbst veganes Essen nicht ­automatisch gesund, bio oder regional ist. Der Großteil der Soja-Bohnen ist mittlerweile gentechnisch verändert. Die Verbraucherzentrale Hamburg sowie der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) haben Fleischersatzprodukte wie Tofu-Würstchen, Fleisch- und Fischersatzgerichte auf deren gesundheitliche Aspekte und Inhaltsstoffe untersucht. Jede zweite Probe enthielt aus Sicht der Verbraucherzentrale Hamburg einen zu hohen Anteil an Fett und Salz. Zudem wurden für viele der getesteten Fleisch-, Wurst- und Käsealternativen Aromen, Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe verwendet. Fazit des VKI-Tests: Fleischersatzprodukte sind oft weniger gesund als vermutet und sollten deshalb nur ab und zu konsumiert werden. Das heißt: Veganer sollten ihre Mahlzeiten möglichst selbst und mit ­frischen Zutaten zubereiten.

Wirtschaftsfaktor

Dass sich ein Randgruppenphänomen langsam in Richtung Massentrend entwickeln könnte, zeigt sich an der Angebots­fülle der Produkte. Neben Veggie-Supermärkten warten mittlerweile sämtliche Lebensmittelgeschäfte und Diskonter mit veganen Abteilungen auf. Die Umsätze wachsen jährlich im zweistelligen Prozentbereich. Geld lässt sich auch in anderen Bereichen machen: Allein im Vorjahr sind im deutschsprachigen Raum über 50 vegane Kochbücher erschienen. Vegane Restaurants, Cafés und Bars schießen wie Schwammerl aus den urbanen Böden. Auch konventionelle Lokale können es sich nicht mehr leisten, kein fleischloses Gericht anzubieten. Selbst das Münchner Oktoberfest wirbt damit, heuer erstmals veganes Essen zu offe­rieren. Damit dürfte die Rechnung der „Fake-Industrie“, die Kunstfleisch, Kunstfisch und Wurstersatz aus Wurzeln herstellt, derzeit aufgehen.

Kampf der Fundis

Wir sehr das Thema Essen die Emo­tionen hochkochen lässt, ­erkennt man an unzähligen kontroversen Büchern und Beiträgen zum Thema vegane Lebensweise. In Internetforen bekriegen sich Veggie-Missionare mit Fleisch-Fundis, als stünde die Apokalypse bevor. „Als negativ empfinde ich die moralische Überlegenheit, die ­viele Veganer an den Tag legen. Sie denken oft in Freund-Feind-Schemata“, kritisiert Klotter. Aber auch die Fleischfraktion ist nicht zimperlich. In seinem Buch ­„Vegetarismus – Irrtum und Heuchelei der Pflanzenesser“ klagt der Journalist und Agrar-ingenieur Hans Georg Wagner, dass die Fleischverwei­gerer, „aus den satten Zentren des Wohlstands heraus Verzicht zu predigen und vorzugeben, damit könnte die Welt gerettet werden“. Es sei eine „Ideologie des Luxus“ und eine „Religion der Satten“. Der Gegenpol ist das Buch „Tiere essen“, das dem US-Schriftsteller Jonathan Safran Foer einen weltweiten Bestseller bescherte. Es gilt als die Bibel im Veganer-­Kosmos. Foer prangert an, was Fleischesser so gerne aus­blenden: grausame Massentierhaltung, gesundheitliche und ökologische Folgen des Fleischkonsums, Ausbeutung der Weltmeere durch den Fischfang. Nach der Lektüre ist vielen der Appetit ver­gangen.

Lustfaktor

Die Masse der ­Vegetarier und Veganer, die dem Trend folgen, dürfte die Lage weitaus entspannter und toleranter sehen. Es ist ein Ausprobieren und Entdecken vieler Lebensmittel. Der Veggie-­Hype bereichert die Alltagsküche mit vielen neu kreierten ­Gemüsegerichten, die auch Fleischesser schätzen und genießen. Denn bei allen Diskussionen um Gesundheit, Ethik und Moral, gehört Essen zu den lustvollsten Dingen im Leben. So wirbt der deutsche Mediziner und Ernährungspsychologe Thomas Ellrott generell für einen entspannteren Umgang mit Essen und lehnt es ab, einzelne Lebensmittel als gesund oder ungesund zu klassifizieren. Verzicht darf nicht aufgezwungen werden. Das Rezept für eine friedliche Ko-Existenz von Veganern und Fleischessern ist übrigens einfach, bekömmlich und leicht nachzumachen: eine Portion Toleranz, ein Schuss Gelassenheit und eine Prise weniger Überheblichkeit.

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