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Bub sitzt am Steuer eines Autos
Manchmal übernimmt das Innere Kind das Steuer.
Manchmal übernimmt das Innere Kind das Steuer.
SATILDA/ISTOCK/GETTY IMAGES

Außer Kontrolle: Das Innere Kind am Steuer?

03.05.2024 um 11:44, Conny Engl
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Werden unsere Gefühle vom Kind in uns gesteuert? Beeinflusst es uns bei der Partnerwahl? Und wenn ja, wie übernehme ich als Erwachsener wieder das Ruder?

Ist an der gängigen Theorie, dass "alles irgendwie mit der Kindheit zusammenhängt" was dran? Steuert das Kind in uns noch heute unsere Gefühle? "Natürlich prägen uns frühkindliche Erfahrungen", sagt Barbara Haid, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie.

Wenn das Unterbewusstsein reagiert

Das Schwierige sei, dass Verletzungen in der Vergangenheit oft im Unterbewusstsein liegen. Jemand sagt zum Beispiel: "Du bist so anstrengend." Reagiert man dann auf einmal ganz kindlich, wütend, erschüttert und weiß gar nicht, woher das kommt, meldet sich vermutlich das verletzte Innere Kind. Es wird von dem Satz getriggert und alte Glaubenssätze wie "Ich bin nicht in Ordnung, ich werde nicht geliebt" fühlt man plötzlich ganz intensiv.

Hinhören hilft

Wenn wir mit unangenehmen, schwierigen Emotionen konfrontiert werden, kann die Innere-Kind-Arbeit extrem hilfreich sein, ist Haid sicher: "Bei körperlichen Schmerzen neigen wir oft dazu, eine Tablette einzuwerfen, damit der Schmerz weggeht, aber das hilft nicht auf Dauer. Genauso wichtig ist es auch bei alten, seelischen Narben, hinzuschauen, woher der Schmerz kommt. Dadurch entwickelt man ein besseres Verständnis für sich selbst und kann entsprechend reagieren – im Sinne von 'Was braucht der verletzte Anteil in mir jetzt?' und nicht 'Reiß dich zusammen'."

Einfluss auf die Partnerwahl

Häufig wählt man einen Partner, bei dem es Ähnlichkeiten zu den Eltern gibt – so die geläufige Annahme. Die Psychotherapeutin meint dazu: "Wenn Bedürfnisse von primären Bezugspersonen nicht erfüllt wurden, können gewisse Defizite entstehen. Da kann man sehr empfänglich für einen Partner sein, bei dem man die Hoffnung hat, das zu kriegen, was man von den Eltern nicht bekommen hat." Der Schlüssel für eine gesunde Beziehung: "Je besser ich in Kontakt mit meinem Inneren Kind bin, desto besser kann ich es versorgen. Die Lösung ist, dass man lernt, seine Bedürfnisse nicht über den Partner einzufordern, sondern dass man sich diese selbst erfüllen kann und nicht mehr abhängig ist von anderen."

Woher rührt der Boom ums Innere Kind?

Seit Jahren sprießen Selbsthilfe-Bücher zu diesem Thema wie Schwammerl aus den Regalen. Das berühmteste ist wohl "Das Kind in dir muss Heimat finden" von Stefanie Stahl, das 2015 erschienen ist und noch immer stark nachgefragt wird. Den Hype führt Haid darauf zurück, dass sich die Menschen aufgrund der vielen Polykrisen in den letzten Jahren mehr um ihre mentale Gesundheit kümmern wollen. Doch ist dieses Stöbern in der Kindheit auch wirklich sinnvoll – nach dem Motto "Die Eltern sind an allem schuld"? Und kann es gar gefährlich werden?

Es geht nicht um Schuldzuweisungen

Barbara Haid zufolge geht es nicht darum, auf die Suche nach Schuld zu gehen. Das führe schnell dazu, die Realität zu vereinfachen oder zu verzerren: "Und es bringt mich auch nicht weiter, denn es ist geschehen. Aber es ist wichtig, die Rolle der Eltern in unserer Entwicklung zu verstehen. Dass wir Mitgefühl mit dem Inneren Kind bekommen und uns das, was vielleicht zu kurz gekommen ist, heute selbst geben." Das Ziel sei, Schritt für Schritt selbst die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – im Hier und Jetzt. Da die Bücher positiv formuliert sind, sieht die Psychotherapeutin keine Gefahr darin. Schwer traumatisierte Menschen sollten jedoch auf jeden Fall eine professionelle Therapie in Anspruch nehmen.

Love Story

Jennifer Lopez' neuester Film "This is me now" ist eine der schönsten Liebesgeschichten – Achtung Spoiler: Dabei geht es nicht um ein "Happy End" mit dem Traumpartner, sondern um die Liebe zu sich selbst. Ähnlich wie in "Rocket Man", der Filmbiografie über Elton John, nimmt sie ihr jüngeres Ich in den Arm und sagt ihr, wie lieb sie es hat.

Jennifer Lopez tanzt am Ende des Films im Regen
Am Ende des Films tanzt Jennifer Lopez im Regen. Man beachte den Kolibri, der für J Lo eine ganz besondere Bedeutung hat.

Tipp

Model Kendall Jenner hat an ihrem Badezimmerspiegel ein Foto von sich als kleines Mädchen hängen. Es soll sie daran erinnern, liebevoll mit sich selbst zu sein. Immer, wenn sie etwas Negatives über sich denkt, redet sie mit diesem kleinen Mädchen. In Interviews und auf Social Media wird sie nicht müde, zu sagen: "Es ist so wichtig, sein Inneres Kind zu lieben."

Arbeit mit dem Inneren Kind

Interview mit Barbara Haid, Präsidentin Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie

Bei Donald Trump könnte man glauben, das Innere Kind gibt oft den Ton an?
Wenn jemand so poltert und schreit, könnte man sich schon denken, da ist Not am Mann für Innere-Kind-Arbeit, aber das wäre sehr anmaßend. Ich finde es toll, dass immer mehr Prominente offen damit umgehen, dass sie Schattenkinder haben: Robbie Williams, Lady Gaga, Selena Gomez, Paul Pizzera, Robert Kratky, Thomas Stipsits oder Rudi Anschober.

Sind denn Depressionen und Burn-out auch auf das Innere Kind zurückzuführen?
Im Prinzip schon. In einer Depression ist diese abgrundtiefe Traurigkeit da, man fühlt sich hilflos und ist in einer kindlichen, dysfunktionalen Rolle krank.

Warum sollte man sich mit seinem Inneren Kind beschäftigen?
Durch eine bewusste Auseinandersetzung können seelische Wunden aufgespürt und ein Heilungsprozess gestartet werden. Im Endeffekt geht es darum, in eine bessere Beziehung zu mir selbst zu kommen.

Bringen mich Selbsthilfebücher weiter?
Es gibt sicher genügend Menschen, die damit sehr gut mit ihrem Inneren Kind in Kontakt kommen – Menschen, die weitgehend gesund sind. Für psychisch belastete Personen ist ein Selbsthilfebuch allein sicher nicht ausreichend und eine Begleitung in Form einer professionellen Therapie ganz wichtig.

Barbara Haid
Barbara Haid, Präsidentin Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie, im weekend-Interview.

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