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Carmen Bischof

Ein Tag im Single Seater Rennauto

19.06.2017 um 10:45, Laura Engelmann
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Angeblich ist für Frauen das Älterwerden ein Drama, das mit Hilfe der kosmetischen Industrie bekämpft werden muss. Aber Fahrtwind und ordentliche Beschleunigung straffen die Haut genauso.

"Gute Autos finden von selbst die Grün-Ampeln. Der Mini Roadster ist ein sehr gutes Auto. Er hält auch Gelb und Orange für Grün”, schrieb der Philipp Waldeck, dem ich nur zustimmen kann. Alle meine Autos konnten das auch, und so verehrt mir meine Umgebung gerne Geschenke mit Bezug zu Benzin. Das beste davon gab es zu meinem Abschied von der großen Drei-Null: ein Tag in einem Single Seater Rennauto.

Rennfahren in England

Mein Single Seater war ein Formel Ford-Bolide auf dem englischen Rundstreckenkurs Three Sisters. Nicht dass er sich fürchte, meint der Mann an meiner Seite, Single Seater sind einfach das beste Vehikel um möglichst schnell zu fahren. Jedes Kilo extra stört, auch der Beifahrer, der für einen Tag lang Fotojournalist, Mentaltrainer und Pit Babe spielen wird.

In Zahlen: Beginn 8.30, 50 Runden, 1,6-Liter-Motor, 165 PS bei nur 400 Kilo, moderate Spitzengeschwindigkeit von 130. Hoppla, das sind “mph” sehe ich und damit 209 kmh.

Fahrer müssen zwischen 5 und 6,5 Fuß groß sein und maximal 18 “Stone” schwer. Ich rechne mein Gewicht in Steine um, es sind nicht mehr als eine Handvoll.

"Wenn du die Schnellste bist, kommst du ans Limit"

Zur Vorbereitung konferiere ich mit meinem Hohepriester des Fahrens, einem zweifachen Gewinner der Ennstal Classic Rallye. “Spät bremsen, spät lenken, ans Geschwindigkeitslimit herantasten. Solange die anderen überholen, kannst du schneller fahren. Wenn du die Schnellste bist, kommst du ans Limit.”

Am Renntag treffen fünf weitere Teilnehmer ein, fünf davon Männer. Wir bekommen Overalls, meiner ist der kleinste und innen aus Frottee. Jeans ausziehen, ich werde schwitzen, meint man. Im frostigen englischen Mai bin ich froh über ein wirklich warmes Kleidungsstück. Dazu noch Helm und Schuhe, und ich bin bestens eingepackt für mein Auto ohne Dach.

Im Sicherheitsbriefing werden ernste Themen mit britischem Humor vermittelt, und wir nehmen nicht nur Fahrtipps, sondern auch die schöne Wendung “Ambition beyond Ability” (“Ehrgeiz größer als die Fähigkeiten”) mit ins Leben.

“Von den sechs Teilnehmern sind fünf Männer. Ihr habt ein großes Ego und fahrt irgendwann über eure Verhältnisse. Mit der 'Take It Easy'-Fahne zeigen wir euch, dass wir das gesehen haben.”

Mein normalgroßes Ego freut sich, ganz besonders als ich sehe, dass die Gangschaltung rechts ist. Wie daheim! Auf Three Sisters gibt es weder englischen Linksverkehr, noch Gangschaltungen auf der falschen Seite.

Auf dem Weg zum Auto überlege ich noch, ob es schlimmer ist, wie Grosjean in Spa auf Alonsos Auto zu springen oder einen Irren wie Grosjean ein paar Zentimeter hinter dem eigenen Helm landen zu lassen. Beides gleich blöd, denke ich, da macht mein Pit Babe noch schnell ein Bild von mir.

Da baut man sich ein - buchstäblich

In einen Single Seater steigt man nicht ein, man wird eingebaut. Wer mit den Beinen die Pedale nicht erreicht, bekommt eine Auflage hinter dem Rücken verpasst. Das Auto ist auf ein einziges Ziel hingebaut, nämlich Geschwindigkeit. Bremskraftverstärker, Servolenkung, ABS, EPS oder Plastikverkleidungen wären nur unnötiges Gewicht.

Die Gangschaltung ist ein blanker Metallstab – links vorn ist Eins, links hinten Zwei, rechts vorn Drei, rechts hinten Vier. Drei passt fast immer.

Einen Retourgang gibt es prinzipiell auch, aber den braucht man nicht. Das Motto für die nächsten 50 Runden ist vorwärts, und das schnell. Man schnallt mich ins Auto, und ich vergesse zu atmen.

Tempo-Limit? Von wegen!

Meine Karriere als Rennfahrerin fängt mit zehn Runden hinter dem Pace Car an. Im Debriefing danach zeichnet mir Rennlehrer Neil ideale Rennlinien auf die Rückseite des Zeitnehmungsblatts und erklärt Brems-, Wende- und Apex-Punkte zu meinen Freunden. Lustigerweise soll ich mit vollem Karacho auf diese neuen Freunde zufahren. “Angefangen hast Du mit 1,30, dann unter 1.00. Jetzt wollen wir 0,57 von dir sehen. Das rechte Bein immer voll in Aktion, entweder am Gas oder auf der Bremse.”

Klingt deutlich besser als eine österreichische Fahrschule.

Die zweiten zehn Runden laufen besser als die ersten. Immer nur an den nächsten Punkt anpeilen, Gas geben, bremsen, lenken und wieder von vorn. Ein paar Runden später stellt sich im perfekten Rhythmus das Glück ein. Ich atme auch wieder, im Takt mit dem hornissenartigen Geräusch des Motors. Zweites Debriefing, Rundenzeiten von 0,53.

In den nächsten zehn Runden erwacht der Ehrgeiz. Wenn ich überholt werde, versuche ich dran zu bleiben. Ich trete den Wagen, bis er einmal ausbricht. “Take it easy”, signalisiert Neil, der den Schwenker gesehen hat. Es regnet kurz, und der Single Seater trägt mich zwischen den Tropfen durch.

Fitnesstraining auf der Rennbahn

Am Ende bin ich erledigt. In keinem Fitnessstudio der Welt hätte ich so hart gearbeitet. Die nächsten zwei Tage lang werde ich vom gewohnten Pint Bier auf Drinks mit Strohhalm umsteigen. Nicht umsonst haben Rennfahrer so unglaublich sehnige Arme. Beim letzten Debriefing meint Neil, dass in Zukunft auch das weibliche Ego mitgezählt wird.

Es war kein Rennen, aber trotzdem wurmt es mich, dass ich nicht unter den besten drei mit Zeiten unter 0,47 gelandet bin. Meine Arme tun aber ohnehin so weh, dass erstmals alle Champagnerflaschen in Sicherheit vor mir wären.

Auf dem Heimweg ins Hotel meditiere ich glücklich auf dem Beifahrersitz über den perfekten Rhythmus zwischen Bremsen, Gas und Lenken. Fast muss ich eingeschlafen sein, beim Stehenbleiben weckt mich plötzlich jemand von links: “Hi Rennfahrerin, Dein Pit Babe legt dich jetzt hin, okay?”

Carmen Bischof ist gebürtige Murauerin ("die Stadt mit dem besten Bier", betont sie!), beruflich und privat gerne auf Reisen, beruflich in Sachen Vertriebssteuerung für die Senzor Industries AB aus Schweden unterwegs und privat auf der Suche nach schönen Orten, gutem Bier und lässigen Aktivitäten.

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