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Weekend Fallback
jchizhe / Istock / Getty images plus

Kommentar: Brasilien bei der Heim-WM emotional verglüht

09.07.2014 um 09:52, Weekend Online
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Wie eine Schülermannschaft ließ sich Brasilien vorführen. Fazit: Emotion alleine gewinnt keine Spiele. Und die Deutschen? Nach diesem Spiel ist es schwer zu sagen, wie gut sie wirklich sind ...

Michael Jeannee, der alte Seher, Silberrücken und „Hausmasta“ des österreichischen Journalismus, prophezeite es den Deutschen in seinem ungustiösen Kommentar schon vorgestern: "Heute Brasilien, und morgen die ganze Fußballwelt. Mit einem Endspielsieg in Rio." Doch dieses Ergebnis konnte selbst ein Jeanee in seinen feuchtesten Träumen nicht voraussehen. Deutschland zerstörte gestern Abend Brasilien mit 7:1.

11 Profi-Killer

Es waren aber keinesfalls die berüchtigten deutschen Panzer (zum Leidwesen Jeannees), die Brasilien überrollten. Die deutschen Tugenden vom Kämpfen, Malochen und Sich-den-Arsch-aufreißen gehören nämlich längst der Vergangenheit an. Anstatt einer Panzerdivision schickten die Deutschen diesmal eine Elite-Einheit, bestehend aus elf Profi-Killern, die lautlos im James Bond-Style den schnellen Tod einer verängstigten Selecao herbeiführten. Nun aber Schluss mit Kampfrhetorik.

Brasilien weint

Weltweit werden sich Kommentatoren heute die Köpfe zerbrechen, wie es möglich ist, dass bei einem Semifinale einer Weltmeisterschaft ein solches Ergebnis zustande kommen konnte. Und Brasilien weint, weinte schon die gesamte Weltmeisterschaft über, egal ob man gewann oder verlor. Vielleicht wurde einfach zu viel geweint. Denn nicht nur die Fans sah man nach dem Spiel weinen, sondern auch so gut wie jeden brasilianischen Spieler. Und das nicht nur nach der Niederlage gegen Deutschland. Diese kollektive Emotionalität wurde Brasilien schließlich zum Verhängnis. Gegen Deutschland lief man dann bereits emotional verglüht aufs Feld, war offensichtlich völlig leer im Kopf. Man hatte das Gefühl, jeder einzelne Spieler trug 200 Millionen Brasilianer auf seinem Rücken. Anders sind solche Abwehrschwächen nicht zu erklären. Wie eine Schülermannschaft ließ man sich vorführen, schien wie gelähmt ins Verderben zu laufen. Anstatt fußballerische Akzente zu setzen, eine wirkungsvolle Taktik auszuarbeiten, setzte man auf übersteigerte Emotionalität. Vielleicht aber auch deswegen, weil man wusste, dass diese Generation nicht gut genug ist, um Weltmeister zu werden. Emotion alleine gewinnt aber keine Spiele.

Ist im Finale Schluss?

Und die Deutschen? Nach diesem Spiel ist schwer zu sagen, wie gut sie wirklich sind. Ich selbst fühle mich um ein spannendes Spiel betrogen. Nach nicht einmal einer halben Stunde war alles erledigt und man konnte Toni Pfeffer mit dem legendären Satz "Hoch wer mas nimma gwinnen" zitieren. Alle mit einer gesunden Portion Germanophobie ausgestatteten Menschen bleibt nur noch eine Hoffnung: eine Niederlage im Endspiel. Diesen Gefallen werden uns die Deutschen aber wohl nicht machen.

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