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Wut im Web
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Die Macht des Shitstorms: Ende von anonymen Postings wird gefordert

28.05.2014 um 14:03, A B
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In sozialen Medien wüten immer öfter „Shitstorms“. Der Ton der Entrüstung wird schärfer. Warum verlieren einige Poster jegliche Hemmungen? Einigen „Meinungsmutigen“ reicht es jetzt jedenfalls. Sie fordern ein Ende der anonymen Postings.

Markus Lanz verfluchte die „gottverdammten Klicks“. Durch ein aggressiv geführtes Interview mit der Politikerin Sahra Wagenknecht brachte der deutsche Moderator die Web-Com­munity gegen sich auf. Die Online-Petition gegen seine Talkshow auf ZDF erzielte in zwei Wochen 230.000 Einträge, Kommentare wie „doof“ und „unwürdig“ waren da noch die harmlosesten. „Sie müssen in der Lage sein, wenn der Shitstorm kommt, gedanklich die Spülung zu drücken“, äußerte sich Lanz gegenüber dem Magazin „Stern“. In Österreich mussten unlängst Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger und Gastronom Mario Plachutta diese Spülung drücken. Auch in ihren Fällen wurde die höchste Stufe der von den Schweizer PR-Experten Barbara Schwede und Daniel Graf entworfenen Shitstorm-Skala erreicht: „Ungebremster Schneeball-Effekt mit aufgepeitschtem Publikum, Tonfall mehrheitlich aggressiv, beleidigend, bedrohend.“ Wer im Zentrum eines Shitstorms stehe, könne nur „in die Kirche gehen und beten“, erklärt Michael Obermeyr, Geschäftsführer der PR-Agentur Reichl und Partner. Jede weitere Äußerung würde einem nur im Mund umgedreht.

Vergessliche Öffentlichkeit

Ein schwacher Trost für die Betroffenen: Shitstorms seien nicht nachhaltig. „Die breite Öffentlichkeit ist vergesslich“, so Obermeyr. Das haben auch die Fälle Lichetenegger und Plachutta gezeigt. Die Welle der Empörung dauerte ein paar Tage, nach zwei Wochen war alles wieder vergessen. Die Öffentlichkeit habe laut Obermeyr außerdem ein feines Gespür dafür, ob die Beleidigungen gerechtfertigt sind oder nicht. Für den PR-Spezialisten und Herausgeber des Gourmetmagazins „Falstaff“, Wolfgang Rosam, ist das Maß jedenfalls voll. Die Beleidigungen, Untergriffe und persönlichen Angriffe in den anonymen Postings seien „unerträglich“, echauffierte er sich jüngst in einer Aussendung. Er hat das Gefühl, dass „einige wenige unter dem Schutz der Anonymität ihren Frust abladen“. Mit der Initiative „Die Meinungsmutigen“ fordert Rosam eine Deklarationspflicht für Poster. Organisationen, Unternehmen und das „offizielle Österreich“ sollen dafür gewonnen werden.

Unterstützung erhält Rosam vom Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ). Die Umgangsformen in manchen Foren seien „untragbar“. VÖZ-Präsident Thomas Kralinger fordert eine „konsequente Moderation der Foren verbunden mit einer gesetzlichen Regelung.“ Dass ein Ende der Anonymität nicht gleichzeitig ein Ende der beleidigenden Postings bringen würde, zeigten jedoch die Angriffe auf Elke Lichtenegger. Der Shitstorm gegen die Ö3-Moderatorin hat vor allem auf facebook stattgefunden – mit zahlreichen Kommentaren der untersten Schublade und zwar nicht anonym, sondern mit dem realen Namen der User. Reagiert man online enthemmter als offline? US-Forscher bestä­tigen diese Annahme. Das aufbrausende User-Verhalten sei auf das Fehlen zusätzlicher nonverbaler Signale (Augenkontakt, Betonung etc.) zurückzuführen. Die Anonymität sei ein weiterer Faktor. Es entstehe eine persönliche Distanz, mit den Folgen des Postings seien die User nicht direkt konfrontiert.

Positive Seite

Vor allem NGOs nutzen die Wellen der Online-Empörung, um ihren Kam­pagnen Nachdruck zu ver­leihen. So kam es 2010 zwischen Greenpeace und Nestlé zum ersten „facebook-Krieg“. ­Negative Aufmerksamkeit im Web kann aber auch Bekanntheit erzeugen. Diese nutzte der umstrittene Wiener Rapper Money Boy. Sein Video zu „Dreh den Swag auf“ wurde auf YouTube millionenfach aufgerufen, mehrheitlich aber negativ bewertet. Trotzdem erfolgte daraufhin ein Hype, der ihm einen Plattenvertrag und TV-Auftritte einbrachte.

Shitstorm in Kürze

Jeder kann einen Shitstorm auslösen. Ein Kunde des deutschen Mobilfunkanbieters O2 beschwerte sich über Empfangsprobleme. Es sei ein Einzelfall, wurde er ­abgespeist. Daraus entwickelte sich die Initiative „Wir sind kein Einzelfall“ mit Tausenden Gleichgesinnten.
Jeden kann ein Shitstorm treffen. Eine britische PR-Expertin ruinierte ihre Karriere mit einem rassistischen Tweet über Afrikaner. Die Aussage wurde ­innerhalb eines Tages zum Top-Thema auf Twitter, die Frau wurde gekündigt.
Internet, das „Überallmedium“. Der britische Finanzminister Osborne wurde im Zug in einem Erste-Klasse-Abteil mit einem Ticket für die zweite Klasse erwischt. Noch bevor er sein Reiseziel erreicht hatte, herrschte auf Twitter bereits Entrüstung.
Die Regeln stellt die Community auf. „Wir stellen die Regeln auf“, so eine Reaktion über eine Beschwerde bei Nestlé. Und schon wurde die Debatte angeheizt.

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