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Die Frage aller Fragen in der Erziehung: Wie viel Freiheiten sind genug?
Die Frage aller Fragen in der Erziehung: Wie viel Freiheiten sind genug?
Studiograndquest/iStock/Thinkstock

Mein Kind, der Tyrann: Erziehungstipps, die in die Hose gehen

05.02.2021 um 09:30, Andrea Schröder
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Wie man den Nachwuchs zum Horrorkind formt, das sein Umfeld terrorisiert und sich selbst – womöglich lebenslang – ins soziale Abseits schießt – das zeigen ­unsere "Erziehungstipps mit Misserfolgsgarantie".

Er brüllt und wälzt sich auf dem Boden. Zwickt die kleine Schwester, leert Omas Handtasche aus, zerreißt die Speisekarte: Der Fünfjährige am Nebentisch benimmt sich einfach unmöglich. Haben Sie sich schon einmal gefragt, welche Erziehungs­methoden zu diesen beeindruckenden Ergebnissen führen?

1. Der Vergleich macht Sie sicher

Ihr Kind bringt’s einfach nicht. Für den prüfenden Blick auf den Nachwuchs ist es nie zu früh. Identifizieren Sie Bereiche, in denen Ihr Kind schon als Baby Versagerqualitäten beweist: Es schläft nicht durch (wie Emma) oder macht noch in die Windel, wo doch Max sein Geschäft längst auf dem Töpfchen ­erledigt. Das Schöne an der Abwertung durch Vergleich: Man kann das Prinzip locker bis ins Erwachsenen­alter durchziehen. Ziel des Vergleichs ist die stetige ­Abwertung, die irgendwann zur Überzeugung führt: "Ich kann nichts und bin niemand." Wer so denkt, wird entweder den Erwartungen entsprechen und mit Pauken und Trompeten versagen. Oder sich sogar bei tollen Erfolgen wie ein Betrüger fühlen, der nur noch nicht als solcher entlarvt wurde.

2. Diskutieren Sie alles aus

"Weil ich’s gesagt habe!". Diese schlichte, finale Begründung hat längst ausgedient. Denn man möchte seinen Sprössling ja argumentativ überzeugen, nicht verdonnern. Das kann zu tiefsinnigen Dialogen führen. "Ich möchte lieber nicht, dass du die Emma beißt." "Warum nicht?" "Weil es ihr wehtut." "Ich will aber." "Schau, da ist schon ein Abdruck von deinen Zähnen." "Ich will aber (beißt wieder zu)". "Ich habe dich gerade gebeten, nicht zu beißen" usw. Das Kind kann sein Verhalten immerhin so lange durchziehen, wie die Diskussion anhält. Davon hat auch die Umwelt etwas, etwa wenn es um lautes Herumspringen im Restaurant geht.

3. Misstrauen ist gut, ­Kontrolle noch besser

Die Hausübungen sind erledigt? Das kann ja jeder behaupten. Besser, man lässt sie sich täglich zeigen (und findet stets Fehler). Außerdem ist sehr wichtig, auf die Minute genau zu wissen, womit und mit wem das Kind seine Zeit verbringt. Sich einfach so nach dem Mittagessen verabschieden und "nach draußen" spielen gehen, wie früher üblich, geht gar nicht! Wenn Ihnen das Kontrollieren nicht so liegt, gibt es eine einfache Methode: Übertragen Sie einfach Ihre Ängste auf das Kind ("Langsamer!", "Vorsicht, gleich fällst du hin!"). Das wird dazu führen, dass sich Selbstvertrauen gar nicht erst einstellt. Und wie heißt es so schön: "Wer nicht vertraut, dem ist nicht zu trauen." Der Grundstein zu verkorksten Beziehungen ist gelegt!

4. Lassen Sie Ihr Kind die Entscheidung treffen (und stehen dann nicht dazu)

Als Eltern selbst die Verantwortung zu über­nehmen, ist doch viel zu an­strengend. Deshalb lautet ein Kernsatz: "Sag uns, was wir machen sollen." Also fragen Sie Ihren Dreijährigen, wohin es in den Urlaub geht oder ob es am Wochenende bei Papi oder Mami übernachten will. Entscheidet es sich für Mami, lautet die Antwort selbstverständlich: "Aber dann ist Papi ganz traurig!".

5. Räumen Sie Ihrem Kind alle Hindernisse aus dem Weg

Die Idee ist folgende: Nicht Ihr Kind hat sich nach der Welt zu richten, sondern die Welt nach Ihrem Kind. Schreibt es eine schlechte Note, beschweren Sie sich beim Lehrer. Schmiert es die Tapeten der Nachbarin voll, hat diese den Edding-Stift nicht sorgfältig aufbewahrt. Klappt es mit der Schuldzuweisung nicht so recht, hat man stets eine "Erklärung" parat: Der Deliquent war müde, hungrig, hat schlecht geträumt, ist noch zu klein, ist schon zu groß ... So lernt der Sprössling, dass er zu der ­seltenen Spezies der fehler­losen Menschen gehört. Und – passiert doch einmal etwas – er auf keinen Fall dafür ­geradesteht.

6. Heute so, morgen so

Die vierjährige Charlotte soll nach dem Kindergarten einen Mittagsschlaf machen. Das ist ihr heute aber nicht so recht, deshalb brüllt sie, bis die Mutter sie "erlöst" So weit, so gut. Doch am nächsten Tag geschieht etwas Merkwürdiges: Charlotte brüllt und weint – nichts passiert. Die Mutter hat gerade keine Lust, sich um Charlotte zu kümmern, und schaut ­lieber in Ruhe "Verdachts­fälle" auf RTL. Gut so! Überraschen Sie Ihr Kind in un­regelmäßigen Abständen mit neuen Verhaltensweisen und Regeln, die schon morgen nicht mehr gelten. (Pseudo-)Sicherheit sucht sich das Kind dann eben später bei Freunden. Junge Mädchen übrigens gern bei Jungs.

7. Es gilt das Recht des Stärkeren

Einfache Regel bei Streit unter Geschwistern: "Macht’s das unter euch aus." So gewinnt immer derjenige mit den schlagkräf­tigeren Argumenten. Der Unterlegene gibt den Druck dann bei Gelegenheit weiter: an den schwächeren Schulkameraden, den Familienhund oder später an die eigenen Kinder.

8. Ziehen Sie Ihr Ding durch

Sie räumen die Bücher sicher nicht aus den unteren Regalbrettern, bloß weil sie ein Kleinkind zu Hause haben. Lieber ärgern Sie sich über zerrissene ­Seiten und machen das Kind zur Schnecke. Rücksicht nehmen sollte generell aus Ihrem Sprachschatz gestrichen werden. Einfach einmal ausprobieren: Sie oder ihn mitten aus dem Spiel reißen, weil Sie JETZT! Einkaufen müssen. Auf dem roten Pullover bestehen, auch wenn der „angeblich kratzt“. Sich bei Familienfeiern nur mit den Erwachsenen unterhalten. Irgendwann zuckt der Nachwuchs aus. Und Sie haben gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, nämlich sich und Ihrem Kind das Leben schwer gemacht.

9. Bloß keine Langeweile!

Vom Kindergarten zum Vorschulenglisch, danach in die Musikerziehung, bevor der Judokurs beginnt. Was kommt schon groß heraus, wenn ein Kind nur so vor sich hin spielt? Ein straffer Zeitplan sorgt dafür, dass man auch als Elternteil ständig beschäftigt ist (Daseinsberechtigung!), nämlich als Chauffeur, Antreiber oder auch als Animateur, sollte es doch einmal kurzen Leerlauf geben.

10. Sie haben immer recht

Seine Rolle als Vater/Mutter und die eigenen Erziehungsmethoden zu hinterfragen, ist lästig und führt nur zu Verunsicherung. Sollte Sie dennoch einmal die Meinung von Fachleuten interessieren – und sei es nur, um Ihnen zu widersprechen – lesen Sie doch den Input unserer ­Experten zu „Problem­kindern“ und zu spannenden Entwicklungsphasen.

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