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Den digitalen Nachlass sollte man nicht dem Zufall hinterlassen
Den digitalen Nachlass sollte man nicht dem Zufall hinterlassen
grinvalds/iStock/Thinkstock

Sterben 2.0: Mein digitaler Nachlass

29.10.2018 um 16:39, Weekend Online
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Nicht nur in der physischen Welt bleiben nach unserem Tod Spuren zurück. Neben ­digitalen Erinnerungen ­hinterlassen wir unseren Erben auch Rechte
und Pflichten.

Erkennen Sie sich wieder? Selten lesen wir in den Nutzungsbedingungen mehr als diesen einen Satz: "Ich habe die AGBs gelesen und verstanden", bevor wir unser Häkchen in der entsprechenden Kontrollbox setzen. Und noch seltener sind wir uns darüber im Klaren, was das für die Zeit nach unserem Tod bedeutet. Wie unser physischer Besitz geht auch unser digitaler Nachlass eines Tages in die Hände ­unserer Erben über. Dazu zählen E-Mail-Konten, Mitgliedschaften, Online- und Cloud-Dienste. Das umfasst Bezahl-Abos ebenso wie Gratis-Mitgliedschaften. Wer es seinen Erben besonders einfach machen will, hinterlässt eine Liste mit sämtlichen Konten, Benutzernamen und Passwörtern. Testamentarisch lässt sich eine Vertrauens­person bestimmen, die sich um den digitalen Nachlass kümmern soll.

Startpunkt E-Mail-Konto

Ist keine Liste vorhanden, kann das Auffinden der Konten für die Hinterbliebenen zum unlösbaren Puzzle werden. Den Kopf einfach in den Sand stecken sollte man aber unter keinen Umständen: Im schlimmsten Fall wird man durch Inkasso-Büros an seine Verpflichtungen erinnert. Wurden Bezahl-Abos abgeschlossen, gehen diese nämlich mit Erbantritt an die Hinterbliebenen über. Und eines gilt leider auch hier: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Gibt es keine Liste mit vorhandenen Accounts und Verpflichtungen, bietet das E-Mail-Postfach des Verstorbenen einen guten Startpunkt für die digitale Spurensuche. Oft ist dieses mit diversen anderen Konten verbunden. Möglichst bald sollte man mit dem Anbieter in Kontakt treten.

Beispiel GMX

GMX etwa deaktiviert einen Account nach sechs Monaten ohne Aktivität und löscht ihn nach sechs weiteren. Möchte man als Hinterbliebener eine frühere Löschung beantragen, reicht in der Regel die Sterbeurkunde. Wünscht man hingegen Zugriff, etwa um über weitere Konten Kenntnis zu erlangen, muss man zusätzliche Dokumente vorlegen. Hierzu zählen die Sterbeurkunde, der Erbschein und eine unterschriebene Erklärung, dass man Zugang wünscht. Im Zweifelsfall ist es immer ratsam, direkt Kontakt mit dem Kundenservice aufzunehmen.

Nadel im Heuhaufen

Ohne durch den Verstorbenen getroffene Vorkehrungen hat man auch mit Zugang zum E-Mail-Konto kaum eine Chance, sämtliche Accounts ausfindig zu machen. Allein Kenntnis über mögliche Konten zu bekommen, ist wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Unterstützung bietet in diesem Fall der Nachlass-Service der Wiener Städtischen in Kooperation mit der Bestattungsvorsorge "Wiener Verein".

Automatischer Service

Das Besondere: Die Hinterbliebenen müssen weder wissen, bei welchen Portalen der Verstorbene Mitglied war, noch Passwörter oder Zugangsdaten kennen. Der Service führt eine automatische Recherche bei über 250 Online-Unternehmen durch. Im Formalitätenportal des betrauten Bestatters werden die Ergebnisse gesammelt. Die Abmeldung von Plattformen wie Facebook oder Xing wird direkt über das Portal vorgenommen. Der Service kann bei allen Bestattungen in Österreich, die eine Kooperationsvereinbarung mit dem Wiener Verein haben, in Auftrag gegeben werden. Der Service spart Zeit und Nerven. Denn auch wenn man über alle Kontozugänge Bescheid weiß: Jede Plattform hat eigene Regeln für das Leben der Daten nach dem Tod.

Facebook Gedenkseite

Alle zwei Minuten stirbt ein Facebook-Nutzer. Laut Schätzungen aus den USA gibt es auf Facebook zwischen zehn und 20 Millionen Profile von verstorbenen Personen. Die Social-Media-Plattform bietet ­jedoch die Option, einen Nachlassverwalter zu bestimmen. Nach dem Tod kann dieser das Konto im Gedenkzustand verwalten oder auch löschen. Im Gedenkzustand hat der Nachlassverwalter keine Möglichkeit, neue Kontakt­anfragen zu beantworten, alte Posts zu löschen oder Nachrichten zu verfassen.

Google Daten-Manager

Google bietet einen deutlich umfassenderen Service für die Verwaltung des digitalen Nachlasses an. Der Nutzer kann im "Kontoaktivitätsmanager" festlegen, wie lange Google im Falle seiner Inaktivität warten soll, um Daten weiterzugeben oder sie zu löschen. Der User hat somit volle Kontrolle, ob seine Daten nach seinem Ab­leben tatsächlich an seine Hinterbliebenen übergeben werden sollen. Das Konto kann auch für die Weitergabe anderer Zugangs­daten verwendet werden. ­Bestimmt werden können bis zu zehn Vertrauens­personen.

Eine Frage des Geldes

Was oft vergessen wird: Accounts sind nicht nur eine Datenschatzkammer. Auf Plattformen wie PayPal, bei Wett- und Glücksspielanbietern kann auch bares Geld warten. Im Falle von PayPal kann sich der Erbe das Guthaben gegen Vorlage der nötigen Dokumente überweisen lassen.

Weitergabe ­verboten

Aber was passiert mit Büchern, Musik und Computerspielen, die man online lagert? Für viele Platt­formen gibt es schlichtweg keine Regelung, was im Falle des Ablebens mit den gesammelten Vermögenswerten geschehen soll. Ein Beispiel dafür ist die Gamingplattform Steam. Statt Computerspielen auf CD-ROM erwirbt der Nutzer über Steam die Spiele rein digital. Im Laufe eines Spielerlebens kann ­einiges zusammenkommen. Nicht selten beläuft sich die solcherart geschaffene Bibliothek auf einen Wert von mehreren Tausend Euro. Doch kann man dieses Vermögen auch vererben? Was bei physischen Datenträgern kein Problem ist, stellt Benutzer bei Online-Plattformen vor Schwierigkeiten. Wer das Kleingedruckte genau liest, weiß: Die Weitergabe der Lizenzen ist nicht erlaubt und kann zur Sperre des Accounts ­führen. Auch das Trans­ferieren der Lizenzen bzw. Dateien vom Konto des Verstorbenen auf jenes seiner Erben ist nicht möglich.

Digitales Massengrab

Wie Recherchen von Eurogamer belegen, gibt es aktuell aber noch keine bessere Lösung als die testamentarische Weitergabe der Zugangsdaten, wenn man den Vermögenswert an seine Erben weiter­geben möchte. Im besten Fall wird nicht erkannt, dass es sich nicht um denselben Nutzer handelt. Gleiches gilt übrigens auch für ­iTunes, Google Play, Origin und Uplay. Werden die Account-Daten nicht vor dem Ableben oder testamentarisch weitergereicht, drohen die Lizenzen dort für immer ungenutzt unterzugehen – und aus den Plattformen ein digitales Massengrab zu machen.

Tipps für digitalen Nachlass

Listen anlegen: Passwörter und Nutzernamen zu sämtlichen Accounts in einem geschützten Bereich hinterlegen. Das kann auf einem USB-Stick, in einer Cloud genauso wie auf einem Zettel geschehen.
Vertrauensperson: Eine oder mehrere Vertrauenspersonen bestimmen und Zugang zu den Daten ermöglichen. Nicht erbberechtigte Vertrauenspersonen haben nur stark eingeschränkte Möglichkeiten, den digitalen Nachlass zu regeln. Der digitale Nachlass geht automatisch auf die Erben über – so nicht testamentarisch geregelt.
Aktuell halten: Ändern sich Daten, müssen diese aktualisiert werden. Ändert sich die Vertrauensperson, muss der Zugang zur Liste eventuell neu geregelt werden.
Löschen vs. Bewahren: Überlegen und festhalten, was mit Accounts und Daten passieren soll.

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